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Maritime (+Snailhouse)

one great family

Jährlich finden die MONSTERS OF SPEX in Köln statt, ein kleines Festival, welches auch dieses Jahr mit illustren Gästen, wie den aktuellen Königen des Pop FRANZ FERDINAND oder den französischen Tanzflächenfüllern PHOENIX, glänzen konnte. Zum ersten Mal gab es auch einen Ableger im Karls-torbahnhof zu Heidelberg. Das ganze nur eine Nummer kleiner und mit anderen Gästen. Mit an Bord diesmal der Newcomer JENS FRIEBE, das feinfühlige Sextett aus Belgien mit dem verwirrenden Na-men GIRLS IN HAWAII, MARITIME die neueste Verpflichtung von Label-Darling Grand Hotel van Cleef und die Kollegen von MARR. Doch es sollte alles etwas anders kommen...
Schnell machte das Gerücht die Runde, dass MARITIME-Kopf Davey von Bohlen nicht anwesend war, sondern vielmehr auf dem Weg in die Heimat zu seiner hochschwangeren Frau ins Krankenhaus, da es das erwartete Baby vorgezogen hatte, zwei Wochen früher das Licht der Welt zu erblicken. Aus der Not eine Tugend machen, dachten sich die beiden verbliebenen Bandmitglieder Dan Didier (Schlagzeug) und Eric Axelson (Bass) und taten sich mit den Freunden von SNAILHOUSE zusam-men, die bereits auf der gesamten MARITIME-Tour als Vorband fungierten. So kam es auch, dass SNAILHOUSE den Abend eröffneten und MARITIME später nur ein verkürztes Set spielten, was unse-rer Freude aber auch keinen Abbruch tat. Was aber nun tun, wenn der Interview-Partner in Form von Davey von Bohlen ausfällt? Aus der Not eine Tugend machen und einfach mit den anderen Protago-nisten des Abends reden. Getan haben wir das zunächst mit Mike Feuerstack, Sänger und Gitarrist seines Projektes SNAILHOUSE, der nach eigener Aussage im schwachen Licht doch fast genauso wie Davey aussähe.

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Die Leute werden etwas enttäuscht sein, dass sie kein „normales“ MARITIME-Konzert sehen werden.

Ja klar, das kann man verstehen, wenn die Leute sich so gefreut haben, aber das muss man akzeptieren, Davey wird Vater, was für einen besseren Grund kann es geben nicht zu kommen?

Du wirst heute die Rolle von Davey übernehmen und sowohl singen, als auch Gitarre spielen. Wie war das für dich, heute spontan die MARITIME-Songs zu lernen?
Die Gitarrenparts waren nicht das Problem, denn die habe ich bereits auf der ganzen Tour gespielt. Die Jungs von MARITIME spielen ja live teilweise bei uns mit und wir beide von SNAILHOUSE haben dann wiederum sie unterstützt, ich eben an der Gitarre und unser Schlagzeuger Jeremy hat Keyboard gespielt, er muss heute allerdings Daveys Gitarre spielen; es wird wohl eine ziemliche Punkrockshow (lacht). Was die Texte angeht: Das war wirklich sehr kompliziert und nachdem es ja auch unmöglich war, alles zu lernen, spielen wir eben nur sechs Songs. Ich habe mich ein bisschen schlecht gefühlt dabei, schließlich sind es nicht meine Texte, die ich heute singe.

Wann hast du angefangen die Songs zu lernen, wie kann man sich das vorstellen?
Mittags habe ich angefangen; ich hab dann die CD im Discman gehabt und hab die Texte aufgeschrieben, um sie besser zu verstehen und mir die Melodien zu merken. Und ich habe versucht mich in Daveys Kopf zu denken, aber das ist ein verdammt gruseliger Ort, niemand sollte jemals versuchen dort hinein zu kommen. Aber ich musste ja, ich bin doch Profi. (lacht)

Als du dann heute „deine“ SNAILHOUSE-Songs gespielt hast, war da die Gefahr plötzlich in irgendwelche Lieder von MARITIME hineinzurutschen?
Also eines der entscheidenden Dinge bei Musik, vor allem live ist ja, dass man nicht abgelenkt sein sollte, sich darauf konzentriert und wenn man da oben steht und spielt und diesen ganz bestimmten Augenblick fühlt, dann ist das, wie wenn man die Zeit anhalten könnte. Ich muss aber zugeben, dass ich vor dem Auftritt daran gedacht habe und dann sehr nervös gewesen bin, obwohl ich doch meine Musik gespielt habe.

