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Muff Potter Interview

Pathos-Rock für Arschlöcher

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Im Lager von Nagel und Co. hat sich in den letzten Monaten einiges getan: Muff Potter haben im Zuge der Erfolge von Kettcar, Madsen oder Tomte auf einem Majorlabel Unterschlupf gefunden und veröffentlichen dort am 4. Oktober ihr neues Album "Von wegen". Eine Situation, an welche die Vier zum Zeitpunk unseres letzten Interviews - seitdem immerhin schon bald zwei Jahre vergangen sind - sicherlich nicht gedacht haben.
Aber lest selbst, was Nagel uns auf der Tour zu "Heute wird gewonnen, bitte" zu erzählen hatte...


Habt ihr das Review von den Ärzten im Visions gelesen? Und wie fandet Ihr es?

Ja, hab ich es gelesen und fand's echt schlecht. Sie sollten so was Schlechtes nicht schreiben. Das hat sich so gelesen wie es wahrscheinlich auch gemeint war: Rockstar tätschelt dem Nachwuchs ein bisschen den Kopf. Und so hab ich mich auch gefühlt, wie früher, wenn man bei Oma auf dem Geburtstag war und die ganzen Tanten waren da, und wie die über einen geredet haben, weil sie dachten, man ist noch so klein und kriegt das nicht mit. Ich dachte: Hey, wollen die mich verarschen?


Sind die Ärzte Vorbilder für Euch?

Nee, Vorbilder musikalisch gesehen nicht. Aber es war bei mir schon die erste Band, die ich richtig gut fand. Das war so Zeltlager und das erste Mal, wo ich so richtig Fan von einer Band geworden bin. Das war die Zeit nach Duran Duran. Also wenn wir mit den Ärzten spielen würden, wär ich schon extrem aufgeregt. Aber das heißt ja nicht, daß sie unbedingt Reviews schreiben sollten.


Du hast selber geschrieben für "Wasted Paper".

Ja, das war mit Wiesmann, unserem Mädchen für alles. Mit dem hab ich zusammen das "Wasted Paper" gemacht. Das ging über acht Ausgaben, auch über acht Jahre. Hat angefangen als Kiddie-Punk-Fanzine. Wir haben wirklich jede Band interviewt, die im Jugendzentrum gespielt hat, auch wenn wir sie gar nicht kannten. Aber danach gings weniger um Musik und es wurde irgendwie ein Ego-Heft. Weiß nicht, wie man das heutzutage bezeichnet. Die letzte Ausgabe kam vor vier Jahren und es ist vorbei. Das war unsere Abrechnung mit der Szene, ich hab jetzt auch keine Lust mehr sowas zu machen, weil ich das zu langweilig finde, wenn sich Sachen immer nur im kleinen Kreis bewegen. Ich schreib zwar immer noch für mich und andere, aber so ein ganzes Heft zu füllen, da hab ich einfach keinen Bock drauf.


Was liest Du an Musikheften, Fanzines?

Eigentlich nichts. Ich kuck schon ob's ein neues OX gibt, oder in Online-Heften, aber oft ist das nur nichtssagend und langweilig.


Würdet Ihr Euch als politische Band bezeichnen?

Wir sind politische Menschen und 'ne menschliche Band. Das heißt, wir sind keine Agitationsband und waren das auch nie. Nur gabs früher auch ein paar Themen, zu denen man was sagen wollte. Und irgendwann sind die halt aus. Das heißt jetzt nicht, daß wir unpolitischere Menschen sind, aber ich hab beim Textschreiben nicht mehr diesen Drang, daß ich zu dem und dem Thema auch noch was schreiben will. Hab das inzwischen abgearbeitet. Das letzte war, daß ich immer einen guten Tierrechtssong machen wollte. Ich fand andere Tierrechtssongs immer so Scheiße und das war das letzte Mal, wo ich dachte, ich will zu dem Thema ein Lied machen. Das war dann "Nach der Hubertusmesse" auf der "Schrei, wenn Du brennst" Platte. Danach kamen Ideen zu Texten immer durch irgendwelche Textzeilen.


Du singst über persönlich erlebte Sachen oder über irgendwas, wenn es Dir einfällt?

Meistens schon persönlich.


