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Tomte

Für immer die Maler

- ein ausführliches Gespräch mit Thees Uhlmann und Timo Bodenstein

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Bis jetzt galten TOMTE als die nette Band von neben an; mit dem neuen Album "Hinter all diesen Fenstern" haben sie den Sprung ins ganz große Tennis geschafft und sind trotzdem die nette Band geblieben - nur dass sie jetzt endlich mehr Hörer und auch Käufer haben.

Die neue Platte stieg in der ersten Woche sogar auf Platz 50 der deutschen Album-Charts ein, was - bei immer noch vergleichbar geringem Budget - natürlich ein Riesenerfolg ist. Außerdem hat Frontmann Thees Uhlmann zusammen mit seinen KETTCAR-Kollegen Marcus Wiebusch und Reimer Bustorff das Label "Grand Hotel van Cleef" gegründet, auf dem die neuen Platten beider Bands erscheinen.

Gründe genug also, die Band zum Plausch zu bitten, was dann auch im Rahmen des Erlanger Konzerts möglich wurde. Dass der Erfolg sie nicht negativ beeinflusst hat, zeigt sich darin, dass sich Sänger, Gitarrist und Texteschreiber Thees Uhlmann und Schlagzeuger Timo Bodenstein noch nach dem Konzert über zwei Stunden für uns Zeit nehmen und sich durch wunderbaren Humor und Freundlichkeit auszeichnen. Danke auch dafür, dass es nie an Getränken mangelte - was natürlich auch am hilfsbereiten E-Werk-Team lag.

Wie unterscheiden sich die Gefühle nach dem Fertigstellen der Platten "Du weißt, was ich meine" und "Hinter all diesen Fenstern"?

Timo: Bei der ersten Platte, da wussten wir halt gar nicht, was passiert. Da wurden wir ins Studio verfrachtet, dann hieß es jetzt hier: "Gib mal Gas!" Wir haben uns dann so gefreut, dass die AERONAUTEN vor uns noch drin waren und dass wir noch deren verbrauchte Luft einatmen durften - was man bestimmt auch noch auf der Platte hört und Marcus Wiebusch (Sänger und Gitarrist von KETTCAR), der damals die Platte für uns gemacht hat, hat gesagt: "Damit steigt ihr jetzt in die 1. Liga auf!" Ja und dann standen wir dann da in der 1. Liga auf dem Spielfeld und das war natürlich ein ganz komisches Gefühl.

Thees: So siehst du das?

Timo: Naja, ach nee, ach Quatsch so sehe ich's gar nicht, Thees hilft mir jetzt.

Thees: Ich sehe es so: Nach einer Platte sind das immer so ganz komische Formen von Glück, wenn man so was fertig hat, weil eine bestimmte Zeitspanne des Lebens auf Band oder auf digitalen Datenträger gebannt wird. Und bei der ersten Platte und auch bei der zweiten war das quasi noch eine kindliche Freude so "Oh Mann, wir nehmen 'ne CD auf!". Wir wussten nicht, wie viel wir wert sind oder was wir können und was sich bei mir geändert hat, ist dass wir jetzt bei dieser Platte schon im Studio gemerkt haben, das könnte ein großes Ding werden. Wir sind ins Studio gegangen und wussten, was wir leisten können. Wir wussten, dass wir nicht nur so ein TOCOTRONIC-Epigone sind oder "der dumme Sänger, der Chef der OASIS-Ultras ist", sondern dass wir halt eine richtig gute Band sind.

Timo: Aber wir haben nie die Erwartung gehabt, dass das, was mit uns jetzt passiert ist, auch passiert.

Thees: Nee, das natürlich nicht.

Timo: Das waren immer so Floskeln; unser Produzent hat gesagt, was wir jetzt machen müssen, damit das ein Charthit wird und dann haben wir gesagt: "OK, dann machen wir das nicht so."

Thees: Wenn du drei Jahre lang Maurer bist, dann weißt du wie du eine Mauer hochziehst; das Selbstbewusstsein der Band oder das eigene Verständnis für die Kunst die man macht, ist natürlich über die Jahre gewachsen.

Ihr habt ja sicher auch viel Selbstvertrauen dadurch bekommen, dass ihr einige der Lieder vorher live gespielt habt - z.B. schon 2001 "Schreit den Namen meiner Mutter".