Wir reden noch ein bisschen darüber, ob er sich vorstellen könnte, festes Mitglied bei MARITIME zu werden und versprechen scherzend das nächste Mal auch auf seine Band vorbereitet zu sein. Anschließend schnappen wir uns Eric von MARITIME; unter all den Trainingsjacken-Trägern sticht der große, kräftige Amerikaner sofort heraus. Er trägt einen schwarzen Kapuzenpulli und wirkt mit seinem Vollbart in dem aufgeregten Treiben ein bisschen wie ein gemütlicher Bär aus Nordamerika. Unaufge-regt, nett und sympathisch versucht er, auch die Fragen, die eigentlich nicht für ihn geplant waren zu beantworten. Und es ist immer wieder schön, wenn sich manche Geschichten bestätigen, denn es dauert keine fünf Minuten bis der bekennende Fußballfan fragt, ob wir nicht ein bisschen über sein Lieblingsthema reden können. Nach dem Pflichtteil tun wir ihm den Gefallen und finden dabei heraus, was wohl nach seiner Zeit als Musiker kommen wird.

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Wenn man sowohl eure CDs, als auch die Tourposter oder auf eure Homepage blickt, überall steht „Ex-THE PROMISE RING“ und „Ex-THE DISMEMBERMENT PLAN“, grundsätzlich ist das ja normal, dass die früheren Bands erwähnt werden, aber bei euch ist das irgendwie extrem, liegt das daran, dass ihr so stolz auf eure alten Sachen seid?
Ja es sind eben diese zwei Gründe, zum einen, weil wir natürlich stolz sind auf unsere ehemaligen Bands und zum anderen, weil es doch beim ersten Album einer neuen Band normal ist, dass man die früheren Bands erwähnt. Als sich NIRVANA aufgelöst haben, wollte ja auch jeder wissen, was machen die Typen jetzt und so wurde das bei den FOO FIGHTERS auch immer erwähnt oder JAWBREAKER, die zu JETS TO BRAZIL wurden. Beim nächsten Album wird das nicht mehr so sein, aber wir wollen ja auch die Fans unserer alten Bands auf MARITIME aufmerksam machen, damit diese vielleicht auch die neue Band mögen. Normalerweise, wenn man die erste Tour mit einer neuen Band spielt, kommt kein Mensch zu den Konzerten und so ist das eben anders.

Wenn man die Entwicklung von THE PROMISE RING betrachtet, der Unterschied zwischen den älteren, schnelleren und härteren Alben bis hin zum letzten, akustik-geprägtem und deutlich ruhigeren Album „wood water“, dann wirkt das MARITIME-Album eher wie eine logische Weiterentwicklung und nicht wie ein Neubeginn.
Findest du den Sound wirklich so ähnlich? Stimmt es gibt schon Gemeinsamkeiten, die akustischen Gitarren zum Beispiel, aber ansonsten finde ich nicht so viele Ähnlichkeiten. Das MARITIME-Album ist zum Beispiel viel mehr orchestriert, viele Streicher und Bläser.

Ja das stimmt, dadurch wirkt „glass floor“ auch deutlich positiver als „wood water“, war das eine bewusste Abgrenzung oder kamen die positiven songs einfach aus der damaligen Stimmung von Davey?
Ich denke eher aus der Stimmung heraus; vor „wood water“ hatte er einen Hirntumor und das hat sich sicherlich aufs songwriting ausgewirkt, dann hat sich die Band aufgelöst und da bist du zunächst mal natürlich auch nicht glücklich, aber in der Folgezeit wird er wohl deutlich besser gelaunt gewesen sein. Alleine die Tatsache am Leben zu sein nach so einer schweren Krankheit, macht wohl viel aus.

Was bedeutet eigentlich „glass floor“?
Hm, das ist ein bisschen schwierig zu erklären, weil es anscheinend das selbe im Deutschen nicht gibt. Es gibt im englischen den Begriff „glass ceiling“, das bedeutet man arbeitet und arbeitet und wenn man nach oben blickt, dann kann man durch die Decke die Spitze sehen und Davey wollte damit so einen Gegensatz ausdrücken.

Auf dem Cover von „glass floor“ sind farbige Würfel, wir haben vorhin überlegt mit welchen Farben wir das Album verbinden würden; was denkst du welche Farben wir gewählt haben?
Das ist schwer; ich vermute gelb und orange, weil das Album zum Teil doch sehr nach Frühling bzw. sommerlich, sonnig klingt.

Nein, nicht ganz, aber die Begründungen sind trotzdem ähnlich. Haben die Farben der Würfel eine bestimmte Bedeutung?
Nein eigentlich nicht, das Artwork hat unser Freund Scott Kawczynski gemacht. Ich fand das sehr lustig, denn auf dem zweiten Album von THE PROMISE RING gab es schon so was Ähnliches und ich hab gesagt, hey das ist doch genau dasselbe.

