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MISC - Juli 2008 l #36

Screaming At The Sun: Sommerpausen-Spezial.

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Diesmal mit:

Coffins | Have Heart | Misery Signals | Modern Crimes | More Than Ever | My Defense | Scars On Broadway | Soulfly | Stark Raving Mad

Sie klingen offenbar nicht gerade wie das, was man so als engstirniger Mitteleuropäer hinter seinen Japan-Klischees erwartet: Die Coffins entpuppen sich vielmehr als drei abgewrackte Typen, die endlos tieftönenden Sludge-, Doom- und Grindcore spielen. Morastartiges Slow-Motion-Riffing a lá der legendären Winter trifft bei "Buried Death" (Southern Lord/Soulfood) auf eine Prise Gorefest’schen Rock’n’Roll - und lässt daraus acht markerschütternde Tracks entstehen. In enorm schick aufgemachter Form (Stickwort: Gatefold-Vinyl-Replik) wird diese Angelegenheit zum Pflichtprogramm für die entsprechende Rand- bzw. Zielgruppe. Und zwar keineswegs nur aufgrund eines territorialen Exotenstatus. „Buried Death“ sind feinstes Retro-Programm, wie es für Deathmetal-Fans in diesem Jahr ja schon einmal stattfand… Denn wer sich Hail Of Bullets in Zeitlupe vorstellen kann, der hat eine etwaige Ahnung von dieser mit reichlich Punk-Attitüde garnierten Platte.

Man darf Have Heart durchaus als Phänomen bezeichnen: Schließlich genügten der Band aus Boston lediglich ihr Debütalbum "The Things We Carry" plus eine enorm energetische Livepräsenz, um sich einen Status zu erspielen, für welchen sich Formationen wie Bane jahrelang aufgerieben haben. Nachteil daran: Die Erwartungshaltung für den Nachfolger wuchs ins Unermessliche. Glücklicherweise wählten Have Heart nicht den (ohnehin nur auf den ersten Blick) sicheren Weg der Stagnation. "Songs To Scream At The Sun" (Bridge 9/Soulfood) sorgt in einschlägigen Kreisen folgerichtig schon für reichlich Diskussionen. Denn von der einfachen Rezeptur "druckvoller old school youth crew Hardcore in modernem Anstrich" sind die Fünf mutig abgewichen. Zwar lassen die zehn superkompakten Tracks jederzeit eine klare Handschrift erkennen; die deutlich höhere Dynamik allerdings bleibt nicht ohne Folge: Die Griffigkeit scheint nach dem ersten Hörkontakt ziemlich verloren gegangen zu sein; vielleicht ja ein Tribut an Produzent Kurt Ballou (Converge)?. Beim wiederholten Mal allerdings kristallisiert sich heraus: Hinter der (gar nicht so) ausgetüftelten Fassade verbergen sich eben jene Highlights, welche schon den Vorgänger essentiell machen. Ganz zu schweigen von den Texten, die einmal mehr den Lichtblick in der sonst viel zu oft limitierten Szenethematik ausmachen.

Nachdem aus dem Hause Ferret in den letzten Monaten die verschiedensten Stilrichtungen abgedeckt wurden, geht es nun zurück zu den Wurzeln: Mit Metalcore nämlich, dem wohl ureigensten Repertoire des Labels. Zwar bedienen sich Misery Signals auf ihrem neuen Album durchaus wieder ein paar verhaltener stilfremder Elemente. Letzten Endes handelt es sich bei "Controller" (Ferret Records/Soulfood) doch um ein durchaus konventionelles Genre-Werk. Was besonders mit einem Blick auf die Vergangenheit der Musiker nicht überrascht; schließlich war hier neben der 7 Angels 7 Plague Gitarrenfraktion zwischenzeitlich auch ein gewisser Jeff, der mit Hamartia schon vor dem momentanen Hype einen vielversprechenden Metalcore-Einstand gab, an Bord. Dennoch wirkt dieser Stempel ein wenig zu eng für das neue Material. Denn bei den zehn Songs lässt sich unmissverständlich die Handschrift von Produzent Devin Townsend (u.a. Strapping Young Lad) erkennen, der dem Fünfer zum wiederholten Mal ein futuristisch-analoges (sic!) Klanggewand verpasst und auch sonst immer mal wieder seine Finger im Spiel hatte. Das Resultat wurde zwar dennoch bretthart, lässt aber bei genauerem Zuhören einiges an Facetten entdecken. Genannt seien nur die vertrackten Rhythmuswechsel, ungewöhnlichen Gitarrensounds, elektronischen Feinheiten oder versteckten Harmonien, welche das Werk – wenn auch knapp – aus dem Durchschnitt hervor hieven.

