Wegweiser durch sellfish.de

independent online music  |  info@sellfish.de

Realität und Fantasie

Kasper1.JPG

Kasper Eistrup und Mads Tunebjerg zwängen sich für ein kurzes Erinnerungsphoto in die Ecke des Grünspans, umgeben von blau-roter Beleuchtung. „Sagt mal, ihr habt Lou Reed getroffen, damit er ein Gedicht für euer neues Album einspricht. Ist er wirklich so ein arroganter Arsch, wie man aus den Medien immer hört?“ Kasper und Mads lachen kurz, grinsen verlegen und antworten dann: „Yeah, he is!“ Kasper, Sänger und Gitarrist der dänischen Band Kashmir kann das allerdings so nicht stehen lassen. „Er wird von vielen für arrogant gehalten. Tatsächlich ist er einfach nur unglaublich selbstsicher und überzeugt von sich. Wenn man mich fragt sind das keine wirklich schlechten Charaktereigenschaften!“

Zumindest bei der Band Kashmir würde niemand behaupten sie wären arrogant. Sowohl was die Kommunikation während eines Konzerts angeht als auch bei Interviewterminen: sie wirken gelassen und freundlich. Und redselig. Ob das dänisches Blut ist, wird sich an dieser Stelle wohl kaum beantworten lassen. Fest steht, dass Kashmir noch immer, nach all den Erfolgen seit der Bandgründung, ihrer eigenen Karriere staunend und ein wenig ungläubig gegenüberstehen.

Anfang der Neunziger gründen Mads Tunebjerg, Bassist, und Asger Techau, Schlagzeug, an der Kunsthochschule in Copenhagen die Band Kashmir. Nach den ersten Alben „Travelounge“ und „Cruzential“ steigt Keyboarder Henrik Lindstrand ein. Das Album „The Good Life“ erreicht in Dänemark Goldstatus. Nach vier Jahren Zwangspause gehen die Erfolge mit „Zitilites“ und dem neuen Album „No Balance Palace“ weiter. Große Halle, ausverkaufte Konzerte: die Band weilt auf ihrem Höhepunkt. Und hat dennoch nicht genug. Neben einer Ausstellung in Copenhagen und Berlin zur Entstehung des letzten Albums sind allesamt noch immer engagiert in Malerei, Lyrik, Photographie und .... Horrorfilmen!

Mads.JPG

Auf eurer Homepage kann man lesen, dass ihr auf Tour Kurzfilme dreht. Kleine Horrorfilme. Wie kam es dazu?
Mads: Das hat vor einem halben Jahr angefangen. Asger und ich haben damals angefangen, kleine Zombie-Filme zu drehen. Und im laufe dieser Tour haben sich plötzlich die restlichen Bandmitglieder beteiligt.
Kasper: Wir nennen sie „No-Budget-Movies“. Horrorfilme sind eigentlich ganz einfach zu machen. Und wir versuchen natürlich noch, das ganze so unheimlich wie möglich zu machen. Da reicht schon ein einfaches Mobiltelephon!

Ihr wart auf der Kunstschule. Kann man Horrofilme als gute Kunst bezeichnen?
Mads: Sicherlich! Wir sind an jeder Form von Kunst interessiert, nicht nur Musik. Auch graphische Sachen, Visualisierungen, Literatur, Filme. Als wir jung waren, haben wir uns deshalb dazu entschieden Musik zu machen, weil es die direkteste Form von Kunst ist.
Kasper: Das hätte auch alles ganz anders laufen können. Denn eigentlich wollte ich Architekt werden. Ich habe schon immer viel gezeichnet und gemalt, ich habe Animationsfilme und Cartoons gemacht. Aber letzten Endes ist zum Glück Kashmir dabei entstanden und wir wundern uns als Band heute noch, wie letzten Endes alles so abgelaufen ist, wie es letztendlich abgelaufen ist. Dass es so viele Menschen gibt, die sich für unsere Musik interessieren.

