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Kettcar (Erik) Interview

Hits '85

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Wenn alles gut geht, denken wir, dann machen wir das öfter. Mit Künstlern in Plattenläden gehen, stöbern, reden – mal nicht über die Produktion des neuen Albums oder Verkaufszahlen, Labelwechsel. Sondern über das, was allen Musikern zugrunde liegt: die Musik selbst. Und weil Backstage-Räume gewöhnlich nicht gerade geeignet sind dafür, soll es in Zukunft in unregelmäßigen Abständen immer mal wieder in Plattenläden gehen.

Den Auftakt macht Erik Langer, Gitarrist von Kettcar. Das letzte Album, in einem Prospekt eines führenden Elektronikfachhandels als „Von Katzen und Trauben ...“ betitelt, hat sich mehr als 30.000 mal verkauft und sichert seit März diesen Jahres den Ruf des Grand Hotels (und dessen Brieftasche). Kettcar, am Anfang von großen Plattenfirmen verschmäht, hat sich inzwischen zu einer Institution entwickelt, von der man durchweg grandiose Musik mit grandiosen Texten erwarten kann. Kontinuität ist ja selten, heutzutage. Der Weg dahin war, wie so oft, steinig und ereignisreich. Schon lange bevor überhaupt die ersten Kettcar Songs entstanden.

Wann wurde Musik in deinem Leben zum erstenmal wichtig?
Erik Langer: Ich habe als Kind schon immer im Chor gesungen. Das war eigentlich ganz schön, weil ich so immer noch meine ganzen Freunde aus der Grundschule um mich herum hatte. Das Singen hat mir immer unheimlich viel Spaß gemacht, obwohl ich privat ganz andere Interessen hatte. Mit 16 war ich Punk.

Aber da warst du dann nicht mehr im Chor, oder?
Doch! Das hat sich nicht unbedingt ausgeschlossen. Ich bin zwar dann regelmäßig rausgeschmissen worden, aber das hat mich nicht davon abgehalten, da immer wieder hinzugehen. Ich wollte halt meine Freunde sehen. Naja, und dann habe ich angefangen, Gitarre zu spielen. Ich hab am Anfang sogar ganz klassischen Gitarrenunterricht bekommen. Genau zwei mal. Dann hatte ich keinen Bock mehr. Und als dann irgendwann mein Onkel mich mal hat auf seiner E-Gitarre spielen lassen, da hat’s dann gezündet. Einfach mal so richtig Krach machen. Mir hat das so gut gefallen. Das hat mein Onkel mitbekommen und mir später die erste E-Gitarre geschenkt. Und dann hatte ich auch gleich meine erste Band.

Wie hieß die?
Oh, ganz toller Name .... „Missing Link“. Wir haben halt gedacht, das wäre total intelligent. Aber das tolle war, dass alle Bandmitglieder eigentlich gar nicht spielen konnten am Anfang. Der Schlagzeuger hatte eine ganze Weile nur auf Koffern gespielt, bis er sich dann mal eine Fußmaschine aus dem Musikraum in der Schule geklaut hatte. Und ich habe auf der E-Gitarre immer auf einer Seite den Finger hin- und herrutschen lassen. Solange, bis ich meinen ersten Akkord konnte.

Kannst du dich noch an das erste Konzert erinnern?
Hm....ja, kann ich.

War es ein Geburtstag?
Kann gut sein. Es war auf jedenfall auf einem Bauernhof. Wir haben auch nur drei oder vier Lieder gespielt, weil wir nicht mehr hatten. Und danach ging es dann eigentlich ganz gut weiter. Mit den ganzen Bands bin ich wenigstens auch aus diesem Kleinstadtnest herausgekommen. Später habe ich dann eine Weile bei Sometree gespielt, aber so lange hat das nicht gehalten, weil die nach Hannover und ich nach Hamburg gezogen bin. Und da habe ich dann sehr viel Tourbegleitung gemacht für ganz unterschiedliche Bands. Mit Tomte zum Beispiel. Und so habe ich dann auch Markus kennen gelernt. Und so bin ich mit Kettcar dann mehr oder weniger zufällig aneinander geraten. Markus und ich saßen in einer Kneipe, haben ein Bierchen zusammen getrunken. Und da kamen wir drauf zu sprechen. „Hey, du spielst doch auch Gitarre, oder?“ „Ja, ja!“ „Wir haben ein paar Songs, willst du dir die mal anhören?“ Und am nächsten Tag ist er dann zuhause vorbeigekommen, hat mir die gezeigt. Ich fand die toll, wir haben zusammen geprobt und haben dann ein paar Termine im Vorprogramm von Tomte gespielt.

