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Joan As Police Woman Interview

Weiße Pyjamas


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Wenn man wissen möchte, mit welcher Intensität eine Künstlerin Musik macht, muss man ihr nur in die Augen schauen. Bei Joan Wasser ist das etwas anders - man muss unweigerlich wegsehen, lange hält man ihrem Blick nicht stand. Joan Wasser, die unter ihrem Pseudonym Joan As Police Woman seit 2005 eigene Songs schreibt, versprüht eine ganz seltene Form von Lebenslust. Freiheit, wenn man so will. Freiheit, um die sie viele beneiden. Und die viele gar nicht verstehen können. Auf dem Haldern Festival dieses Jahr, da gab es auf der Bühne diese Momente, in denen Wasser einfach nur jauchzte und gluckste. Und dabei in ein Meer verständnisloser Gesichter blickte.

Aber Wasser interessiert das herzlich wenig, dazu ist sie schon zu lange Künstlerin. Seit Beginn der 1990er Jahre macht sie in verschiedenen Formationen Musik, meist an der Violine, die sie seit ihrem achten Lebensjahr spielt. The Dambuilders ist die bekannteste ihrer unbekannten Indie-Rock Bands. An der der Boston University spielt Wasser im Orchester, reift zur Studiomusikerin heran und kann bis heute Arbeiten für so illustre Künstler wie Lou Reed, Elton John oder Sheryl Crow verbuchen. Der Knackpunkt, der Wendepunkt, das ist der Mai 1997, als ihre große Liebe und Hoffnungsschimmer am Songwriter-Horizont, Jeff Buckley, auf so tragische Art und Weise ums Leben kommt. Buckley ertrinkt in einem See in Memphis, Tennessee. Und hinterlässt eine trauernde Freundin, die Jahre braucht, bis sie sich künstlerisch fängt - und bald so sicher steht wie noch nie. Antony and the Johnsons nehmen sie mit auf Tour, Rufus Wainwright lässt Wasser obendrei noch im Vorprogramm spielen. Ganz allein an Gitarre und Klavier.

Aber es dauert, bis Joan Wasser sich traut, eigene Songs zu schreiben. 2006 wird ihr Debüt "Real Life" veröffentlicht. Es überzeugt auf gazer Länge und zeigt eine gefestigte Persönlichkeit, die mit dem Zweitwerk "To Survive" in diesem Jahr sogar noch nachlegen kann. Im brechend vollen Künstler-Zelt irgendwo hinter der Hauptbühne des Haldern-Festivals sitzt sie da und trinkt Tee, wirkt dabei aber so kraftvoll, dass sie sofort unter allen herumwuselnden Künstlern hervorsticht. Ein kurzes, zaghaftes Gespräch über ihre Heimat beginnt.

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Abgebrüht: Joan Wasser

Wo fühlst du dich zuhause?
Joan Wasser: Dort wo meine Freunde sind. Und die habe ich die meiste Zeit um mich herum. Am meisten allerdings fühle ich mich in New York City zuhause.

Du kommst eigentlich aus Norwalk, oder...?
Ja, es liegt im Dunstkreis von New York, ist aber genauso facettenreich. Nur kleiner. Man findet dort alles: jede Hautfarbe, jeden sozialen Backround, jede Form von Reichtum und Armut.

Typisch amerikanisch also?
Ja, genau darauf basiert Amerika. Auf Vielfalt. Man findet nicht viele so kleine Orte auf der Welt wie Norwalk, die so facettenreich sind.

Gibt es einen Ort auf der Welt, den du in deiner Jugend als magisch empfunden hast?
Ja, den gibt es tatsächlich. Norwalk liegt ja direkt an der Küste. Und ganz in der Nähe gibt es eine kleine Insel mit einem ausladenden Sandstrand. Jeden Sommer meiner Kindheit habe ich dort verbracht...

Kehrst du manchmal dorthin zurück?
Nein, nie. Meine Familie lebt nicht mehr in Norwalk.