Welche Bands oder welche Alben würdest du mit den vier Farben auf eurem Cover verbinden?
Mit blau würde ich MILES DAVIS verbinden, mit gelb THE BEATLES wegen ihrem „yellow submarine“, mit orange würde ich SIMON & GARFUNKEL verbinden, weil ihre Lieder sehr herbstlich klingen und da die ganzen Blätter abfallen, eine Herbstfarbe und mit grün... OUTKAST! Das eine Video ist grün und die ganzen Dollars, die sie machen sind ebenfalls grün.

Wie stellst du dir die Zukunft mit MARITIME vor, irgendwelche Pläne oder Träume, bestimmte Projekte zu machen oder Kollaborationen mit anderen Künstlern?
Zuerst werden wir am nächsten Album arbeiten, sieben Songs sind bereits fertig, fünf davon haben wir auch schon auf der Tour gespielt und zu Hause werden wir dann weiter daran arbeiten, um das dann nächsten Frühling aufzunehmen und es Sommer oder spätestens Herbst zu veröffentlichen. Aber jetzt wird Davey erst mal Vater und Dan heiratet, da passiert also auch einiges. Beim ersten Album war es ja auch so, dass ich noch nicht besonders eingebunden war, bei den neuen Songs ist das jetzt anders.

In welche Richtung gehen die neuen Songs, mehr Melancholie oder wird es flotter?
Es wird ein bisschen rockiger, obwohl trotzdem alles sehr verschieden ist. Die alten Lieder sind vor allem auf der Gitarre entstanden, die neuen Songs basieren mehr auf drum & base, was jetzt nicht heißt, dass wir dance machen, sondern einfach nur, dass wir ein anderes Fundament haben; ein Stück ist sogar ein Ska-Song.

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Seid ihr zufrieden mit eurem Label hier?
Auf jeden Fall, die Jungs von Grand Hotel van Cleef sind super. Sie haben eine Menge getan, wir geben fast jeden Abend fünf oder sechs Interviews. Die Konzerte sind gut besucht, unser Video läuft bei Viva und MTV. Wir sind echt zufrieden.

Habt ihr sie schon getroffen auf der Tour?
Ja wir waren beim Fußball und haben uns betrunken, das war sehr gut.

Wer ist dein Lieblingsverein?
Hannover ’96, wahrscheinlich weil da zwei Amerikaner spielen. Letzten Freitag in Hamburg waren wir Vorband von JIMMY EAT WORLD und als wir unser Set fertig hatten, hab ich mir ein sauberes T-Shirt angezogen, meinen Bass eingepackt, hab mir ein paar Bier mitgenommen und bin mit Thees Uhlmann zum Fußball gefahren, er hatte Karten besorgt und nach dem Spiel sind wir wieder zurück zum Konzert.

Dann kommt die Nachricht, dass Davey soeben Vater geworden ist, es zu Hause in den USA aber leider nicht mehr rechtzeitig ins Krankenhaus geschafft hat. Es ist ein Junge geworden und Eric ist völlig überwältigt.

Wow, Davey hat ein Kind. Wie toll ist das denn? Verrückt. (er hält für einen Moment inne, schweift ab und schweigt, dann besinnt er sich wieder) Ja wo waren wir? Achja, die Jungs waren auf jeden Fall ein paar mal dabei. Thees und Simon (Rass, ebenfalls GHvC) sind auch zu unserem Auftritt in Berlin gekommen und wir hatten echt ein paar tolle Abende.

Wie bist du zum Fußball gekommen, es ist doch in Amerika nicht so verbreitet, wie andere Sportarten?
Ich habe als Kind selbst gespielt und was viele nicht wissen ist, dass Fußball in Amerika nach Basketball die zweitbeliebteste Sportart ist, die gespielt wird. Was allerdings die Fernsehübertragungen betrifft und was die Leute gerne sehen, ist Soccer abgeschlagen, hinter den berühmten Sachen, wie Basketball, Baseball oder American Football oder auch Golf und Motorsport. Aber es entwickelt sich, seit die Liga gegründet wurde und einige europäische Spieler dort sind. Ihr seht, wer mir also eine Freude machen will, muss mir einfach Fußballtickets schenken. In Freiburg waren wir übrigens auch noch im Stadion, da waren auch die anderen von MARITIME und SNAILHOUSE dabei, das Wetter war furchtbar und die Sänger saßen erkältet und fluchend da, während ich meinen Spaß hatte.