Bist du jemand mit einer großen Plattensammlung?
Ja. Wobei ich in letzter Zeit fast nur MP3s höre. Ich höre ganz oft „Oh, man braucht doch was zum anfassen. Schönes Booklet und so.“ Aber ich brauch das nicht.

Mit MP3s ist das so eine Sache. Da hört man Alben kaum noch durch ...
Ich habe es in letzter Zeit auch selten, dass ich mich hinsetze und konzentriert Musik höre. Ich wohne mit meiner Freundin zusammen und wir haben einen ähnlichen Musikgeschmack. Aber viele Sachen die ich liebe und verehre kennt sie nicht. Und manchmal kommt es vor, dass wir uns abends hinsetzen und beide mit Kopfhörern das gleiche Album durchhören. Und dann hänge ich ganz nervös rum und mache sie auf die ganzen Stellen im Album aufmerksam, die ich so großartig finde. Also manchmal kommt die große Liebe zur Musik doch wieder durch und man nimmt sich die Zeit.

Gehst du trotzdem noch ab und zu in Plattenläden?

Ja, doch. Ich kaufe auch noch Alben. Aber die ziehe ich mir sofort auf den Rechner. Generell tausche ich mich halt viel mit Freunden aus. Und Musikzeitschriften blättere ich auch gern durch. Und wenn mich Sachen ansprechen, höre ich mal rein, kaufe mir das. Und wenn mir nur ein Lied gefällt, dann kann es auch mal vorkommen, dass ich mir das runterlade. Da habe ich keine dogmatischen Ansichten.

Hast du eine gewisse Genreaffinität?
Ich bin momentan unglaublich gelangweilt von dem ganzen Kram der aus England rüberkommt. Bloc Party waren ja noch gut. Aber mit anderen Bands, da habe ich gar nicht erst die Lust, mich mit denen großartig auseinanderzusetzen. Kaiser Chiefs zum Beispiel. Oder Art Brut. Ich kann einfach nicht jeder neuen Band eine Chance geben. Dazu fehlt mir einfach der Nerv. Die Zeiten, in denen ich von Bands und deren Musik vollkomen überrascht und geplättet war, die sind leider vorbei.

Was war denn die letzte Platte, die dich wenigstens einigermaßen vom Hocker gehauen hat?
Hm. Die letzte ...Trail of Dead fand ich sehr gut. Aber auch nur eine kurze Zeit lang.

Woran liegt das?
Ich denke man hört über die Jahre so viel, dass einen dann nichts mehr so richtig überraschen kann. Ich habe mit zehn Jahren meine erste Platte gekauft, jetzt bin ich fast dreißig.

Was war denn die erste Platte?
Ich glaube „Hits 85“ oder so ein Kram. Dann kam „Hits 86“ und dann irgendwann die erste Maxi von Iron Maiden. Und wohl auch eher zufällig, weil die eben so günstig war. Und dann kam ziemlich schnell „Nach uns die Sintflut“ von den Ärzten. Das war auch das erste mal, wo ich wirklich eine Band auch als Band begriffen habe.

Kannst du die Ärzte heute noch hören?
Klar. Ich bin immer ganz froh, wenn die mal im Radio gespielt werden. Privat zuhause höre ich die jetzt nicht. Aber ich habe großen Respekt vor ihnen.

