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Bon Iver Interview

Hello Wisconsin!


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Justin Vernon hat wohl nicht damit gerechnet, dass sich die Presse-Meute so sehr darauf stürzen würde. Aber die Geschichten um ein Debüt-Album sind selten wirklich spannend, deshalb sticht jemand wie Vernon mit seiner Band Bon Iver auch so heraus. Kein: "wir haben uns auf dem College getroffen und irgendwann ein Label gefunden". Kein: "Irgendwie ist alles ganz natürlich passiert". Vernon hat etwas zu erzählen - auch wenn er es bereits tausendfach tun musste. Ja, das Debüt "For Emma, Forever Ago" ist in einer winzigen Hütte irgendwo in der Wildnis Wisconsins enstanden. Ganz allein, im Nirgendwo, drei Monate eingesperrt in den eigenen Geist. Da wird man entweder ein Waldschrat, verrückt, geistig umnachtet. Oder man befreit sich aus sich selbst und erschafft etwas von einer so klaren und unwiderstehlichen Reinheit, dass sich schon bald danach die ganze Blog-Gemeinschaft die Finger leckt. Geplant hatte Vernon den ganzen Hype natürlich nicht, das glaubt man ihm sofort. Kräftig und rau klingt seine Stimme durch das Telephon. Und man spürt, dass da einer mit sich im Reinen ist. Nicht wegen des Erfolges seines Debüt-Albums, sondern weil da jemand zu sich gefunden hat.

Die Musikwelt scheint sich in die Art und Weise verliebt zu haben, wie dieses Album entstanden ist. Bist du dem Mythos, den du kreiert hast, bereits überdrüssig geworden?
Justin Vernon: Oh, ich glaube nicht, dass ich da einen Mythos erschaffen habe! Oder doch? Jedenfalls ist alles wahr, ich habe das nicht erfunden, um mich wichtig zu machen. Es ist auch nicht meine Aufgabe zu kontrollieren, wie diese Geschichte verbreitet wird. Es hat sein Eigenleben, ja. Aber meine Energie werde ich nicht darauf verwenden...

Und du wirst einfach nicht müde, immer und immer davon erzählen zu müssen?
Nein. Jede Person, mit der ich mich darüber unterhalte, hat einen bestimmten Vibe, eine bestimmte Energie und eine bestimmte Perspektive. Und oftmals erhalte ich dadurch ganz neue Einsichten. Eigentlich ist es sogar eine recht unterhaltsame, herausfordernde Aufgabe, immer und immer wieder davon erzählen zu müssen.

Ist es der Schlüssel zum Verständnis des Albums?
Keine Ahnung. Ich denke das Album hat auch ohne die Geschichte seinen ganz eigenen Charakter. Aber für mich ist das alles natürlich miteinander verbunden. Das Album ist in einer ganz bestimmten Zeit, einer ganz bestimmten Atmosphäre entstanden. Für mich als Person, nicht als Musiker! Das Album wurde ja nicht erschaffen, um Journalisten Futter zu geben. Es repräsentiert für mich die wohl merkwürdigste Zeit meines Lebens.

Hast du dich da draußen isoliert gefühlt?

Sicher. Ich war ja ganz allein. Aber vielleicht ist isoliert nicht ganz das treffende Wort. Ich war eher ganz allein und nahezu unsichtbar.

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Das wünschen sich ganz viele Menschen in ihrem Leben: einfach den Alltag hinter sich lassen, alle Verbindungen zu kappen und in die Einsamkeit der Natur zu verschwinden. Hast du dich dort draußen mehr oder weniger als Mensch gefühlt?
Ich habe mich mehr als Mensch gefühlt. Ich finde es nämlich nicht normal, dass Menschen den Großteil ihres Lebens immer nur mit anderen Menschen verbringen. Der Mensch sollte auch Zeit finden, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Ich meine das in einem ganz ur-egoistischen Sinne: seine Gedanken, Wünsche, Träume und Hoffnungen zu exzerpieren. Herauszufinden, wer man wirklich ist. Dafür braucht man Einsamkeit.

Du hast in einem Interview gesagt, dass du die Stimmen in deinem Kopf wieder etwas lauter hören wolltest. Hattest du Erfolg?
Oh ja. Wenn du wochenlang allein bist und deinen Mund nicht aufmachst, um mit anderen Menschen zu sprechen, dann fängst du an, dich ganz auf dich selbst zu konzentrieren. Deine Sinne verändern sich und du beginnst, immer mehr auf dich selbst zu hören, auf das, was du im Alltag verdrängst. Du denkst auf einmal ganz anders über die Dinge um dich herum.

Hast du dir diese Sensibilität erhalten, nachdem du wieder zurück in der Zivilisation warst?
Irgendwie ja. Aber es unterscheidet sich natürlich schon von der eigentlichen Erfahrung in der Einsamkeit. Zumindest behälst du dir die Erinnerung daran und weißt, wann es Zeit wird, wieder in dich zu gehen.