Manchmal bringt so ein Split doch durchaus Gutes mit sich: Waren A Perfect Murder zu Beginn ihrer Karriere noch eine der vielversprechendsten Acts im Metalcore-Zirkus, entpuppten sich die Herren aus Kanada mit jedem Album mehr zu einem (wenngleich recht guten) Pantera-Klon. Und nachdem schon nach dem Debüt ein Teil der Band in Richtung Modern Crimes wegbröckelte, löste sich der Victory Records-Act bekanntermaßen kürzlich komplett auf. Reichlich Aufmerksamkeit sollte dem selbstbetitelten, diesmal via einem sympathischen Label veröffentlichten Debüt also sicher sein. Zu Recht. Zwar klingt auch das neue Material reichlich Metal-infiziert, im Zentrum steht jedoch Straight Edge Hardcore der klassischen Machart. Inklusive Gangshouts, Breakdowns plus kompakter Spielzeit. Aus dem Fremdgenre bedient man sich also lediglich bei den wirklich exzellenten (Gitarren-)Harmonien sowie einer dezenten Rock'N'Roll Attitüde. Sehr genial auch die Gastvocals in "What's Going On?" - und überhaupt bringt der Hymnenanteil unter den zehn Tracks enormen Spaß. "Modern Crimes" (Damage Done Records) darf somit als glatter Fortschritt zur Vorgängerband durchgehen sowie definitiv zu den Hardcore-Highlights in dieses Sommers gezählt werden.

Mit dem ersten Demo errang diese Band einige Aufmerksamkeit in der heimischen Hardcore-Szene, welche durch das kurze Zeit später erschienene Debütalbum „Give Us Our Hearts Back“ zusätzlich untermauert werden konnte. Warum es danach jahrelang ruhig um More Than Ever werden sollte, bleibt mir ein Rätsel. Kümmert jedoch auch nicht wirklich… Schließlich räumt man mit dem endlich erschienenen Nachfolger, schlicht "More Than Ever" (Demons Run Amok) betitelt, alle Zweifel aus dem Weg: Diese Band ist präsenter und vitaler denn je. Und ihr Sound, ein gelungener Mix aus Old School Marke Battery sowie leicht metallischer New School Kante, tut in Zeiten der Konformität in diesem Genre einfach nur gut. Kombiniert mit einer ziemlich rudimentären, sympathischen Produktion schreien die Ludwigsburger ihren Hörern persönliche, reflektierte Texte entgegen. Mit zwar etwas keifenden, aber sehr leidenschaftlichen Vocals sowie schönen Harmonien, die auch noch die derbsten Parts hörbar bleiben lassen. Ein gelungenes Artwork rundet dieses durchweg empfehlenswerte Werk ab. Auch wenn’s abgegriffen klingt: Das hier ist die Underground-Antwort auf Comeback Kid. Oder das entsprechende Europa-Pendant zum jüngst erschienenen Have Heart-Album. Toll.

Mit sieben Songs in einer viertel Stunde wehren sich My Defense gegen die fortwährende Ignoranz bzw. das Aussterben der Plattenfirmen. So fand das erst jüngst wieder animierte Label Striving For Togetherness ein neuerliches Ende. Und eine andere Heimat wurde noch nicht gefunden. Dabei würde der Mix aus New York Sound der alten Schule und kalifornischem (Melody-)Core so manchem stilistisch allzu limitierten Metalcore-Label gut zu Gesicht stehen. "I'm Breakable" (Eigenproduktion/Eigenvertrieb) jedenfalls – eine nun in Eigenregie erschienene Demo-EP - setzt fort, womit der beachtliche Vorgänger "God Damn Those Hardcorejunkies" losgelegt hat. Inklusive - nochmal in dieser Rubrik! - korrekter Texte samt einem angenehmen Augenzwinkern. Und, ich kann mich nur wiederholen: Wer seinerzeit an den wunderbaren Vision ("The Kids Still Have A Lot To Say") so Gefallen fand wie ich, der sollte jetzt 6,50 Euro gen Köln schicken. Oder den Herren einen vernünftigen Plattendeal anbieten. Danke.