Viele Bands können ja ihre eigenen Songs nicht mehr hören; man probt sie, man nimmt sie auf und spielt sie jeden Abend live, geht es dir da genauso oder hörst du sie vielleicht sogar zu Hause manchmal an?
Nein das tue ich nicht. Wenn man die jeden Abend spielt auf verschiedenen Touren, will man das nicht mehr hören, was nicht heißt, dass ich die Songs nicht mag, aber privat höre ich dann was anderes. Bei den neuen Songs, die wir gerade schreiben, ist es was anderes, die hör ich dann schon mal an, um zu sehen, wie sie sich entwickeln und was man noch verbessern könnte.

Was hört ihr zur Zeit auf Tour?
Viel verschiedenes; eine Harfenspielerin, die hier wohl eher unbekannt ist, die neue INTERPOL, auch THE ROOTS hören wir gerne. Aber inzwischen können wir fast keine Musik mehr hören, denn wenn man im Tourbus hinten sitzt, bläst es einem die Ohren weg und vorne hört man fast nichts.

OK, abschließende Frage: Was würdest du tun, wenn du nicht Musik machen würdest?
Bestimmt etwas mit Fußball, ich würde sicherlich nicht spielen, aber vielleicht wäre ich irgendwo Manager oder so was. Oder ich würde ein Restaurant aufmachen, ich koche sehr gerne und ich liebe Käse und Wein, vielleicht würde ich das irgendwie mit einbeziehen. Mal sehen vielleicht finde ich das eines Tages heraus.

Du könntest das ganze ja kombinieren und ein Restaurant aufmachen, wo man Fußball kucken kann.
Ja, die Idee hatte ich auch schon mal, das wäre ideal.


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Dafür wünschen wir jetzt schon mal viel Glück, hoffen aber natürlich, dass MARITIME uns noch mit vielen Alben beglücken werden. Wir mutmaßen anschließend noch, ob sich die Texte auf dem nächsten Album jetzt hauptsächlich um Sachen drehen wie Windeln wechseln und Ähnliches. Wir lassen uns überraschen. Der Auftritt von MARITIME wird dann tatsächlich erwartet chaotisch, doch der Applaus gibt ihnen recht, trotzdem gespielt zu haben, schließlich wollten sie sich das am letzten Tourtag nicht nehmen lassen. Jeremy spielt sich die Finger blutig, weil er angeblich seit Monaten nicht mehr Gitarre gespielt hat, trotzdem trifft er so ziemlich jeden Ton. Mike hat sich auf einem Notenständer die Texte aufgebaut und muss amüsiert feststellen, dass es in der kurzen Zeit nicht möglich war, alle Zeilen auswendig zu lernen, die Rhythmusfraktion von MARITIME ist derweil darauf konzentriert den Songs den passenden Rahmen zu geben und macht dabei trotz allem Durcheinander keine schlechte Figur. Die Bands bedanken sich artig und beendet damit die erste gemeinsame Europatour.

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Eine echte Punkshow spielen dann aber abschließend MARR, denen noch vor dem ersten Ton ein Teil des Equipment kaputt geht und danach läuft auch nicht alles wie geplant. Es kracht, es wird sich verspielt, aber trotzdem wird viel gelacht, getanzt und vor allem gerockt. Dass die Band ihren Auftritt als schlechtesten ihrer bisherigen Laufbahn bezeichnet und dabei trotzdem noch so gut aussieht, spricht für sich.
Die Gewinner des Abends sind aber eindeutig GIRLS IN HAWAII, da ihnen ein nahezu perfektes Konzert gelingt. Bereits mit den ersten Ansagen haben sie das Publikum auf ihrer Seite; auf einer großen Leinwand im Hintergrund werden selbst gedrehte Filme gezeigt, die die Gesamtatmosphäre dieser Band perfekt trägt, einen verzaubert und in ihren Bann zieht. Herbstlandschaften weichen vernebelten Stränden, die den Zuschauer in eine andere Welt abtauchen lassen, ohne dass dabei die Musik vernachlässigt wird. Diese steht sowieso für sich und ist so unglaublich schön, dass sie nur schwer in Worten fassbar ist. Und damit schließt sich wieder der Kreis und wir sind zurück bei MARITIME, die dieses Jahr ebenfalls ein wunderschönes, wärmendes Album veröffentlicht haben.
Ein gelungener Abend, der trotz diverser unvorhersehbarer Ecken und Kanten zu einem runden Abend geworden ist. MONSTERS OF SPEX wenn ihr wieder kommt, kommen wir auch wieder!

Interview: Ninette Stürzl und Sebastian Gloser
Text und Fotos: Sebastian Gloser


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