Seid Ihr im wahren Leben Loser? Denn Eure Texte klingen meist negativ und enttäuscht.

Ja, wie gesagt: Unsere Texte handeln vom Leben und so ist das. Ich denk schon, daß man uns als Loser bezeichnen kann. Wir sind halt keine Idioten, die man so in der Gegend rumschubsen kann, sondern eher so die Typen, die dann auch zurückschlagen. Ich seh das Leben nicht positiver als früher. Ich fühl mich die meiste Zeit immer noch wie vom anderen Planeten. Ich lauf rum und denke die ganze Zeit, "Da gehörst du nicht dazu." Das war früher schon so und das ist jetzt auch noch so. Das war bei uns keine Teenie-Ding, sondern hat sich manifestiert. Wir haben es uns auch nicht ausgesucht, weil wir das besonders cool finden, sondern so fühl ich mich und da unsere Texte immer ziemlich ehrlich, direkt und ursprünglich sind, kommt das natürlich auch drin vor.


Ihr habt die neue Platte im Bluenoise-Studio aufgenommen?

Bluebox heißt das Studio, Bluenoise ist das Label. Und da waren wir zum ersten Mal.


Wegen eines bestimmten Sounds? So wie Scumbucket oder Blackmail?

Ja, das hatte schon auch Einfluß darauf. Wir wußten, wir haben einige Songs geschrieben, die ne Ecke ruhiger sind als früher. Wir wollten aber nicht so ne total poppige, glatte Produktion haben. Deshalb wollten wir wo aufnehmen, wo krachig und laut aufgenommen wird. Wir haben ja die Platte komplett live aufgenommen. Natürlich nachher Overdubs drübergemacht. Und auch analog auf Band, darum hat es so lange gedauert. Das war schon bewußt so, weil wir es nicht glatt haben wollten. Wir sind Fans von ruhiger Musik, aber auch von Leuten, die ihre Instrumente laut spielen. Ich finde so eine Band wie Coldplay großartig. Die haben einfach ruhige Songs und wenn man sie sich live anschaut, dann sieht man, wie diese Typen total in ihrer Musik aufgehen, zu ihrer Musik stehen und einfach mit Power spielen.

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Habt ihr beim Songschreiben schon an die Gastmusiker (Orgel, Mellotron, Glockenspiel, etc.) gedacht?

Nein, das hat sich so entwickelt. Der Prozess des Songwritings war ein sehr langer, wir haben insgesamt zwei Jahre an diesen Songs geschrieben und auch richtig viel wieder rausgeschmissen. Das hat sich dann beim Überlegen und der Vorabproduktion so ergeben. Wir dachten: "Was passt zu welchen Song?" und "Laßt uns das mal ausprobieren". Früher haben wir auch schon gedacht, da könnte das und das passen, z.B. ne Orgel, aber dann kam gleich der Gedanke, daß wir ja nicht Orgel spielen können. Diesmal war die Herangehensweise einfach eine ganz andere. Im Prinzip eine viel punkrockigere. Wir können das zwar nicht, aber wir machen das trotzdem! Probieren es und kucken, wie das wird. Das Klavier bei der "Hymne" wollten wir unbedingt, d.h. wir haben die Klavierparts auf der Gitarre geschrieben und Ingo, ein Freund von uns und Donots-Sänger, der kann Klavier spielen und hat das dann umarrangiert. Ich finde, das ist sehr großartig geworden. Wir haben viel probiert und dann auch wieder viel weggelassen.


Auf der neuen Platte sind eben einige langsame Lieder und auf eurer Homepage ist sogar ein Link zu den Cardigans. Ist das nicht ungewöhlich für euren Kontext?

Ja, aber das ist eben meine Lieblingsband still alive. Meine absolut größte Band, die es noch gibt. Bin großer Fan davon. Ich kann auch Einflüsse davon aufnehmen, ohne daß wir gleich wie die Cardigans klingen würden. So wie ich auch Einflüsse von Shakira oder so aufnehmen kann.


Was sind im Moment Deine Lieblingsplatten?

Ich hör viel alte, englische Musik: Smiths, Thin Lizzy, Cure, Beatles,... Von den neuen Sachen: Travis, Queens of the Stone age, New Order. Auch Hillside (Vorgruppe an diesem Abend) find ich saugut. Sind Freunde von uns aus Münster. Aber auch unabhängig davon find ich die Band einfach super.


