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Kaizers Orchestra Interview

Partymusik

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Das Debüt der Kaizers Orchestra, "Ompa til du dør", gehört mit 100.000 verkauften Einheiten zum besten norwegischen Rockalbum aller Zeiten. So eindrucksvoll wie diese Zahl ist auch die Show der Band um Sänger Janove Ottensen. Eine euphorisierende Mischung aus Polka, Rock. Zirkus und Oktoberfest. Radkappen und Mülltonnen inklusive. Und spätestens wenn Janove ins Publikum schreit, dass man sich doch bitte nicht erschrecken soll, wenn er gleich wie ein Wahnsinniger auf die Utensilien eindrischt, spätestens dann bewegt auch der hinterste Konzertbesucher seine Beine.

"Wir sind konstant besser geworden. Unser Reportoire ist inzwischen groß genug, um eine ordentliche, unterhaltsame Live-Show zu bieten." Den großen Entertainmentfaktor, die Publikumsanimation, die man sonst nur von Green Day kennt, damit hat der gute, selbstsichere Sänger kein Problem. "Die Musik ist schon die Basis. Aber ich habe kein Problem, sie als Partymusik zu bezeichnen. Sie ist extravagant. Und sie transportiert eine Stimmung, die sich auf das Publikum überträgt. Warum soll man sowas nicht noch anheizen?"

Anfang Oktober, Bestandsaufnahme, Bremen. Janove sieht gelangweilt aus. Am nahenden Herbst wird es wohl kaum liegen, den dürfte der Norweger gewohnt sein. Die nahezu ausverkaufte Tour quer durch Deutschland dürfte es auch nicht sein. Wohl eher doch das Gefühl, jetzt da zu sein, wo man hinwollte, und doch nicht so ganz glücklich damit zu sein? Wir wissen es nicht, vielleicht ist es das Tourleben, das so schlaucht. Oder aber auch das neue Album "Maestro", das im August veröffentlicht wurde. Denn das hat es ganz schön in sich. Außergewöhnlicher Polka-Rock, auf die Spitze getrieben. Tanzbar jetzt. Sogar mitreißend. Klar, dass Janove da auf der Bühne ins Schwitzen kommt.

Für alle, die noch immer keine Live-Show bewundern konnten, durften, wollten, und auch für alle, die sich daran nicht genug erfreuen können, all denen sei hiermit ans Herz gelegt: im März nächsten Jahres wird es eine Live-DVD geben. Dann können sich auch die letzten ein Bild machen.

War das jemals ein Problem für euch, dass die deutschen Konzertbesucher eure Sprache nicht sprechen können, geschweige denn verstehen? Immerhin sind fast alle Shows ausverkauft ...
Das ist ja eben das schöne an Musik. Man muss nicht alle Texte verstehen, um eine Grundstimmung zu spüren. Eine normale Rockband hat diese verschiedenen Schichten nicht zu bieten.


Gibt es aufgrund der Sprachbarriere unterschiedliche Reaktionen des Publikums zwischen Norwegen und Deutschland?
Nicht wirklich. Sie können etwas besser mitsingen, die Norweger, das war es dann aber auch schon. Aber selbst das passiert hier in Deutschland auch. Du hast die Show in Haldern ja gesehen: da haben sie lauthals mitgegrölt.


Bei uns gab es vor kurzem eine unsägliche Diskussion über Nationalität und Musik. Da war die Sprache plötzlich ein kostbares Gut. Gab es das bei euch auch?
Ja, vor fünf Jahren gab es mal eine öffentliche Diskussion darüber. Aber da war es umgekehrt. Da hieß es, man solle doch aufhören auf Norwegisch zu singen, weil es unmöglich sei, das zu verkaufen. Aber Kaizers Orchestra tun es, und mit unserem wachsenden Erfolg zeigen wir denen, dass sie Unrecht hatten.