Vermisst du die Zeit? Oder hast du damit ein Kapitel abgeschlossen?
Ich vermisse die Zeit dort sehr! Aber es wäre ein Fehler zu glauben, es sei eine reproduzierbare Heilungsmethode. Nach dem Motto: wenn ich wiedermal Stress habe, fahre ich einfach ein paar Wochen in die Wildnis und alles ist wieder in Ordnung. So funktioniert das nicht.

Die Hütte gehörte deinem Vater. Hatte die Zeit dort etwas spirituelles für dich?
Es war definitiv eine spirituelle Erfahrung. Die ganze Hütte atmet den Geist meines Vaters. Er hat die Hütte bezogen und das Land gekauft, kurz bevor er meine Mutter kennenlernte. Er war damals 29 Jahre alt und man kann diesen jungen Geist dort noch spüren, mit all seinen Wünschen und Hoffnungen für die Zukunft.

Wie hast du eigentlich die Songs geschrieben? Zwischen Jagen und Holzhacken?

(lacht) Ja, so ziemlich. Am Anfang habe ich mich natürlich den Freuden der Natur hingegeben. Aber nach einiger Zeit bin ich fast nur noch nach draußen gegangen, um Holz zu sammeln, damit die kleine Hütte auch warm bleibt. Den Rest des Tages habe ich nur noch damit verbracht, an den Songs zu arbeiten. Nicht etwa, weil es eine Deadline gab, sondern weil ich wusste, dass es das einzige ist, was ich tun möchte.

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Es gibt einen anderen Künstler, der gerade ein Album veröffentlicht und der mich stark an dich erinnert, Neva Dinova. Deren Songwriter, Jake Bellows, hat erzählt, dass sein Album von einem großen Verlust inspiriert wurde. Das könnte man bei deinem Album auch vermuten...?
Oh ja. Es ist der Verlust einer alten, sehr alten Liebe. Eine Liebe, die schon so lang vergangen ist, dass man sich kaum noch daran erinnern kann. Der Bezug geht immer mehr verloren und löst sich auf, bis es nur noch eine Erinnerung ist. Bis man nicht mehr damit Leben kann, weil es sich schon so weit von einem entfernt hat.

Wieviel Prozent der Songs, die wir jetzt auf dem Album hören können, wurden eigentlich tatsächlich da draußen aufgenommen?

97 Prozent! Grob!(lacht) Nur die Bläser wurde nachträglich hinzugefügt, von einigen Musikerfreunden an Musikkonservatorium in Eau Claire. Und ein zwei kleine Ideen wurden vor meiner Reise schon entwickelt. Das meiste aber ist tatsächlich in der Hütte geschrieben und aufgenommen worden.

Gab es den Moment in dem du wusstest: jetzt ist das Album fertig, jetzt kann ich zurück in die Zivilisation?
Nein. Denn als ich die Hütte verließ, wusste ich noch gar nicht, dass es ein Album ist. Ich hatte bloß eine CD mit ein paar Songs drauf. Erst die Reaktionen meiner Freunde und meiner alten Band, The Rosebuds, gaben mir das Gefühl, vielleicht mehr damit zu machen. Wir waren auf einer kleinen Tour mit den Rosebuds, als ich plötzlich wusste: ja, das wird ein Album. Ich muss es fertig mixen und ein Label finden.

Fast jeder hat das erste mal von deiner Musik durch das Internet erfahren. Mittlerweile bist du eine große Blog-Sensation. Wie gehst du mit der ganzen Aufmerksamkeit um?
Ach, ich würde wahrscheinlich etwas verrückt, wenn ich da länger drüber nachdenken würde. Deswegen mach ich das auch nicht. Ich bin einfach weiterhin glücklich über die Tatsache, meine Musik spielen zu können - und das auf der ganzen Welt.

Du trägst die Songs ja schon eine ganze Weile mit dir herum. Haben sie, jetzt da sie veröffentlicht sind, eine neue Bedeutung für dich?

Sie erhalten eher dadurch eine neue Bedeutung, dass wir sie fast jeden Abend live spielen und sie jedes mal ein klein wenig verändern. Die Songs bleiben die gleichen, aber wir stolpern über kleine, dunkle Ecken in den Songs, die wir vorher noch nicht kannten. Das macht es für uns spannend. Ich bin sehr froh darüber, dass mich die Songs inzwischen nicht langweilen.(lacht) Das ist übrigens das erste mal, dass es mir mit meiner Musik so ergeht!

Du bist auf dem Indie Jagjaguwar gelandet. Haben auch große Plattenfirmen angeklopft?

Merkwürdigerweise ja. Es haben sich ein paar Majors gemeldet, was ich komisch finde, wo das Album doch so "low-quality" ist - zumindest wie das so im Major-Label-Jargon heißt.

Bist du jetzt ein optimisterischerer Mensch als früher? Jetzt, wo du weißt, dass sich das alles ausgezahlt hat?
Ich versuche es, ich bin ein sehr geduldiger Mensch. Ich weiß jetzt, dass ich Musik machen will, dass ich auf Tour gehen und andere Länder sehen will. Meinen Job machen.

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


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