"Serious" und "Funny" heißen die beiden ersten Songs auf Dan Malakians lange erwartetem "Scars On Broadway" (Universal Music) Album. Dabei klingt die Musik des System Of A Down-Gegenspielers zu Serj Tankian wesentlich weniger schizophren, als es diese Titel - oder gar die bisherigen Veröffentlichungen der gemeinsamen Hauptband - vermuten lassen würden. Im Gegenteil: Mit Scars On Broadway lebt Malakian gemeinsam mit Schlagzeuger John Dolmayan (ebenfalls S.O.A.D.) seine im klassischen Hardrock-Sinne orientierte Songwriter-Leidenschaft aus. Die 15 Tracks leben von starken Songaufbauten, großen Refrains und (wenngleich im Studio gebastelten) mehrstimmigen Gesangspassagen. Und selbst wenn die musikalische Herkunft des Masterminds, welcher hier auch sämtliche Instrumente abseits des Schlagzeugs einspielte, fortwährend durchschimmert: Mit dem verstärkten Fokus auf Melodien einerseits, dem noch sporadischer und akzentuierter eingesetzten Härte-/Weirdo-/Folk-Faktor auf der anderen Seite entsteht durchaus etwas ziemlich Eigenes. Schließlich: Es ist doch bemerkenswert, welche Qualität die Soloalben der S.O.A.D.-Posse auszeichnen; und sympathisch bleibt im gleichen Zug, dass diesmal kein Sticker auf eben jene hinweist. Offensichtlich sind sich die Protagonisten bewusst, dass das Material hier genügend Potential hat, auch ohne allzu dreiste propagierte Referenzen beachtet zu werden. Richtig so, denn derart hochkarätiges Songwriting über die gesamte Spielzeit bzw. 15 Tracks hört man leider viel zu selten!

Oh je, da sieht er ´mal wieder jemand Zeit für ein "(…) kompromissloses Statement". Lieber Max Cavalera, so gerne ich Dich und Deine Musik einst schätzte, so sehr dreht sich Dein kreatives Schaffen derzeit im Kreise. Die Unterschiede zwischen der Cavalera Conspiracy und Deinem alten, eigentlich immer sehr sympathischen Gaul Soulfly sind nämlich spätestens jetzt kaum mehr zu benennen. Denn auf Deinem neuesten Album regnet es elf Mal Stangenware: Perfekt produzierter Groove-Metal eben, mit hohem Aggressionspotential und geringem Songwriting-Talent. Tut mir leid, jetzt allzu zynisch zu klingen. Doch wo bleiben die innovativen Grenzgänge, meinetwegen auch mit ungewöhnlichen HipHop-Künstlern? Wo bleibt die rohe Energie früherer Discharge-Sympathien? Wo bleiben konsequent zu Ende gedachte Tribal-Elemente oder stimmige Akustik-Arrangements? Tut mir leid lieber Max, magst Du mit "Conquer" (Roadrunner Records/Warner) auch die ewig treue Fangemeinde zufrieden stellen: Mich nerven die allzu zaghaft angerissenen, sonst so gepriesenen Soundexperimente etwas. Vielleicht auch, weil ich einst große Stücke auf Dich gehalten habe. Nach ein paar schwachen Live-Shows und diesem neuerlichen Durchschnittswert bringst Du Deine eigene Relevanz langsam aber sicher gewaltig in Gefahr. Und ich weiß nicht, ob die obligatorische Sepultura-Reunion daran etwas ändern können wird.

20 Jahre ist es her, als Nuclear Blast Records - damals noch die Underground-Heimat für Metal- und Hardcore- (!) Scheiben aus den Staaten - dieses Werk veröffentlicht haben. Seitdem sind Stark Raving Mad ziemlich in der Versenkung geschwunden; selbst die Internetrecherche gestaltet sich als schwierig. Ganz zu schweigen von ihrer nicht minder brillanten Vorgängerband Pissed Youth. Was ziemlich schade ist, wenn man sich die nun erschienene Wiederveröffentlichung des Kernwerkes der Texaner anhört. "Amerika" (Just 4 Fun Records/New Music) lässt die stilistische und territoriale Nähe der Band aus Houston zu Bands wie DRI in jedem der 32 Tracks durchklingen. Nicht umsonst waren sie Zeitgenossen in deren Hochphase und sind auch personell eng aneinander vorbei geschrammt. Untypisch für ihren Herkunftsstaat gibt es natürlich reichliche Anti-Amerika-Botschaften und auch sonst entpuppt sich der etwas chaotische Thrash-Punk-Hardcore-Mix als reichlich politisch ambitioniert. Passend dazu erinnern die Vocals von Frontmann Jeff Tunches a.k.a. Spunge Oid zuweilen an einen gewissen Jello Biafra, während als musikalische Referenz zudem noch Negative Approach genannt werden dürfen... Enthalten in den knackigen 30 Minuten sind übrigens beide Longplayer der Band, d.h. neben "Amerika" auch "MX“.

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