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MISC - August 2008 l #38

sellfish.de Spezial: Rock.Metal.Core.

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Diesmal mit:

Anathema | Anima | Black Stone Cherry | Ceremony | Dragonforce | Four Year Strong | Pure Inc. | Underoath

Man kommt nicht umhin, die Euphorie angesichts dieser Veröffentlichung ein wenig zu drosseln: Nein, es handelt sich hier nicht um einen regulären neuen Anathema -Longplayer. Der befindet sich zwar derzeit in der Mache; die Engländer lassen uns diesbezüglich jedoch weiterhin in der Warteschleife hängen. Und haben doch ein anständiges Trostpflaster in der Hinterhand. Mit einem Semi-Akustik-Album nämlich, welches ihre Karriere aus einem anderen Blickwinkel betrachten lässt. Ihr Wandel von Düsterrockern zu beinahe avantgardistischen Pop-Tönen findet in diesem Werk gar einen vorläufigen Höhepunkt. Vor allem aber liefert "Hindsight" (K Scope Music/Snapper) den neuerlichen Beweis, dass die Songs von Anathema auch in reduziertester Version noch funktionieren. Es braucht weder harte Gitarren noch irgendwelcher Studioeffekte, um sich den kompositorischen Wohltaten hinzugeben. Was in dieser Adaption sicherlich beim älteren Material mehr überrascht als bei dem jüngeren Datums. Trotzdem schön, dass sich zum Ende der zehn Tracks mit „Unchained“ schließlich doch noch gänzlich ungehörtes Songmaterial findet. Aber das Hungergefühl lässt nicht nach.

So wie es schon kreative Wortspiele als den Titel "The Daily Grind" (Metal Blade/SPV) gab, so wurden in diesem Genre auch schon essentiellere Alben eingeprügelt. Und dennoch soll dieser etwas böse Einstieg die Leistung der fünf Jungspunde, die eher im gegenwärtigen Deathcore-Trend denn beim klassischem Grind zu verorten ist, keinesfalls schmälern: Schließlich lehnt man sich zwar heftig an die Schultern der großen Labelbrüder Job For A Cowboy an; sieht sich aber durchaus in der Lage, diese Figur zumindest im Gleichgewicht zu halten. Die ostdeutsche Anima stellen damit anhand von nur neun Songs wieder unter Beweis, wie exquisit der Nährboden ihrer Heimat wohl für extreme Musik bestellt ist. In Punkto kontrollierter Geschwindigkeit, technischer Finesse sowie extremem Geschredder dürfte den Herren nicht nur in ihrer Altersklasse wenig Gegenwehr begegnen. Zumal es ihnen beispielsweise in „A Wrong Person To Trust In“ auch noch gelingt, feine Leads in das Soundszenario zu verwursten. Insofern durchaus auch ein Tipp für diejenigen, denen nach mehr der Sorte Whitechapel oder Misery Index dürsten.

Schon das Debüt war ein vielbeachteter Einstand in’s Rock’n’Roll Business. Und mit ihrem hoffnungslos antiquierten Sound sammeln Black Stone Cherry nun auch beim Nachfolger sämtliche Sympathiepunkte. Nicht zuletzt, weil sich das mächtig behaarte Quartett mit “Folklore And Superstition” (Roadrunner Records/Warner) wieder als formidable Songwriter entpuppen. Diesmal gelang es gar, den kernigen Southern Rock noch abgehangener klingen zu lassen. Beinahe lässig schütteln die für ihren Sound geradezu unverschämt jungen Herren Ohrwürmer aus den Boxen. Und die Formel „Lynyrd Skynyrd treffen einen Bastard aus Pantera und Alice in Chains“ geht nach wie vor exzellent auf. Meine Herren: Ihnen steht eine glorreiche Zukunft bevor. Zumal ein (sonst nicht selten Trend-orientiertes) Label wie Roadrunner Records ernsthaft an die zweifelsohne vorhandenen Qualitäten seiner Schützlinge zu glauben scheint. Aufgenommen wurde in Nashville, Tennessee mit Bob Marlette - Klingt beinahe wie die hoffnungsvolle Karriere-Geschichte einer Rockband aus vergangenen Zeiten, ich weiß. Aber warum sollte man nicht ´mal wieder an etwas Gerechtigkeit im sogenannten „Musikbusiness“ glauben. Hier gibt jedenfalls jemand vehement Anlass dazu.

Mit ihren Veröffentlichungen im Jahr 2008 haben sich Bridge Nine Records selbst übertroffen: Kein anderes Label konnte in dieser Saison ein derart von Highlights durchsetztes Repertoire vorweisen. Und nach H2O, Have Heart und Verse folgt jetzt mit Ceremony das nächste Meisterwerk. Wieder fällt es mit 16 Songs und gut 20 Minuten Spielzeit extrem kompakt aus. Wieder könnte die Intensität kaum mehr steigerbar sein. Wieder heben Artwork und Verpackung das Werk vom Rest der Hardcore-Gemeinde ab. Ist es zynisch oder provokant, wenn die Band mit dem Titel fragt, ob mich denn wirklich nichts mehr bewegt? Sowohl als auch; denn derart atemberaubend hasserfüllter Sound kann seine Entsprechung nur noch in Größen wie Negative Approach, frühen Ringworm oder Integrity finden. Das Ergebnis bewegt also nicht nur, es erschüttert vielmehr. Nach dieser neuerlichen Meisterleistung steht somit bereits im Spätsommer fest: Bridge Nine haben den Labelpokal Deathwish nun doch vor der Nase weggeschnappt. Zum Glück demonstrieren George Hirsch (Blacklisted) und Cody Sullivan (von den nicht minder genialen Life Long Tragedy) Einigkeit statt Konkurrenzdenken - und steuern ein paar Passagen bei. Ceremony jedenfalls haben mit "Still Nothing Moves You" (Bridge 9/Soulfood) ein neues Statement in Sachen nihilistischem Hate-/No- oder Punkcore gesetzt. Essentiell.

