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PeterLicht Interview

Melancholie und Kapitalismus


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Bevor man das neue Album von PeterLicht genießen kann, muss man sich klar werden, dass nicht der Mensch hinter der Figur das Entscheidende ist. Wichtig sind die Ideen und die Stimmungen, die PeterLicht transportiert, jenseits von Verkultung, Heroisierung oder affektiertem Stardom. "Melancholie & Gesellschaft" lebt, genau wie der Vorgänger "Lieder vom Ende des Kapitalismus", von den Gedankengängen einer fiktiven Wir-Figur. Peter Licht ist ein Jedermann ohne spezifische Charaktereigenschaften. Er ist genauso Spießer wie linker Zeitkritiker, genauso Moralist wie Melancholiker. PeterLicht geht gern spazieren, er schaut sich Menschen an und denkt nach. Das alles landet dann auf einer Langspielplatte und mit etwas Glück und Verstand können wir alle darin etwas Wahres erkennen. Oder dann auch eben nicht. So genau weiß das Peter Licht nämlich nicht.

Sein Gesicht kennen nur die Konzerbesucher, den Rest der Öffentlichkeit spart sich PeterLicht gern. Das ist nicht nur völlig unwichtig, wer da eigentlich hinter der Figur steht. Es ist auch ein Schutz vor den Mechanismen der Medienwelt. Vielleicht würde man PeterLicht nicht so würdigen, wenn man jeden Fetzen seiner Biographie kennen würde. Die Anonymität nützt also beiden seiten. Das macht es aber nicht immer ganz leicht, mit PeterLicht zu telefonieren. Er macht nämlich lange Pausen. Er will nichts Falsches sagen, manchmal möchte er gar nichts sagen, dann wieder sprudelt es aus ihm heraus. So richtig zu fassen bekommt man ihn nicht. Dabei hatte man die letzten zwei Jahre seit "Lieder vom Ende des Kapitalismus" so oft die Möglichkeit dazu gehabt. Theaterprojekte, Lesungen, Buchveröffentlichung, Tourneen - PeterLicht stand oft genug in der Öffentlichkeit.

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Bücherwurm: Peter Licht

Du warst in den letzten zwei Jahren viel auf Tour, hat das letztlich auch "Melancholie & Gesellschaft" geprägt?
Nö, das würde ich nicht sagen. (Pause) Ach, das ist so schwer zu sagen.

Man merkt das an der Instrumentierung, die hat sich stetig verändert...
Stimmt, daran kann man das gut festmachen. Ich bin ja seit zwei Jahren erstmals mit Live-Band unterwegs, und das beeinflusst einen dann schon. Da ist alles handgemacht, kein Midi, keine elektronischen Sounds und Beats. Das Schlagzeug ist teilweise nur eine Pappkistensammlung, wir wechseln die Instrumente. Das ist mir alles erst im Nachhinein aufgefallen. Zum Beispiel nimmt das Klavier inzwischen einen großen Raum ein auf der Platte - weil es eben auch auf der Bühne sehr präsent ist.

Gibt es einen Punkt, an dem du weißt, dass eine Platte her muss?
Ja, den gibt es. Dem geht meistens ein Moment der Ruhe voraus. Wann aber ein Album dann schließlich nach draußen geht, der Zeitpunkt hat sehr viel mit dem ganzen Apparat zu tun, mit Planung.

Gibst du dich da freiwillig in Zwänge?
Nein, ich versuche schon, den Apparat nach meinen Bedingungen und Wünschen zu montieren. Letzten Endes kann ich nur dann veröffentlichen, wenn ich auch wirklich meine, dass es das wert ist. Natürlich gebe ich mich diesem Apparat hin, indem ich, wie jetzt gerade, eine Platte bewerbe. Aber das empfinde ich auch nicht als negativ - im Gegenteil.

Ist das Werbung? Oder vor allem ein "sich erklären müssen"?
Natürlich ist das erstmal Werbung. Ich möchte medialen Raum besetzen, damit die Sache, mein Leben, gut funktioniert. Die Auseinandersetzung damit, die Tatsache, dass ich mich erkläre, kann aber auch bereichernd sein.

Wir befinden uns ja gerade im Jubiläumsjahr der 68er. Ausgerechnet jetzt platzt du mit "Melancholie und Gesellschaft" ins Geschehen. Ist außer stiller Melancholie gar kein Aufbegehren mehr möglich?
Ja, vielleicht ist das wirklich so. Melancholie ist ja auch ein Aufbegehren. Man schafft sich damit ja einen eigenen privaten Raum. Aber die Utopien der 68er sind durchverhandelt. Inzwischen steht jede Utopie unter dem Verdacht, dass da ganz viel Scheiße mitkommt. Jede Utopie endet im Völkermord - da wird man dann misstrauisch. Frisch und fröhlich eine neue Revolution ausrufen geht jetzt nicht mehr.