Timo: Das hat sich auch erstaunlicherweise nicht mehr so doll verändert.

Thees: Ich wusste genau am Tag nach der letzten Aufnahme von "Eine sonnige Nacht", dass ich nichts anderes machen möchte als TOMTE und vorher wusste ich das noch nicht und dieses Gefühl haben wir auch mit in die neuen Aufnahmen hinein genommen; da hat sich auch das Leben verändert, vorher war ich noch halber Student.

Woher kommt dieser "neue Optimismus"? Die aktuelle Platte klingt viel positiver als die letzte.

Thees: Dieser Optimismus in den Texten kommt vielleicht auch von einer Verschärfung der Umstände. Die letzten 2 1/2 Jahre im TOMTE-Kosmos waren mit Abstand die härtesten, die wir alle hatten. Timo ist Vater geworden, bei mir ist das Leben nicht unbedingt leichter geworden; es sind einfach wahnsinnig viel Sachen passiert, die ein Leben verändern können und vielleicht ist das Leben - für mich als Schreiber der Texte - auch so hart geworden, dass man nicht mehr die Restenergie hat durch die Gegend zu laufen: "Alles scheiße, alles scheiße!"; sondern dass man so unten ist, auch auf einer inneren Ruhefläche, dass man jetzt diese Band macht, weil es eine gottverdammte Spitzenband ist und dafür hat man halt auch kein Geld mehr sich Essen zu kaufen, also alles sehr knapp ist. Und aus dieser Situation heraus, macht das dann auch keinen Sinn so rumzuschreien, weil du musst die guten Sachen suchen, wo du sie findest, weil diese gute Sachen dir die Kraft geben weiterzumachen und ich habe in den letzten 2 1/2 Jahren mit Leuten, bei denen ich nie dachte, dass sie in mein Leben treten werden, auch mit ganz "normalen Leuten", so schöne Momente geteilt, dass ich nicht mehr diese Arroganz besitze zu sagen: "Die Menschen sind scheiße!", weil jeder Mensch eine bestimmte Genese hinter sich hat, die ihn vielleicht zum Arschloch hat werden lassen, aber ich nehme nicht diese einfache Abfahrt und bin Menschenhasser, das ist für mich inzwischen ein Quatsch.

Timo: TOMTE ist halt nicht mehr so eine Freizeithaltung, sondern das spiegelt halt auch unser Leben wieder, was wir auf Vinyl gebannt haben.

Wo liegt der Ursprung Deutsch zu singen, denn das Hauptziel einer Band muss doch sein, die "Botschaft" möglichst weit zu verbreiten, gerade bei so einer textorientierten Band...

Thees: Ich finde wir sind gar nicht textorientiert. Ich glaube wir sind einfach eine super Rockband, bei der die Texte auch noch gut sind. Auf Deutsch, da hört man auf die Texte, weil das nicht gang und gäbe ist, ich glaube niemand hört in Amerika auf Britney Spears-Texte, weil da sind's halt die Instrumente, hier hört man zuerst auf die Stimme; wir machen einfach gehaltvolle Texte. Ich empfinde TOMTE als ernst, aber nicht als textlastig. Und das mit dem Deutschsingen kommt daher, dass als ich anfing Texte zu schreiben, meine Lieblingsbands alle auf Deutsch gesungen haben und das erschien mir dann einfach logisch. Ich könnte auch nie englische Texte schreiben, ich kann vielleicht meine Texte auf Englisch übersetzen.

Timo: Ich sag das mal als Musiker, weniger als Textschreiber, der ich ja nicht bin. Wir sind durch amerikanische und englische Musik sozialisiert und versuchen das eben zu transportieren und geben dann unseren Senf dazu; aus uns kommt Senf raus, es gibt doch nichts deutscheres als Senf, oder? (allgemeines Lachen)

Thees, arbeitest du richtig an den Texten oder schreibst du sie einfach in einem Moment oder mit einem bestimmten Gefühl auf?

Thees: Nee, ich bin dazu übergegangen, ich glaub' bei "Eine sonnige Nacht" war das noch sehr so, dass ich viel runter geschrieben hab' und bei der neuen Platte hab ich halt wirklich sehr viel gearbeitet - auch unbewusst. Das hat sich dann auch ausgezahlt, weil ich selber die Texte auf der neuen TOMTE-Platte wundervoll finde. Das hat für mich auch eine Tagebuchfunktion; zu so einem Satz, wie z.B. "Schreit den Namen meiner Mutter", da könnte ich jetzt in einer Stunde vier DinA4-Seiten voll schreiben, was das für mich bedeutet und so geht mir das fast mit jeder Textzeile.

