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John Vanderslice Interview

Die Rache der Verletzten

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"Ich lebe im schlimmsten Land, das die Menschheit je gesehen hat, da muss man von Politik besessen sein."

Im Herbst war er schon mit Nada Surf unterwegs, zur Zeit tourt John Vanderslice mit Death Cab for Cutie durch Europa. In den USA zählt er zum Inventar der Independent-Szene und hat sich auch als Produzent (u.a. von Nada Surf und Two Gallants) mit eigenem Studio einen Namen gemacht, in Deutschland steigt sein Bekanntheitsgrad dagegen erst langsam. Sein mittlerweile fünftes Album, "Pixel Revolt", hinterlässt den Eindruck, man habe es eher mit einem introvertierten Zeitgenossen zu tun, dem auch noch nachgesagt wird, dass er eigentlich überhaupt nicht gerne über seine Musik redet. Wir treffen jedoch einen äußert gutgelaunten, redseligen John Vanderslice, der sich bis 15 Minuten vor Eröffnung des Konzerts im Münchener Ampere Zeit für uns nimmt.

Ihr habt jetzt schon in 12 Städten gespielt, wie war die Tour bisher?
Unglaublich. Mit Death Cab for Cutie auf Tour zu sein ist wirklich gut, sie helfen uns mit dem Equipment aus, ihre Leute helfen uns überall, wo es Probleme gibt. Wir verbringen die Zeit vor und nach den Konzerten zusammen, es sind einfach gute Freunde. Wir waren schon mit Bands unterwegs, bei denen das nicht so gut funktioniert hat.

Du bist hier nur mit einem Drummer unterwegs, ein Teil des Konzerts kommt vom Band. Tretet ihr immer so auf?
Nein, normalerweise sind wir zu viert, aber es ist einfach zu teuer, alle mit herüber zu bringen. Der Flug, die Unterkunft… die anderen beiden werden erst in London zu uns stoßen und den Rest der Tour spielen wir dann als Quartett.

Auf deiner Homepage steht ein kleiner Text über einen Vorfall in Kopenhagen, als muslimische Jugendliche einen alten Mann überfallen haben. Was ist da genau passiert?

Ich bin durch die Stadt gelaufen und habe fotografiert, als ich vielleicht zehn muslimische Kinder zwischen zehn und 14 gesehen habe, die anfingen diesen alten Mann einzukreisen, anzupöbeln und zu treten. Er hat sich natürlich gewehrt, da wurden sie noch aggressiver und es sah wirklich ziemlich übel aus. Jeder auf dem Platz wusste, dass es mit diesen Karikaturen zu tun hatte, es waren wohl so an die hundert Leute dort, und keiner konnte etwas tun, so überraschend kam das. Es war ziemlich schockierend, ich selbst konnte nichts tun, und das ist eigentlich nicht meine Art. Es herrschte eine ziemlich düstere Stimmung dort in Dänemark, diese Kinder waren wirklich ziemlich unfair. Ich glaube, es gibt keinen einfachen Ausweg aus dieser ganzen Sache, und das macht mich unglaublich traurig.

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"Es gibt noch ein paar hundert Hippies in San Francisco, die können aber meistens nicht mehr sprechen wegen der ganzen Drogen."

Auf deinem neuen Album sind ja auch eindeutig politische Songs zu finden, einer schildert das Sterben eines Soldaten im Irak. Wie sehr verfolgst du die Tagespolitik?
Ich bin besessen von Politik (lacht). Ich lebe im schlimmsten Land, das die Menschheit je gesehen hat, da muss man besessen davon sein. Natürlich gab und gibt es schlimmere Regierungen als die der USA, aber wir sind nun mal immer noch die unilaterale Supermacht mit dem größten Einfluss, und wenn die EU dem nicht entgegenwirken würde, wer weiß, ob wir nicht schon längst in den Iran einmarschiert wären, oder in Pakistan oder in Saudi-Arabien…

