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Melt! Festival 2007

++ der Nachbericht +++ der Nachbericht +++ der Nachbericht +++ der

 

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Viel war im Vorfeld aus dem Bekanntenkreis zu hören. Melt! und so, sollte man hin, will man nie wieder weg. "Und die Kulisse erst, man!" Kulisse, jaja. Inzwischen hat man ja genug Bilder gesehen von all den Kränen, vom See, von aufgestylten Electrofetischisten und schlecht geföhnten Indie-Jüngern. Dazu ein Großaufgebot an Künstlern aus den kollidierenden Sparten Indie und Technoid. Da kann einem ganz mulmig werden und man fragt sich zurecht, wo das, im zehnten Jahr des Bestehens, noch alles hinführen soll.

Zunächst ist da also die skepsis-geschwängerte Vorfreude, das Schlachten der heiligen Festival-Kuh steht an. Und den ersten Dämpfer gibt es gleich am Eingang: völlig unmöglich soll es sein, mit dem Auto wenigstens in Rufweite des Campingsplatzes zu gelangen. Im tiefsten Provinz-Deutsch wird man brüsk abgewiesen. Was folgt, gleicht einem schlecht nachgespielten Monty Python Witz. Geschleppe, Getrage, Gefluche, Gestolpere, Geschwitze. Es ist ja nicht so, dass wir hier auf dem Melt auf Luxus verzichen wollten, oder? Also muss das alles da hin: Zelt, Pavillon, Tisch, Stühle, Bierkisten, Kühlboxen, Kühlbox mit Trockeneis. Als alles endgültig in einem Wirrwarr aus Fluchen und Nölen an seinen rechtmäßigen Platz gelangt ist, heisst es: entspannen. Melt!-Luft einatmen.

Großer Fehler: Donnerstags anreisen. Führt unweigerlich zu: Euphoriebesäufnissen. Folge: der Festivalbeginn verzerrt sich in der Wahrnehmung. Für ein kühles Handtuch (die einsetzende Sonne ist fürchterlich) wird auf die ersten Künstler verzichtet. Dann aber, nach einer Endloswanderung Richtung schöner Kulisse, wird das Festivalgelände betreten. Jamie T soll dort spielen, das darf und will man nicht verpassen. Vorbei an Fressbuden, vorbei an Batikständen, T-Mobile-Funktürmen, Nokia-Shops und Becks-Promenade. Und da steht man dann, im Melt!'schen Audimax, und lauscht, glotzt und feiert.

Jamie T ist viel zu schnell. Er rast durch seine Lo-Fi-Kunststückchen. Das steht ihm gar nicht so gut zu Gesicht. Die gelangweilte Band sieht auch nicht gerade so aus, als wolle man hier den Gig seines Lebens abliefern. Allein: Jamie T ist voll bei der Sache, tänzelt und hopst herum, ist gut gelaunt.

Was folgt ist ein Gang über das Gelände. Mit einem kleinen, von Fanzine-Betreibern geplanten Dorffest hat das hier wenig zu tun. Mit einem aufgeblasenen Monster-Festival wie dem Hurricane zum Glück aber auch nicht. Knapp 16.000 Menschen sollen da sein. Die meisten verteilen sich über zig Bühnen und Zelte. Ein so schlau konzipiertes Gelände ist selten und es tut gut, immer wieder ausreichend sitzen zu können. Fressen, saufen, feiern, Handy kaufen, Musik hören, feiern - manchmal könnte man meinen, die Betreiber des Melt! bastelten hier an einem neuen Super-Konsumenten. Der Blick auf die teils ins absurde abdriftenden Kostüme der New Space Jugend lässt allerdings gegenteiliges erahnen. Ins Delirium geschossene Hirne, in engsitzende Neon-Röhren gepresste Wurstbeinchen, Amphibien-Sonnenbrillen und krakenartige Frisuren - es gibt eben nichts, was es nicht gibt. Und auf dem Melt! gibt es davon reichlich.

Danach: Kettcar. Ein Band wie ein Stein. Unnachgiebig sind sie da, bleiben, gehen irgendwann wieder. Die Songs kennt man, sie gefallen, klingen seit geraumer Zeit auch wieder richtig druckvoll und kompakt. Auch einen neuen Song hat man im Gepäck - wird also Zeit für ein neues Album. An den Hauptact des Abends werden sie diesmal aber nicht herankommen: The Notwist spielen. Nein, eigentlich spielen sie nicht, sie konstruieren. Immernoch eine der besten deutschen Bands, die es gibt. Zwar besteht das Set fast ausschließlich aus Neon Golden, die drei neuen Songs entschädigen dafür aber umso mehr. Ein reines, explosives Instrumentalstück, eine absolut bombastische Hymne und ein von fehlerhafter Technik zersetztes Stück am Ende des Sets. "One with the freaks" beendet dann den pompösen Auftritt mit kleinen Macken.

Was danach geschieht, klingt weniger gruselig, als es ist: Motorpsycho spielen alles leer. Die Festivalmeute vor der großen Bühne um die Hälfte zu minimieren muss einem auch erstmal einer nachmachen. Dass es mit Feedbackorgien eigentlich doch gar nicht so schwierig ist, zeigt das Melt, respektive Motorpsycho. Eine andere Band macht da alles richtig: die Thermals beenden den Samstag würdevoll mit Krach, Schweiß und einem gigantischen Coca Cola Logo zur Linken. "Here's your future"!

Der Samstag verläuft sich dann in zäher, schwitziger Masse. Bewegung gleich null, es werden lediglich Wasserlachen mit dem Handtuch abgeschöpft - zwecks Kühlung. Ein Wahnsinn ist das. Zum Glück spielen die Shout out Louds schon halb sieben. Wie gewohnt gut, wie gewohnt gut auch die Clash-Einlage. Hot Chip liefern dann den besten Auftritt des gesamten Festivals (Hörensagen) und Tocotronic machen den Deckel entgültig zu. Stromlinienförmig tragen einen "Kapitulation" und "Imitationen" durch die Nacht. Ein paar esoterische Ansagen später dürfen Black Rebel Motorcycle Club ran, zertrümmern und zerhacken den Rock'n'Roll, liefern ab, gehen, entlassen in die Nacht. Kelis nervt, Lo-Fi-Fnk sind niedlich wie immer, Digitalism machen alles klar - und Shitdisco werden entgültig zum Synonym absurder Medienhypes. Denn bei einem gefühlten Anteil an New Rave Kiddys um die 70% ist es bei der einziges echten New Rave Band des Festivals unfassbar leer. Dabei liefern gerade die einen unglaublich mitreißenden Auftritt ab.

Aber das ist eben das Melt! Wunderschön und voller Wiedersprüche. Im nächsten Jahr gerne wieder!

Text: Robert Heldner
Foto: Philip Bogdahn


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