Ich bin mir nicht sicher, ob Drangonforce den via dem Konsolenspiel "Guitar Hero" erlangten Ruhm nicht des Öfteren als Crux betrachten. Denn so wie ihr humoristischer Hochgeschwindigkeits-Melodicmetal auch auf dem neuen Werk "Ultra Beatdown" (Spinefarm/Hellfest/Universal) haarscharf am Extrem-Kitsch vorbeischrammt, so fähig sind die Engländer an ihren Instrumenten. Was hier an superharmonischer Gitarrenarbeit geliefert wird, bleibt jedenfalls nicht von schlechten Eltern. Und trägt durchaus progressive Züge - wenngleich mit einer etwas synthetischen Malmsteen-Komponente. Jedenfalls dürfte angesichts der instrumentalen Ausnahmeleistung wieder so mancher Mundwinkel nach unter klappen. Zumal die acht überlangen Tracks auch noch mit Refrains aufwarten, die irgendwie an eine PVC-Variante von Blind Guardian - oder eine zeitgenössische Gamma Ray-Adaption denken lassen. Insofern klingen die Londoner auf eine eigentümliche Weise ziemlich deutsch - wenn auch mit einem sympathischen Augenzwinkern oben drauf…

Zwar bin ich mir nicht sicher, wie sich die vielen Referenzen in Richtung Lifetime erklären lassen. Der Tatsache, dass Four Year Strong frischen, euphorischen Wind in die Hardcore-Szene bringen, stimme ich jedoch nur zu gerne zu. Vor allem natürlich erst einmal, weil "Rise Or Die Trying" (Hassle Records/Vagrant/Rough Trade/PIAS) mit reichlich Augenzwinkern und Ironie gespickt ist. Im zweiten Schritt jedoch auch, weil die Fünf aus Massachusetts ein Gespür für kurzweiliges Songwriting beweisen: Namen wie New Found Glory begleiten das Erscheinen dieses Debüts und auch das Interesse von Pete Wentz (Fall Out Boy) an Four Year Strong überrascht nicht wirklich. Es stimmt schon: Jede Menge Melodie sowie cleaner Gesang lassen phasenweise natürlich an ungeliebte Emo-Klischees denken. Die 13 Tracks rocken aber so selbstbewusst und über weite Teile angenehm derbe, dass eher Core- als Pop-Elemente dominieren. Zumal man sich nicht scheut, auch ein paar vertrackte Breaks und dezent komplexere Passagen einzubinden. Schade zwar, dass es zur ganz großen Hook noch nicht gereicht hat – eine exzellente Basis für ihre Karriere ist mit dieser Platte samt der energetischen Liveshow allemal gelegt.

Modernen kernigen Hardrock mit einschlägiger 70ies-Kante haben sich Pure Inc. auf die Fahnen geschrieben. Und mit "Parasites And Worms" (Dockyard 1/SPV) stellen sich die Schweizer denn auch einmal mehr in eine Tradition aus frühen Soundgarden, Alice And Chains sowie - leider - auch ein paar Trend-Metal-Elementen. Als Tourpartner fungierten in der Vergangenheit Klassiker wie Gotthard oder Krokus - und so darf man sich in Punkto Songwriting neben einer sympathisch derben Note auch über eine nostalgische Komponente freuen: Selbst wenn die Produktion superdruckvoll und zeitgemäß geriet, weiß man bei Pure Inc. nämlich, dass derartige Äußerlichkeiten schlichtweg nicht ausreichen. Insofern hören wir Grooves und Melodien zuhauf; und einzige Wehrmutstropfen bleiben neben den ein wenig bemühten Vocals von Gianni Pontillo die sporadisch bereits etwas abgenutzten Riffs.

Tja, mein etwas schizophrener Konflikt bleibt mir wohl weiterhin erhalten: Auch mit ihrem neuesten Werk schaffen Underoath nämlich ein imposantes Metal-/Postcore-Manifest. Und verzichten abermals nicht darauf, ihre christliche Haltung in Texten und (insbesondere) Credits zu transportieren. Wirklich ignorieren kann man "Lost In The Sound Of Separation" (Tooth & Nail Records/Solid State/EMI) wohl trotz höchst kritischer Haltung gegenüber derartigen Strömungen im Hardcore dennoch nicht. Mein Respekt geht an die Kollegen vom Ox Fanzine, die das vermutlich durchziehen. Ich für meinen Teil werde mich der Begeisterung ob der Intensität der elf Tracks einfach nicht entziehen. Auch deswegen, weil die Sperrigkeit des Vorgängers hier mit viel Detailarbeit in ein exzellent funktionierendes Gesamtkonzept verwandelt wird. Bei welchem sich sehr gelungen auch ein paar Scramo-Elemente der „They’re Only Chasing Safety“-Phase wiederfinden lassen. Es klingt abgedroschen, stimmt aber nichts desto trotz: Underoath bündeln ihre Stärken diesmal besser denn je. Und die wohl nicht ganz einfachen letzten Monate (Drogensucht, Auflösungsgerüchte etc.) haben ihre Spuren in den markanten Kompositionen hinterlassen - wenn jetzt Parallelen in Richtung Breach, Turmoil oder Refused gezogen werden, kann man da nur schwer wiedersprechen. Schlichtweg ein famoses Werk.

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