Was hat eigentlich dafür gesorgt, dass PeterLicht auf seinem neuen Album milder geworden ist im Umgang mit der Gesellschaft?
Ist das so? Das finde ich gar nicht.

Zumindest ist PeterLicht nicht altklug und verbittert.
Das sagst du jetzt. Danke. Milde, was ist milde? Da tu ich mich schwer mit. Ich empfinde milde als...

...Vorwurf?
Gut gekontert. Als denkender Mensch kann man entweder die Dinge so betrachten wie sie sind und sich als Teil davon verstehen. Oder aber man rennt, man singt und agiert dagegen an. Beides sind gleichzeitig überzeugende und nicht überzeugende Konzepte. Dazwischen bewegt sich PeterLicht. Und kann nie nur milde sein. Oder nur zornig.

Den Kapitalismus, den PeterLicht besingt, der hätte aber doch eigentlich eine viel wütendere Anklage verdient, oder nicht?
Es gibt ja die Unterscheidung zwischen Wut und Zorn. Der wütende Mob, der Proletarier, ist ja per Definition schon immer der systemisch Unterlegene gewesen. Und der Herrscher ist immer der Zornige. Melancholie ist in diesem Zusammenhang eine subversive Kraft, die jenseits dieser beiden Gefühle steht. Man ist als Melancholiker unangreifbar. Ich finde es sehr interessant, dass Stalin, Hitler oder die Könige des Absolutismus nie Melancholiker um sich hatten. Weil man mit denen keinen Staat machen kann.

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Aktuell: Melancholie und Gesellschaft in 2008

Waren die 68er nicht auch Melancholiker?
Nein, der Revolutionsscheiß war romantische Folklore. Was will man denn mit Wut produktives erbringen? Das geht gar nicht.

Als Melancholiker, vor allem als melancholischer Texter, hat PeterLicht sich nie um das genaue Ablichten der Realität bemüht...
Das geht ja auch gar nicht. Das genaue Ablichten der Realität ist nicht möglich. Da ist es wichtig etwas entgegenzusetzen, was gar nicht erst den Anspruch erhebt, realitätsnah zu sein.

Du hast mal gesagt: PeterLicht ist kein politischer Chronist. Trotzdem wird PeterLicht als zeitkritisch empfunden. Ist das ein schmaler Grad?

Überall wo ich jetzt den Mund aufmache, da ist auch ein schmaler Grad. Ich habe die ganze Zeit das Bedürfnis mir selbst ins Wort zu fallen und das Gegenteil von dem zu behaupten, was ich gerade gesagt habe. Am liebsten würde ich gar nichts sagen wollen, aber das geht nicht.

Da ist es ja ganz hilfreich, dass du mit PeterLicht so ein Alter Ego erschaffen hast...
Das ist hilfreich, obwohl dieser innere Dialog bei Peter Licht im gleichen Maße stattfindet. Er ist ja keine Figur, die für irgendetwas Klares steht. Es ist aber definitiv ein Verfremdungseffekt, der mir sehr hilft.

Ist die Anonymität ein Schutz vor der Medienwelt?

Ja, ein absolut notwendiger Schutz.

Ironischerweise haben sich die Medien gerade auf diese Anonymität gestürzt. Bereust du das ein wenig?
Nein. Das ist hier natürlich auch wieder so ein schmaler Grad. Auf der einen Seite möchte ich etwas veröffentlichen, ich möchte es definieren. Bin aber ganz aktiv damit beschäftigt, für die aktuelle Platte Öffentlichkeit zu erzeugen. Das Scheitern läuft parallel mit.

Bröckelt mit jedem Album die Fassade?

Nö, die wird immer wieder aufgebaut. Es geht einfach immer weiter.

Bist du noch Utopist? Kommt am Ende bei all dem Mist in der Welt noch etwas Gutes herum? Oder wird nach all der Melancholie PeterLicht am Ende sogar zum Zyniker?
(lange Pause) Zynismus sollte nicht kommen. Die Melancholie ist sehr eng mit der Utopie verknüpft, sozusagen vom Denken her benachbart. Es würde mich melancholisch machen, wenn nach der Melancholie der Zynismus kommt. Ich würde keinen Sinn darin sehen, Zynismus in die Welt zu streuen.

...und es würde viele Menschen, die PeterLicht mögen, verstören.
Das wäre mit dann aber in diesem Falle egal. Mich würde es ja auch verstören. Viele Menschen sagen ja auch, das sei zynisch und sarkastisch, was ich da mache. Das seien alles nur Worthülsen.

Also steuerst du doch die Richtung, die PeterLicht einschlägt?

Nein, ich wüsste nicht was man im Leben steuern kann. Und gerade bei solchen Prozessen, wenn es um Stimmungen und Emotionen geht wie in der Musik, ist Kontrolle schwer.

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


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