Auf eurer Homepage war zu lesen, dass ihr ganz euphorisch wegen des wachsenden Erfolgs in Amerika seit. Wollt ihr da nicht auch mal touren?
Wir würden in Amerika nur als Support-Act touren. In irgendwelchen Pubs und Mini-Clubs aufzutreten, das haben wir hinter uns, das haben wir zehn Jahre lang gemacht und solangsam reicht das.


Kannst du kurz die Geschichten vom ersten Album "Ompa til du dør" bis zum dritten, aktuellen Album "Maestro" zusammenfassen?
Das erste Album erzählt von Menschen, die einem Krieg ausgesetzt sind. Es geht da um eine Mafia-Familie und ein paar religiösen Metaphern. Natürlich auf eine lustige, surreale Art und Weise. Und das zweite Album erzählt die Geschichte zweier Menschen, von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod. Das selbe Szenario wie beim ersten Album, aber der Fokus liegt auf diesen beiden Menschen. Und das dritte Album "Maestro" spielt in der Nachkriegszeit in einer Psychiatrie, wo man versucht, die Kriegsheimkehrer von ihren grausamen Erfahrungen zu heilen. Alles ist etwas mehr schizophrener und paranoider.


Was ist der große Unterschied zu den vorherigen Alben? Ich hatte das Gefühl, ihr seit fast fröhlich!
Maestro ist viel eingängiger, unterhaltsamer. Glaube ich jedenfalls. Es sind so viele kleine Ideen auf dem Album, die miteinander Verbunden sind. Es ist jetzt viel mehr Kaizers Orchestra, als alles, was wir vorher gemacht haben.


Wie war die Atmosphäre im Studio?
Im Gegensatz zu "Evig Pint" war die Atmosphäre im Studio wesentlich entspannter und angenehmer. Und wir wollten das Gefühl, das wir Live repräsentieren, diesmal auch auf Platte dokumentieren.


Was sagst du den Fans, die genau das Dunkle von "Evig Pint" jetzt vermissen?
Wenn sie das Dunkle wollen, sollen sie das zweite Album hören. Das sage ich ihnen.


Es scheint so, als wolltet ihr nicht so gerne über euren Plattenwechsel reden. Warum?
Die Sache ist doch die: wir hatten einen Plattenvertrag über zwei Alben. Den haben wir erfüllt. Danach haben wir uns nach einem anderen Label umgesehen. Und weil so viele an uns interessiert waren, haben wir uns das beste herausgesucht. Und das war Universal-Germany. Und dieses Ein-Mann-Labelding in Norwegen ist nunmal nicht die beste Wahl für Kaizers Orchestra. Zumindest dann nicht, wenn man durch halb Europa touren will und da auch Erfolg haben will.


Kannst du die Reaktionen auf solche Entscheidungen verstehen?
Nein. Es ist doch eine ganz logische Entscheidung. Wenn du größer werden willst, musst du dir nunmal ein größeres Plattenlabel suchen. Ganz einfach. Ich verstehe nicht, warum um soetwas solch ein Aufstand gemacht wird. Wir sind nicht dazu da, Freundschaften zu schließen. Das ist ein Geschäft. Und als solches muss man das nunmal auch betrachten.


Was ist erfüllender: das erste Album in den Händen zu halten oder quer durch Europa Konzerthallen zu füllen?
Klar, das erste mal das eigene Album fertigestellt zu haben, das war ein erhabenes Gefühl. Aber so richtig konnten wir damals den Prozeß nicht genießen, weil wir so unerfahren waren. Wir mussten uns um fast alles selbst kümmern, da ist viel an uns vorbeigezogen, was wir jetzt viel besser genießen können.


Abschließende Frage: was ist das größte Vorurteil über Norwegen?
Dass es so kalt ist.


Wie? Es ist gar nicht kalt?
Nein. Nicht überall jedenfalls. Norwegen ist so lang. Ungefähr soweit wie von Oslo nach Rom. Und wie du dir denken kannst ist es in Rom um einiges wärmer als in Oslo.


Interview + Text: Robert Heldner


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