Gibt es einen Ort, den du als Ausgangspunkt für deine musikalische Entwicklung ansehen würdest?
Ja, in Norwalk gibt es ein kleines Musikgeschäft. Zumindest gab es das mal. Dort habe ich im Alter von 8 Jahren meine erste Violine gekauft. Ich war so glücklich wie noch nie zuvor in meinem Leben. Und wie selten danach.

Deine Karriere aber hat erst in Boston angefangen...

Als ich auf dem College war. Damals lernte ich alles nötige über Musik. Die Grundlagen kannte ich schon. Aber Live-Auftritte, das war etwas, das ich noch nicht kannte. Wie man vor einem Publikum spielt - das war etwas völlig neues für mich.

Hast du kleine Rituale, die dich auf Tour an zuhause erinnern?
Ich habe immer ein Paar weiße Pyjamas mit auf Tour. Aber ehrlich gesagt: durch das Internet ist die Kommunikation mittlerweile so einfach geworden. Das gefällt mir.

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Joan As Police Woman

Wenn du im Ausland bist: fühlst du dich deinem Land verbunden? Bist du ein Patriot?
Ja, ich liebe die USA, aber ganz offensichtlich nicht unsere momentane Regierung. Unsere gegenwärtige Regierung repräsentiert nicht das Volk, und sie führen das Volk auch nicht. Die haben keinerlei Ahnung davon, was das amerikanische Volk braucht und was das amerikanische Volk will. Das wird sich aber gottseidank bald ändern. Alle um mich herum sind geradezu beflügelt von der Hoffnung auf Veränderung.

Du singst in "The Ride": "We'll cut the whip and lose the anchor". Bist du rastlos?
Nicht rastlos, aber ich verändere mich gern und häufig. Gewollt. Jeden Tag. Das ist wichtig. Ich bin kein Mensch, der sich gern festlegt, der gern sesshaft wird. Ich möchte so frei wie nur möglich sein.

Ist das schwer?
Es ist sehr schwer! Man muss auf sich selbst acht geben. Auf die Art und Weise, wie man sich verhält. Ich beobachte mich ständig. Respekt und Verantwortungsgefühl - das sind zwei Charaktereigenschaften, um die man täglich kämpfen muss.

Warum wollen bloß alle immer frei sein? Was heißt das überhaupt - Freiheit? Sagt man sich nicht automatisch von einer Gemeinschaft los, wenn man frei sein will...?
Oh nein, ganz und gar nicht. Du kannst doch auch innerhalb einer Gemeinschaft, einer Familie, eines Staates frei sein. Ich rede hier von Freiheit was die eigene Persönlichkeit angeht. Freiheit heißt nicht für mich, nackt durch die Gegend zu laufen und sich wie ein Idiot zu benehmen. Freiheit heißt für mich, meine Persönlichkeit entfalten zu können.

Ist man als Künstler auf der Flucht, wenn man auf Tour ist?
Keineswegs. Im Gegenteil: auf Tour treffe ich so viele Menschen, ich stelle eine Verbindung her während meines Konzertes, durch die Musik. Und ich kommuniziere - hier gerade mit Dir. Deshalb mache ich Musik. Ich will eine Verbindung herstellen, nicht mich isolieren.

Aber das ständige touren macht es schwieriger, sich niederzulassen, oder?
Es ist zumindest sehr schwer, eine Familie zu gründen, Kinder zu haben. Das meinst du doch damit, oder?

Ja, eine Ehe, ein Haus, Kinder. Das, was sich Menschen unter Heimat vorstellen...

Kinder interessieren mich nicht.

Warum nicht?
Davon gibt es genug auf der Welt. Wir platzen aus allen Nähten. Noch mehr Kinder auf dieser Erde müssen nun wirklich nicht sein...

So wie New York, das platzt auch aus allen Nähten...
Oh ja. Aber ich kehre trotzdem immer wieder dahin zurück. Es ist mein Heimat. Und der freundlichste Ort der Welt!


Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


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