Habt ihr aus eurer Zeit an der Kunsthochschule etwas mitnehmen können, was euch letztlich als Band weitergeholfen hat?
Mads: Ich glaube die Form der Kommunikation und die Tatsache, mit den Meinungen anderer konfrontiert zu werden, das haben wir damals schon gelernt.
Kasper: Wir haben auch gelernt, uns nicht vor die Musik zu stellen, sondern dahinter. Viele erfolgreiche Bands heutzutage haben ein Image, das ihnen wenig Platz lässt, sich natürlich zu verhalten. Und viele Bands brauchen das. Sie brauchen einen Drogenabhängigen in ihrer Band, weil es ein Image ist, an dem man die Band in den Medien festmachen kann. Das ist nicht unsere Art. Aber letztlich ist es auch unser Anliegen, unsere Kunst zu teilen. Es nützt niemanden, ein Stück Kunst zu machen, das niemand versteht. Wir brauchen die Kommunikation und es ist natürlich ein schönes Gefühl, wenn Menschen auf dich zugehen und dir sagen, dass ihnen deine Kunst gefällt.

Hattet ihr damals eine klare Vision, als ihr Kashmir gegründet habt? Wusstet ihr, in welche Richtung ihr euch mal musikalisch entwickeln wollt?
Mads: Wir wussten, dass wir einen Album machen und immer wieder Touren würden. Das war uns bewusst. Nur zwei Wochen nach Bandgründung hatten wir unseren ersten Gig. Dass wir spielen würden, war uns also klar. Aber in welche Richtung die Musik gehen würde, davon hatten wir keine Ahnung.
Kasper: Außerdem mussten wir ja auch erst mal unsere Instrumente richtig lernen. Von einer Vision konnte also noch keine Rede sein. Aber was uns vereint hat war die Vorstellung, die richtige Kombination gefunden zu haben, dass das als Band funktionieren würde.

Habt ihr damals genug Rückhalt von Familie und Freunden bekommen?
Kasper: Bei meinen Eltern hat es sehr lange gedauert bis sie begriffen, dass ich Musik sehr ernsthaft betrieb. Aber mit einsetzendem Erfolg hat sich das auch gewandelt. Damals haben wir uns den Rückhalt innerhalb der Band selbst gegeben. Wir haben uns gegenseitig unterstützt.

Ist Musik als Kunstwerk gleichwertig mit Literatur oder Malerei? Ist Musik einfachere Kunst?
Kasper: Ich glaube nicht, dass man das so einfach gleichsetzen kann. Was ist schon Kunst, was ist schon einfach? Ich glaube, das schwierigste an Kunst, egal ob nun Musik, Malerei oder Literatur, ist, dass man selbst damit zufrieden sein muss. Sich selbst künstlerisch zu befriedigen und zu befrieden, das ist das wirklich schwere an Kunst. Weil man immer etwas aus seinem Kopf in die Welt draußen transportieren muss. Dabei geht manchmal viel verloren oder ist in der Realität letztlich nicht so schön wie in der Fantasie. Und damit muss man dann klarkommen. Aber das ist gleichzeitig auch das wunderbare an Kunst. Wenn es nämlich funktioniert, wenn das, was in deinem Kopf als Idee funktionierte, auch in der Realität funktioniert oder vielleicht sogar noch besser ist, dann kann dich das umhauen und wirklich glücklich machen.

kashmir1.JPG

Warum sind Musik oder Filme so viel massenkompatibler als andere Kunstformen?
Kasper: Weil sie dich stärker involvieren. Du wirst mit Eindrücken förmlich erschlagen. Das ist bei anderen Kunstformen nicht so sehr der Fall. Das ist leider auch ziemlich paradox. Denn obwohl Musik oder Filme so viel leichter zu verdauen sind als zum Beispiel Literatur, werden sie als Kunstform nicht wahrgenommen. Ich weiß, es ist ein Klischee das zu sagen, aber MTV und viele Popgruppen heutzutage präsentieren ein verzerrtes Bild von Musik als Kunstform. Es ist eben keine Kunst mehr. Denn das, was Musik eigentlich sein sollte, nämlich ein Ausdruck von Gefühlen, die das Leben anderer Menschen berühren, wird oftmals pervertiert. Musik sollte eben andere Menschen anregen, optimistischer zu denken oder sie dazu inspirieren, Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Dinge, die konstruktiv sind. Wo findet man das denn heute noch bei irgendeiner Band, die bei MTV oder in den Charts auftaucht? Na klar sind auch Kashmir ein Teil des Musikbusiness, natürlich sind wir auch keine reine Kunstband, die auf Tonnen einschlägt und mit Radkappen spielt. Wir sind in dem Sinne eine konventionelle Rockband.