Hast du viel Geld für Platten ausgegeben?
Nein, ich glaube nicht. Man kann das ja immer schlecht selbst einschätzen. Aber meistens habe ich mir von Freunden Alben ausgeliehen und die dann auf Kassette überspielt. Das hat mir auch vollkommen gereicht. Ich war da nie so ein Soundfetischist. Platten habe ich hauptsächlich dann gekauft, wenn ich wusste, dass die sonst keiner hat. Aber das war auch so ein Problem. In dieser Kleinstadt damals gab es einen Plattenladen. Und der war unglaublich scheiße. Meistens musste man die Sachen bestellen. Und dann immer auch ganz genau angeben, was man haben wollte, sonst haben die das nicht gefunden. Mit Labelangabe und Erscheinungsjahr. Das war irgendwann auch recht deprimierend, weil ich dann zwei Wochen warten musste. Und in der Zwischenzeit hatte ich es dann doch von nem Kumpel bekommen. Was ist das denn da? (zeigt auf ein Album im Regal) „Decorder“, ich glaube die haben uns mal ein Demo geschickt. War ganz annehmbar.

Wie ist das mit den Veröffentlichungen auf dem „Grand Hotel“? Bist du da durch die Bank begeistert?
Klar. Vor allem die neue Maritime finde ich prima. Die läuft auf Tour immer nach dem Konzert im Bus. Richtig schön laut, hört sich klasse an. Aber gerade bei Maritime werde ich immer etwas wehmütig, weil ich ein so großer „Promise Ring“ Fan bin und ich der Band, als sie damals durch Deutschland getourt sind, auch hinterhergefahren bin. Also an Promise Ring kommen Maritime einfach nicht heran. Trotzdem freue ich mich darüber, dass wir ein Label teilen.

Was denkt man im Plattenladen, wenn man das Album seiner eigenen Band sieht?
Man freut sich. Ich suche auch jedes Mal danach. Und wenn ich es dann finde, stelle ich es auch gleich nach vorne. Manchmal steht so was dann in der Rubrik „Deutschrock“, aber mein Gott, so erreicht man vielleicht noch ein paar andere Menschen. Ich finde das sieht man auf unseren Konzerten ganz gut.

Hast du herausragende Konzerterlebnisse aus deiner Vergangenheit? Du hast gerade Promise Ring angesprochen...
Mir fallen gerade nur Emo-Bands ein. Komisch. Naja, jedenfalls war ich mal bei „Texas is the Reason“, als sie mit „Samiam“ unterwegs waren. Das war in Salzgitter, im Forellenhof. Es war sehr voll, ich glaube vierhundert Menschen. Nur bei „Texas is the Reason“ waren gerade mal zwanzig Leute, die anderen waren alle draußen und haben auf Samiam gewartet. Dabei war das Konzert der Wahnsinn. „Texas is the Reason“ hatten alles reingelegt, was sie hatten, ganz großartig. Von Samiam habe ich noch zwei Lieder gesehen, danach bin ich nach Hause gefahren weil ich wusste, dass keine Band das mehr hätte toppen können.
Es gab dann noch ein Konzerterlebnis mit einer ganz unbekannten Band, die ich zweimal im Molotow in Hamburg gesehen habe: US Maple. Die gibt’s inzwischen gar nicht mehr und besonders bahnbrechende Platten haben sie auch nicht hinterlassen. Jedenfalls war das so Hardcore-Freejazz, ganz verwirrend. Aber gleichzeitig so mitreißend, dass ich, als ich später den Club verlassen hatte, so etwas wie ein kleinwenig Verständnis für religiöse Gruppe hatte. Und als ich die das zweite mal gesehen hab, war genau das gleiche passiert und ich dachte mir: „Das kann doch nicht wahr sein!“ Und wenn ich angeben will: 1992 habe ich „Wedding Present“ in Hannover gesehen. Da beneidet mich heute mein ganzer Freundeskreis drum. Aber die richtig geilen Konzerte habe ich leider meistens verpasst. Was noch gut war, war Pavement, im Vorprogramm Stereolab und beim letzten Lied kamen noch Blumfeld auf die Bühne und haben mit allen zusammen „Verstärker“ gespielt. Stephen Malkmus war irgendwann auf dem Rücken von Jochen Diestelmeyer und hat die ganze Zeit „Amplifier“ gerufen. Das war der Hammer.

Was ist mit dieser Band hier? „Element of Crime“?
Hab ich mich nie so mit befasst, im Gegensatz zu anderen Herren in der Band. Und die Sachen auf Englisch früher waren ja grausam.

