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Sick Of It All

"Ich hasse die Ataris, ich hasse sie alle..."

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SICK OF IT ALL werden landauf, landab immer wieder mit dem begriff "beste liveband" in verbindung gebracht. ob sie das wirklich sind, konnte ich in all den jahren, in denen ich die platten der new yorker hoch und runter hörte, niemals herausfinden. irgendetwas ging bei mir immer schief, wenn eine show in der näheren umgebung stattfand.
doch diesmal sollte es klappen: SICK OF IT ALL gastierten anläßlich ihrer promotour zum jüngst erschienenen longplayer "live in a dive" (fat wreck/spv) im nürnberger "k4". schon stunden vor konzertbeginn versammelte sich eine menschentraube aus punks, hardcore'lern und metallern vor dem ehemaligen "komm".
laut veranstalter sollten wir für das interview im backstageraum auf die band warten, die angeblich gerade nach hause telefoniert. also nahmen wir auf den mehr oder minder bequemen sofas neben einem typen im poloshirt und der typischen "emo"-brille platz, der angestrengt in einem magazin las. lange geschichte, kurzer sinn: nach einer knappen viertelstunde stellte sich heraus, dass es sich bei dem vermeintlichen emojünger um frontmann lou koller handelte, der "bebrillt" wirklich kaum ähnlichkeit mit seinem auftreten auf photos oder der bühne hatte. glücklicherwiese nahm es der sympathische sänger mit humor und erzählte stolz, dass ihn mit dieser tarnbrille auch sonst kaum jemand erkenne. wie sich im nachhinein herausstellte nicht einmal die vorgruppe...


lou, was ist denn deine persönliche meinung zu "live in a dive"? bist du glücklich damit? livescheiben sind ja immer so eine sache...
ja, ich denke sie ist wirklich gut geworden. die soundqualität ist super und die show war auch gut. es waren nicht mehrere abende, aus denen wir uns die besten songs rauspickten. nein, es war eine show bei der zu glück alles gut ging. es gab im nachhinein beispielsweise keine vocal-overdubs.

war es denn euere idee, ein livealbum zu veröffentlichen?
mike von "fat wreck" hat diese serie, "live in a dive", für die unser album nach NO USE FOR A NAME und BRACKET der dritte teil werden sollte. sie fragten uns einfach, ob wir lust haben. "yours truly" war schon über ein jahr alt, und so sagten wir zu.

in deutschland gibt es mit "live in a world full of hate" ja noch ein anderes livealbum. das ist mittlerweile schon zehn jahre alt und erschien auf dem umstrittenen "lost & found"-label. war das damals ein offizieller release?
oh, ich werde "lost & found" jetzt nicht in den himmel loben, aber auch keinen scheiß über sie erzählen. wir brauchten bei euch eine veröffentlichung, bevor wir auf tour gehen konnten. sie haben vorgeschlagen, dieses album aufzunehmen. wir sagten zu und so kam das ding heraus. aber wir bekamen beispielsweise nicht die möglichkeit, die aufnahme zu remixen. während der ersten fünf songs flippte das publikum nämlich völlig aus und einige rumpelten gegen die gitarre, was man auch alles hört... naja, es ist halt live. ich mag jedenfalls keine bands, die im studio sachen aufnehmen und sie auf bühne nicht mehr zustande bringen. darum wollen wir unsere platten immer raw haben, aber soundtechnisch ist "live in a dive" einfach tausendmal besser. in einem britischen magazin las ich eine rezension dazu und der typ lobte unsere qualitäten auf der bühne. er meinte, keine cd würde da herankommen, aber diese scheibe tut es trotzdem. du hörst die kids im publikum mitsingen, die fuck-ups und die blöden witze... außerdem macht die scheibe wirklich druck.

gibt es denn ein SICK OF IT ALL-geheimrezept für euere intensiven shows? schließlich steht ihr schon jahrelang auf der bühne...
(lacht) oh, keine ahnung. wir lieben einfach die musik, mit der wir ja auch aufwuchsen. wenn man aus new york kommt und bands wie AGNOSTIC FRONT, CRO-MAGS oder die BAD BRAINS um sich hat - oder auch andere geniale bands wie MINOR THREAT shows spielen - ist das schon eine inspiration. wir möchten musik machen zu der wir selbst tanzen würden, wenn wir im publikum wären.

was magst du denn am liebsten und am wenigsten, wenn ihr auf tour seid?
das schönste für mich ist natürlich die show jeden abend. oder auch, mit den leuten vorher und nachher abzuhängen. das schlimmste ist wirklich, dass es keine privatsphäre gibt. du bist jeden tag mit den acht leuten zusammen, mit denen du auf tour bist. deine einzige privatsphäre sind die fünf minuten im badezimmer.

nehmt ihr denn einfluss auf die wahl euerer vorgruppen und die ticketpreise?
normalerweise suchen wir uns für größere touren immer die band aus, mit der wir unterwegs sind. für die shows zwischen den festivals - wie heute abend - sagen wir einfach dem veranstalter, er soll gute lokale acts heraussuchen... die nicht zu sehr anders als unsere musik sind. wir hatten konzerte, bei denen die vorgruppe 70'er jahre rock gespielt hatte. das war keine gute idee für einen SICK OF IT ALL-opener (lacht). was die preise angeht: wir versuchen sie natürlich so gering wie möglich zu halten. aber wir müssen eben auch unseren unterhalt damit bestreiten. bis jetzt gab es aber noch keine beschwerden, auch nicht was die merchandise-preise angeht.

es ist auch ein feiner service, dass ihr auf euerer homepage die eintrittspreise für die shows dazuschreibt. mal was anderes: was ist dein lieblings-livealbum?
die beste livescheibe? klar, MOTÖRHEADs "no sleep 'till hammersmith"... it's fucking raw!! eine fantastische scheibe.