Du schreibst in auf deiner Homepage auch, dass du wirklich Angst davor hast, was in der Zukunft noch kommt.
Ja. Es gibt zwei schreckliche Dinge in dieser Welt, und zwar christlichen und islamischen Fundamentalismus. Das ist das Schlimmste in der Geschichte der Menschheit, wenn du mich fragst. Irgendwann werden sie mit voller Wucht aufeinander prallen, und zwar in der Wiege der Menschheit, im Irak, in Israel. Sowohl die Bibel und der Koran erheben Anspruch auf diese Region. In meinen Augen ist das auch der Grund, warum wir dort sind. Da geht’s nicht darum, die Demokratie zu verteidigen, weder in Israel noch im Irak. Die Regierung besteht aus christlichen Fundamentalisten, unsere Wahlen wurden von Gerichten entschieden, ist das Demokratie? Bush ist wie ein Priester, der Kinder missbraucht und ihnen erzählt, er täte dies für ihr Seelenheil. Ich habe schon ziemlich Angst.

Du kommst ja aus San Francisco, welches in Europa immer noch als Hippie-Metropole verklärt wird. Ist davon wirklich noch irgendwas zu spüren?
Nein, es gibt vielleicht noch ein paar hundert Hippies, die können aber meistens nicht mehr sprechen wegen der ganzen Drogen. Hippiedasein hat in Amerika eigentlich nur noch mit Drogen zu tun. Sie haben San Francisco dadurch ziemlich in Verruf gebracht, außerdem eröffnet ihr Lebensstil keine interessante Alternative. Dafür werden sie gehasst, am meisten von Musikern wie mir (grinst). Sie sind nicht fortschrittlich. Das einzige, was sie wirklich gut können, ist Kochen. Die Musik ist heute furchtbar schlecht. Natürlich gibt’s gute Grateful-Dead-Platten, damals war die Musik großartig, aber heute ist das furchtbar.

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"Songwriting ist für mich die einzige Möglichkeit der Rache: wenn du mir wehtust, schreibe ich einen Song darüber."

Wenn wir jetzt mal über Musik reden: du hast mit Pixel Revolt gerade dein fünftes Album veröffentlicht und die Texte darauf sind schon sehr privat. Fühlst du dich manchmal unwohl, wenn du daran denkst, wie viele Leute das jetzt lesen?
Ach, das ist wie mit Sexszenen im Kino (lacht). Am ersten Tag denkst du, dass jeder das sehen wird, deine Mutter, deine alten Schulfreunde, dass sich die Leute darüber aufregen werden. Aber dann gehst du durch diese Tür und schaust nicht mehr zurück, so ist das auch mit dem Songwriting. Du triffst lange vorher eine Entscheidung. Und außerdem ziehe ich so aus all dem Schmerz, der mir zugefügt wurde, noch etwas Positives, ich mache Kunst daraus. Das ist für mich die einzige Möglichkeit der Rache: wenn du mir wehtust, schreibe ich einen Song darüber. Ich hole mir dadurch etwas zurück.

Hattest du spezielle Ziele während der Aufnahmen?
Ja, sie fertig zu stellen (lacht). Nein, natürlich wollte ich ein gutes Album machen, so wie jeder Musiker. Es sollte einfach meiner Identität als Künstler entsprechen, das war mir sehr wichtig. Ansonsten würde ich mich niemals 800 Stunden in ein Studio einschließen, mich von meinen Freunden entfremden und meine Beziehungen aus Spiel setzen. Aufnehmen kann sehr hart sein, es ist deutlich härter als auf Tour zu gehen.

Und auf den Sound bezogen?
Nein, eigentlich auch nicht, da ich sehr viel erst im Studio schreibe. Danach muss man sich dann mit den ganzen Musikern und Toningenieuren auseinandersetzen, die versuchen, deine Ideen zu verwirklichen. Und ich muss mich mit mir selbst auseinandersetzen und meine Ideen verwirklichen. Ich weiß manchmal selbst nicht, was ich überhaupt will und wie ich das dann umsetzen kann, das ist ein schwieriger Prozess. Diese ganzen Entscheidungen - soll man jetzt mit dieser schlechten Aufnahme leben oder noch mal ganz von vorne anfangen?