Du hast es vorhin angesprochen: Demos. Ihr hört wirklich alle durch und antwortet den Künstlern?
Klar. Also es sei denn da kommt etwas so Genrefremdes, dass sofort erkennbar wäre, dass wir das nie veröffentlichen werden. Aber in den meisten Fälle antworten wir schon. Wir teilen das auch auf. Und oftmals hast du da echt ein Demo vor dir, da denkst du: meine Güte, was soll das? „Ja....ich erreiche mit meiner Musik hauptsächlich Hausfrauen über vierzig. Das geht voll derbe nach vorne.“ Aber da antworte ich auch, weil ich sehe, dass da jemand ist, der seine Hoffnungen damit verbindet. Und am liebsten antworte ich Bands, bei denen man hört, dass das Fans sind. Denen ist das dann auch unheimlich wichtig, Antwort zu bekommen. Ich kann mich nämlich noch an jede einzelne Antwort erinnern, die wir früher bekommen haben. Selbst über Absagen haben wir uns damals gefreut, weil es überhaupt eine Reaktion war auf das, was wir ihnen geschickt hatten.

Hebt ihr Demos auf?
Von zwanzig Stück vielleicht zwei. Der Rest kommt irgendwann in den Müll, so sieht es leider aus. Aber oftmals sind Sachen dabei, die einfach zu schade dafür sind. Dann nehme ich die mit auf Tour und zeige sie den anderen oder lege es ins Büro. Aber es ist eigentlich nie etwas dabei, wo ich denke: „Meine Fresse, daraus könnte echt was werden.“ Die Aufnahmekriterien des Grand Hotels sind einfach extrem hart. Entweder es muss eine Band sein, von der alle schon seit Jahren Fans sind oder es müssen Freunde sein, die auch noch tolle Musik machen. Es ist immer so schade, dass viele junge Bands sich nicht selbst eine Szene aufbauen, so wie wir früher. Ich schreibe das auch meistens in die Absagen: „Mensch Leute, baut selbst was auf. Erwartet nicht, dass Labels, die keine Zeit oder kein Geld oder keine Lust haben, sich um euch kümmern.“ Das wichtigste ist, selbst aktiv zu werden, rauszukommen, auf Tour zu gehen. Das ist die halbe Miete. Und in diesem Musikbusiness ist es halt einfach so, dass du Leute kennenlernen musst. Und das schaffst du, indem du Konzerte spielst.

Wird die nächste Kettcar Platte eigentlich wieder so lange brauchen? Schließlich müssten die Strukturen gerade im Label ja jetzt so eingespielt sein, dass das schneller klappt.
Also eigentlich dürfte das nächste Kettcar Album schneller kommen. Aber das liegt halt an Markus und Reimer. Wenn die plötzlich ein Riesending reinbekommen, das sie unbedingt veröffentlichen müssen, dann kann sich das natürlich wieder verzögern. Aber wir haben uns von unseren tollen Gagen jetzt jeder so ein kleines Homestudio zuhause eingerichtet. Alle sind motiviert, ich denke das geht das nächste mal etwas flotter. Wenn zum Ende des Jahres jetzt die Touren vorbei sind, dann werden wir auch wieder anfangen, neue Songs zu schreiben.

Erfolg ist ja nie planbar. Aber ihr habt vor kurzem im Vorprogramm von Coldplay gespielt. Sind das Dimensionen, die euch damals schon vorgeschwebt sind?
Wir haben alle lang genug in Bands gespielt, die nicht besonders erfolgreich waren. Deswegen war Kettcar schon ein wenig darauf angelegt. Wir wollten halt auch mal versuchen, so richtig Popmusik zu machen. Wobei wir das ja nicht wirklich machen. So richtig Pop ist das ja nicht.

Welches Lied von Kettcar ist von der Spielfreude her dein Lieblingslied?
Schwer zu beantworten. „Landungsbrücken raus“ ist sicher noch eines der besten, obwohl es schon so eine olle Kamelle ist. Aber das ist auch ein Lied, das wir im Proberaum sehr gerne spielen. Und auf Konzerten, wenn die Stimmung gut ist und ich die Rückkopplung ordentlich hinbekomme, dann ist „Nacht“ eines der besten. „Balu“ ist auch noch ein sehr wichtiges Lied. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, als Markus uns das Lied zum ersten mal vorgespielt hat ... na ja, da war ich kurz vorm heulen.

Interview: Robert Heldner + Sebastian Gloser
Text: Robert Heldner


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