eine frage zu euerem letzten studioalbum, "yours truly". kannst du kurz etwas über die hintergründe zum song "america" erzählen?
der hintergrund zu dem stück ist ein freund von mir, der bei der marine war. er liebte sein land und nahm auch an der operation "desert storm" teil. dort sollte er tabletten nehmen. auf seine nachfrage, wofür sie gut sein sollen, kam die antwort: "antibiotika, schluck sie!". wieder zu hause wird seine frau zwei mal schwanger und beide kinder haben geburtsfehler. beide haben fehler an den inneren organen, die sich kein doktor erklären konnte. später stellte sich heraus, dass die kinder seiner kameraden - die die gleichen pillen schlucken mussten - die gleiche behinderung aufweisen. jetzt läuft eine klage gegen den staat, aber die wird vermutlich wenig erfolg haben.

ist SICK OF IT ALL dann eine politische band?
nicht wirklich. aber ich weiß, was mir nicht passt: wir haben george bush junior als präsidenten und einen billionär, der sich für einen religiösen krieger hält und die bürger in amerika angreift. er tötete unschuldige menschen und wie reagieren wir? wir machen dasselbe...

ist es nicht manchmal schwierig, mit bands wie AGNOSTIC FRONT befreundet zu sein, denen man zumindest bei uns eine sehr konservative, pro-amerikanische einstellung nachsagt?
für mich sind diese bands schlicht sehr reaktionär. im ersten moment nach den attentaten dachten alle: scheiß drauf, wir bomben den nahen osten einfach weg. natürlich ändert man seine meinung, wenn man über die ganze sache intensiver nachdenkt. ein freund in belgien sagte mir: "die amerikaner haben bekommen, was sie verdient haben". aber was soll das? die amerikanische regierung hat den ganzen mist verzapft, nicht die bürger. außerdem: wer hat den moslems oder kuwait geholfen? es waren die vereinigten staaten, mit welchen zweifelhaften hintergründen wie öl oder was auch immer. es gibt tausende sachen, in denen ich unsere regierung nicht unterstütze. man muss es aber auch etwas differenzierter sehen. es gibt bands und musiker, die dich stundenlang mit politik zutexten können. kennst du TRIAL BY FIRE? eine grandiose band, doch der sänger redet ohne unterbrechung über politik. und er kann dir exakt sagen, was in amerika falsch läuft... (lacht). ich freue mich jedenfalls, wenn man uns nach politik befragt, denn viele leute kümmern sich überhaupt nicht um dieses thema. denn das wäre dem staat doch am liebsten. (verstellt seine stimme) "ihr seid jung, kümmert euch nicht um politik. kommt schon, singt den ganzen tag lieder über das mädchen bei burger king..." (singt:) "oh i love the girl at burger king..."

naja, einige deiner labelkollegen dürften das anders sehen...
(lacht) oh, glaub' mir, ich hasse die ATARIS, ich hasse sie alle. ich mag GOOD RIDDANCE...

aber ihr seid zufrieden mit der arbeit von "fat wreck"?
vor allen dingen ist es so, dass fat mike ein guter freund von uns ist und uns bei jeder neuen platte sagt: "ihr könnt sie gerne bei mir veröffentlichen, aber wenn ihr einen besseren deal bekommt: kein problem". das gilt übrigens für alle bands auf "fat wreck". außerdem zahlt er seinen bands verdammt gut, denn er weiß was es heißt, sich so sein geld zu verdienen. leider kann er dich natürlich auch nicht so stark unterstützen, wie es die großen labels mit ihren riesigen anzeigen können...

auf der livescheibe gibt es ein statement von dir, dass der nächste song den mädchen gewidmet ist und sie nach vorne kommen und tanzen sollen. warum denkst du sind so wenige frauen in die hardcoreszene involviert?
sie wollen einfach keine gebrochenen nasen haben... (lacht). wenn du auf unseren shows bist, stehen die mädchen meistens auf der seite...

... und halten die jacke ihres freundes...
das ist nicht gut, das sollten sie nicht tun. aber wir haben es früher auch gemacht. wir sind im spaß zu fünft mit meiner mitbewohnerin auf shows gegangen und sie endete meistens unter einem haufen klamotten... (lacht). aber sie wollte einfach nicht tanzen...


lou musste sich dann auch schon langsam in richtung bühne verabschieden. schließlich kamen wir doch noch einmal auf das thema plattenfirmen zu sprechen. es stellte sich heraus, dass SICK OF IT ALL für ihre legendären ersten beiden alben "just look around" und "no sweat no tears" noch nicht einen cent gesehen haben. dabei verkauften sich die scheiben, die hierzulande über "roadrunner" veröffentlicht wurden, sogar richtig gut. doch die labelbosse des metalgiganten verstrickten die band in ein gewirr aus verträgen und anklagen, aus dem kaum herauszukommen ist. erst mit der wiederveröffentlichung auf "century media" sieht die band langsam etwas geld...
das konzert schließlich übertrifft alle meine erwartungen. bei vollem haus zeigten sich SICK OF IT ALL in höchstform, kaum ein hit wurde ausgelassen und vor der bühne wurde der pit mit jedem song ein bißchen größer. mein tiefer respekt geht an eine band, die seit jahren fantastische alben veröffentlicht, für fanfreundliche preise sorgt und auf der bühne eine energie entwickelt, über die sich mancher newcomer freuen würde.


Interview: Bastian Streitberger / Michael Streitberger
Text: Michael Streitberger
Foto: Rudy De Doncker (Pressefreigabe Century Media)



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