In dem Lied "endlich einmal" gibt es die Textzeile "...das ist alles andere, als die gute Seite". Ist da ein kleiner SPORTFREUNDE-Diss versteckt?


Thees: Nein, das ist wirklich überhaupt kein Diss. Das dissigste an der ganzen Sache ist, dass da zwei Band- oder Lebenseinstellungen gegeneinander stehen und ich trete ihnen ja nicht zu nahe, wenn ich sage, dass das eine gut gelaunte Band ist. Und wir sind halt eher eine schlecht gelaunte Band.

Seht ihr das jetzt aber als schlecht oder...

Thees: Nee, nur als andere Sache. Im Endeffekt ist es einfach nur ein musikalischer Gruß von Hamburg nach München, weil die Leute sind mir wichtig, ich mag was sie machen, ich mag die Typen und ich sag mal: "Der rhyme is fat."

Aber andererseits lasst ihr damit für Leute, die die SPORTFREUNDE STILLER nicht mögen, ihren eigenen Interpretationsspielraum.

Thees: Ja natürlich, die sind ja auch innerhalb der Band umstritten.

Timo, du magst sie wohl eher nicht?

Timo: Nee, nee, wir haben sie persönlich kennen gelernt und sie sind total nett und ich habe auch totalen Respekt vor dem was sie machen, aber ich hör' die Musik nicht. Ich verstehe nicht, warum das letzte Lied ("Ans Ende denken wir zuletzt") zu dem Film ("Soloalbum") so erfolgreich war, es berührt mich nicht. Ich halte mich auch ehrlich gesagt für ein bisschen schlauer, als TOMTE-Mitglied. Ich sag das so und ich sag das denen auch ins Gesicht, wenn sie das wollen, ich rede dann mit meiner Faust. Nein im Ernst, ich finde sie machen halt Unterhaltungsmusik und dass wir mehr machen, als Unterhaltungsmusik. Ich mein' das auch überhaupt nicht böse, das ist gar kein Vorwurf, ich respektiere das und ich finde das toll, dass sie Erfolg haben mit dem was sie machen.

Thees: Man freut sich, dass Freunde von uns da oben mitspielen, dass man zu Kylie Minogue sagen kann: "Fuck off, du nervst!"

Timo: Mich regen die SPORTFREUNDE STILLER lange nicht so auf, sie regen mich eigentlich gar nicht auf, wie z.B. die GUANO APES oder die H-BLOCKX, denn das ist für mich plump.

Thees: Wir freuen uns, dass Jungs von uns da mitspielen. Und wenn man das politisch oder künstlerisch sieht, muss man auch sagen, dass die Sportfreunde viel mehr beeinflussen können, als wir von TOMTE; sie gehen dahin, wo es weh tut.

Timo: Ja und ein Jugendlicher, der sich eine Sportfreunde Stiller-Platte kauft, hat halt auch kein Geld mehr sich eine H-BLOCKX zu kaufen und das ist eine gute Sache.

Hat euch die KETTCAR-Platte ein wenig beeinflusst?

Timo: Ja, dass unsere Platte nicht so klingen soll. Mir klingt sie zu steril, es kommen mir zu viele Töne aus...

Thees: ...Instrumenten die du nicht kennst. Also die KETTCAR hat mich nicht beeinflusst, aber die Platte hat mich umgehauen, als ich sie gehört habe, es gibt keine Platte, was natürlich auch an der emotionalen Nähe liegt, zu der ich häufiger geweint habe, als zu dieser; die hat mir echt die Schuhe ausgezogen. Ich glaube auch, dass die Texte nicht so geworden wären, ohne die KETTCAR-Platte.

Timo: Seht ihr denn irgendwelche Parallelen zwischen TOMTE und KETTCAR - abgesehen von den normalen Gegebenheiten?

Nein, nicht direkt, aber ohne genaue Begründung.

Thees: Es ist doch auch irgendwie völlig andere Musik.