Wie lief die Tour bis jetzt?

Gut, außer daß wir alle krank sind.


Noch zwei Fragen zu Euren Texten. Was sind Kaperken (aus "Die etwas öde Ballade der Tristessa M.")?

Das ist angeblich Plattdeutsch für Kartoffeln. Bauerndeutsch!


Und was sind starrige Fecken (aus "Frozen man syndrom")?

Das kommt aus "Clockwork Orange", das sind so alte Penner, Loser. Das "Frozen man syndrom" ist sowieso ein Zitaten-Sammelsurium.


Für wen ist das Lied "Bis zum Mond"?

Den Song hat Dennis geschrieben. Als wir den neu hatten, haben wir gerade telefoniert, haben beide in unseren Betten gelegen und haben gelesen. Da haben wir drüber gesprochen, wie geil das eigentlich ist und er meinte, da müßte man mal nen Text darüber machen. So ist das entstanden. Er hat gerade den "Seewolf" von Jack London gelesen.


Auf Eurem Tourplakat werdet Ihr mit Kettcar und Jawbreaker verglichen. Hilft Euch auch der derzeit große Erfolg von Kettcar oder Tomte?

Ich denke, beide Bands haben Türen aufgemacht für Leute, die einfach keine deutschsprachige Musik gehört haben, weil das für die immer Deutschrock war oder Deutschpunk-Gegröhle. Aber ich weiß nicht, ob wir davon direkt profitieren. Auf dieser Tour gibts keinen Unterschied, weil wir noch nicht so viel Promo gemacht haben und auch in den selben Läden wie früher spielen. Wobei ich finde, daß wir nicht so viel mit denen zu tun haben. Das ist halt eine Erklärungsnot. Vor ein paar Jahren waren es noch Boxhamsters und EA80, auch gute Bands, die wir viel gehört haben, aber auch da fand ich schon, daß sie uns nur wegen der Sprache in die selbe Schublade gesperrt haben. So ist es jetzt auch und wir regen uns nicht darüber auf. Und wir sind nicht böse, weil das auch coole Bands sind. Da könnte man mit wesentlich fieseren Bands verglichen werden, wie z.B. in diesem Review in diesem beschissenen Heft mit Sportfreunde Stiller. Da muss ich echt sagen, ich will ja über allem drüber stehen und vielleicht sind das auch echt nette Typen, keine Ahnung, aber ich kann die überhaupt nicht leiden. Da haben dann Leute unsere Platte nicht richtig gehört oder keine Ahnung von Musik oder hören Musik auf ne ganz andere Weise als man selbst. Im RockHard stand z.B., daß "die Hymne" ein geiler Punk-Smasher ist. Also das ist der 6 1/2 Minuten Weichei-Song, für den uns Punker immer steinigen wollen. Hat wohl auch jemand nicht so richtig zugehört.


Ihr habt 'nen Clip gedreht?

Ja, zwei schon. Der erste zu "Placebo Domingo" (kann man sich auf muffpotter.net downloaden) und der zweite zu "Wir sitzen so vorm Molotow". Die sind zwar gut, aber nicht nach professionellen Standards. Also wir gehen nicht davon aus, daß das im Fernsehen läuft. Mal sehen, wie wir das verwenden.


Eure Zukunftsprognose für die nächsten zehn Jahre?

Reich und fett. Also fett bin ich schon... Ich weiß nicht.


Meint Ihr, es wird die Band dann noch geben oder sollte irgendwann Schluß sein?

Ich denk da gar nicht drüber nach und wenn doch, dann werde ich deprimiert, höre schnell wieder auf und saufe mir die Hucke dicht. Weil wir haben ja alle nichts anderes, keiner von uns hat irgendeine Ausbildung. Wir haben alle für diese Band auf den Rest des Lebens verzichtet und wenn's die Band nicht mehr gibt, ich hab keine Ahnung... Ich kann mir das gar nicht vorstellen, weil ich hab die Band mit 16 gegründet und seitdem ist das mein Lebensinhalt. Andererseits haben wir auch nie viel geplant...



Interview: Christian Reihe, Michael Streitberger


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