Was haltet ihr von Musikerikonen wie Peter Doherty, die auf der einen Seite grandiose Künstler sind, deren Kunst anderen etwas bedeutet, und auf der anderen Seite aber ein so absurdes, abstoßendes Bild des Musiklifestyles sind?
Mads: Gerade was Peter Doherty angeht glaube ich, dass er nicht dumm ist, sondern einfach nur nachlässig. Inzwischen wird er nicht mehr als Musiker sondern als prominenter Junkie wahrgenommen. Das hat er sich selbst zuzuschreiben.
Kasper: Ich kenne ihn nicht. Und seine Musik ist auch irgendwie an mir vorüber gezogen. Aber ich bin auch müde, immer wieder die gleichen Geschichten von ihm zu hören. Der sollte mal seinen Arsch hochbekommen.
Mads: Der macht das alles ja noch nicht mal absichtlich. Wie ich gerade sagte: er ich einfach nur fahrlässig. Seine Musik spielt nicht mehr die Hauptrolle. Im Grunde ist er Paris Hilton.

Ist es im Musikbusiness leichter, diesem Drogenlifestyle zu verfallen?
Mads: Definitiv. Wenn du etwas erfolgreich bist, ist um dich herum alles eine einzige Party. Da muss man höllisch aufpassen. Natürlich trinken auch wir auf Tour etwas mehr, schlafen wenig und ernähren uns ungesund. Aber zum Glück sind Drogen in unserer Band kein Thema.
Kasper: Das schwierige ist ja auch, dass du nach einem Konzert aufgedreht bist. Es ist fast unmöglich, danach einfach so in den Tourbus zu fallen und einzuschlafen. Du bist ja voller Adrenalin und aufgeputscht von der Euphorie, die auf solch einem Konzert herrschen kann.

Der Gitarrist der „Kills“ hat in einem Interview gesagt, dass das großartige an Konzerten und Musik als Kunstform die Tatsache ist, dass jeden Abend auf der Bühne etwas anderes stattfindet. Dass Konzerte nie die gleichen sind. Spürt ihr das auch?
Kasper: Witzig, dass ausgerechnet er das gesagt hat. Ich habe „The Kills“ bisher viermal gesehen. Und der Gitarrist ist einfach eine Maschine. Der reißt die Akkorde runter. Aber abgesehen davon respektiere ich ihn sehr. Er ist ein großartiger Gitarrist.

Werden Kashmir auch in fünf Jahren noch existieren?
Mads: Klar. Das kann sein.
Kasper: Ich hoffe. Sicher sein kann man sich da aber leider nie.

Abschließende Frage: 3 Dinge die ihr tun möchtet, bevor ihr sterbt?
Mads: Oh Gott...hm. Kinder will ich mal haben. Irgendwann in meinem Leben. Jetzt noch nicht, aber später definitiv. Außerdem möchte ich mit der Tatsache, dass ich sterben werde, Frieden schließen. And i want to fuck my brain out.
Kasper: Ich möchte irgendwann, abgesehen von Musik, ein Kunstwerk machen, mit dem ich absolut zufrieden und glücklich bin! Und natürlich möchte ich Kinder haben, irgendwann. Und ich möchte mein Leben so führen, dass der Tod nicht ein ständiger Begleiter ist. Ich habe viel Zeit damit verbracht, an den Tod zu denken. Das kann einen ruinieren. Besonders dann, wenn du 30 wirst. Da macht es dann klick und du realisierst, dass das nicht ewig so weitergehen wird. Dass du nicht ewig Leben wirst. Und ich konnte mir auch nie vorstellen, ein Rockmusiker zu sein und gleichzeitig zu altern. Das passte für mich nie zusammen. Bis ich Neil Young in Kopenhagen sah. Wie er da auf der Bühne stand und Musik machte, das hatte etwas so beruhigendes auf mich. Dass er in seinem Alter immer noch so sehr auf Tuchfühlung mit seiner Musik ist.

Hält Musik jung?

Kasper: Wenn man mit rauchen aufhört, wenn man keine Drogen nimmt, wenn man wenig trinkt ... dann vielleicht. Aber das ist sehr schwer. Ich selbst rauche zu viel. Und ich schreibe nicht andauernd. Das ist etwas, was mich selbst sehr ärgert. Ich bin mit meiner Kunst viel zu faul. Wenn man das Talent hat zu schreiben, dann sollte man das doch auch unaufhörlich tun, oder nicht?

Interview, Text und Photos: Robert Heldner


Zum Seitenanfang

ERROR!