Eine Parallele gibt es vielleicht doch, nämlich dass TOCOTRONIC sich deutlich verändert haben, vom sogenannten "Schrammelpunk" zu dem was sie heute machen, also "schönere", elektronisch beeinflusste Musik; das KETTCAR- Album im Gegensatz zu BUT ALIVE deutlich mehr Pop ist und eure neue Platte ebenfalls ruhiger ist, im Vergleich zum ersten Album.

Timo: Es war nie so geplant, als wir angefangen haben, irgendwann mal beim Pop zu landen. Es ergibt sich einfach so.

Thees: Wir haben schon Platten gemacht, bevor wir wusste, was wir konnten. Wir haben auf den ersten beiden Platten sozusagen noch gelernt, was auch an dem ökonomischen Punkt liegt, dass bei den ersten beiden Platten null Mark da war und wir jetzt zum ersten Mal richtig Geld riskiert haben. "Eine sonnige Nacht" könnte sich auch gut anhören, wenn Geld da gewesen wäre.

Ihr habt beim Konzert heute nur einen Song vom ersten Album gespielt. Sind euch die alten Sachen peinlich oder warum spielt ihr so wenig davon?

Timo: Wir können das einfach nicht mehr so rüberbringen, wie wir es damals aufgenommen haben, das ist zu weit weg; allerdings war ja auf unserer ersten Single schon "Insecuritate" drauf und das Lied hat wirklich Konstanz gehabt und das haben wir 'rübergenommen. Die Besetzung hat sich auch verändert, manche Lieder können wir nicht mehr spielen, andere schon, die haben wir auch lange nicht mehr gespielt und haben sie auch nicht mehr geübt.

Thees: Die Band war zeitmäßig so unter Druck, dass nicht die Zeit da war das einzuproben. Das finde ich z.B. auch lustig bei unserer Band, die keine Zeit hat alles zu üben...

Timo: ...na ja, na ja ganz so...

Thees: ...lass es doch so stehen, da kommen wir gut dabei weg.

Seid ihr durch den Einstieg von Dennis (Becker, Gitarrist) auch vielschichtiger geworden?

Thees: Ja, auf jeden Fall. Vorher waren wir halt drei Maler, jetzt sind wir vier Maler...

Timo: ...nee, nee. Vorher waren wir Maler und jetzt haben wir einen Stuckateur dabei. Entscheidend war eben nicht die neue Produktionsart, die total anders war, sondern dass Dennis dazugekommen ist, Dennis hat soviel "Musik" in die Band gebracht.

Thees, was fasziniert dich an OASIS?

Thees: Der Fakt, dass Menschen aus dem Schmutz aufstehen und Sachen machen, zu denen sie nicht prädestiniert sind. Wenn man aus Manchester kommt, der Vater abhaut, die Mutter versucht die Kinder am Leben zu erhalten, man Klebstoff schnüffelt und das Leben nicht besonders freundlich zu einem ist, es aber trotzdem schafft, solche Songs zu schreiben und Erfolg zu haben, das fasziniert mich und dass diese Band Songs schreiben kann, wo sich 99,8 % der Welt hinter verstecken kann.

Die Songs stehen nicht zur Diskussion, aber betrachtet man die Gallagher-Brüder...

Thees: Liam Gallagher ist genauso wie ich. Ich hab' ihn interviewt, er unterscheidet sich nicht von mir. Das ist Medienverzerrung. Auf mir lastet ja schon Druck, auf Timo lastet auch Druck und wir haben auch unsere Arten damit umzugehen, aber die müssen halt z.B. 1000 Interviews mehr geben.

Aber würdest du je so ein Konzert spielen, wie OASIS vor drei Jahren bei Rock im Park, also mit totaler Verweigerung gegenüber dem Publikum?

Thees: Das war aber auch wirklich eine schwere Phase bei OASIS, da waren dann wahrscheinlich auch Drogen im Spiel, die wir noch nicht genommen haben.


Bleibt zu hoffen, dass sie diese Drogen nie in die Finger bekommen werden und weiterhin so schöne Musik mit Tiefgang machen, denn dann klappt es bestimmt auch mit den nächsten Zielen. O-Ton Thees Uhlmann auf die Frage hin, wo TOMTE im Jahre 2005 stehen: "Ich will ficken gehen!"; soll heißen: Er möchte weiterhin mit seiner Band auf dem aktuellen Niveau bleiben, wenn möglich ausbauen und einfach eine gute Zeit haben. Wir wünschen ihnen das zutiefst!


Sebastian Gloser / Benny Wolf


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