Du bist ja schon ziemlich lange unterwegs, hat sich dein Gefühl auf der Bühne verändert?
Ja, ich fühle mich viel zufriedener auf der Bühne. Am Anfang war ich meiner selbst so sehr bewusst, zum Beispiel habe ich jedes Mal, wenn ich mit den Zähnen ans Mikro gestoßen bin, gedacht: Oh je, jetzt weiß jeder, dass du eigentlich nicht hier oben stehen solltest. Das hat sich geändert. Vielleicht spielen wir nicht besser, aber wir haben viel mehr Spaß dabei. Wenn wir mitten im Song abbrechen müssen, lachen wir inzwischen darüber. So sollte es sein. Fehler passieren immer, aber am Anfang kann das ziemlich heimtückisch sein.

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"Musik ist, als ob du die Menschheit anschaust, natürlich gibt es da große Unterschiede, aber im Endeffekt sind wir uns alle sehr ähnlich."

Auf dieser Tour spielt ihr ja manchmal vor über 1000 Leuten, hattet ihr schon öfters so viel Publikum?
In Amerika nicht, in Japan haben wir mal vor ein paar tausend Leuten gespielt, aber auch nicht als Headliner. In den Staaten spielen wir vor vielleicht 500 Leuten, wenn wir Hauptband sind. Das hier ist für uns schon ziemlich riesig. Letzten Herbst (auf der Tour mit Nada Surf, die Verfasser) haben wir in Paris mal vor 1400 Leuten gespielt, da blieb mir schon die Luft weg. Jetzt haben wir das jeden Abend, natürlich bin ich immer noch nervös, aber mir wird nicht mehr schwindelig dabei. Die Hallen in England sind noch mal größer, da werden 2000 Leute da sein, aber das sind wir jetzt gewohnt. Wenn es aber nach mir gehen würde, wären mir Clubs mit 500 oder 600 Leuten am liebsten. Da gibt es keine Abgrenzungen zu Bühne, keinen Balkon wo du die Leute nicht siehst und nicht genau weißt, was sie überhaupt hören.

Wie waren die Reaktionen des Publikums bis jetzt?
Bis jetzt läuft es sehr gut, wir haben in den ersten sieben Shows alles verkauft, was wir überhaupt dabei hatten und mussten uns ganz schnell Merchandise nachschicken lassen. Das liegt natürlich auch daran, dass Death Cab uns sehr unterstützen und immer wieder sagen: Kauft das Zeug dieses Typen. Außerdem ziehen sie ein großzügiges und offenes Publikum an, das hilft uns sehr. Im Herbst war das anders, da wussten wir nicht recht ob wir dazu passen. Jetzt ist alles viel selbstverständlicher, wir kennen schon Leute und sie uns und wir verkaufen viele Platten. Das ist wirklich wichtig, denn dann kennen die Menschen unsere Musik, wenn wir irgendwann alleine herkommen.

In einem Interview stand, dass du manchmal auch als DJ arbeitest.
Nein, das war bloß eine einmalige Sache. Ich sollte eigentlich spielen, wollte aber nach den Aufnahmen eine Pause machen und habe dann gesagt, ich lege dafür auf. Das waren Freunde von mir, also hab ich einen Hip Hop-Abend gemacht.

Ist das die Musik, die du auch privat hörst?

Ach, ich höre ungefähr jeweils ein Viertel Hip Hop, Indie, Jazz und auch Klassik. Ich finde das Genre nicht so wichtig, ich höre eher auf bestimmte Strukturen, die ich mag. Viele Leute sehen einen großen Unterschied zwischen klassischer Musik und Sachen von Aphex Twin, aber für mich ist das nicht so. Musik ist sich meistens ziemlich ähnlich. Es kommt darauf an, wie sich die Melodie entwickelt, der Refrain. Es ist, als ob du die Menschheit anschaust, natürlich gibt es da große Unterschiede, aber im Endeffekt sind wir uns alle sehr ähnlich. Man darf sich nicht vor den anderen verstecken und muss diese Grenzen überwinden, sonst ist das Leben langweilig und die Musik erst recht.

Interview: Dominik Waßerlos und Verena Kurz
Fotos: Piper Ferguson (Pressefreigabe)


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