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Marc Spitz Interview

Irgendwie Erwachsen


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Marc Spitz muss völlig verrückt sein, hat er doch seinen Job beim Musikmagazin "Spin" geschmissen und arbeitet jetzt als freier Journalist hier und da, schreibt weiter Bücher, geht auf Lesetour. Und das in Zeiten des Terrors und der globalen Angst um Arbeitslosigkeit. In unsicheren Zeiten. In einem unsicheren Land. Der hat Nerven. Aber, würde Spitz hier einwerfen, damals, in den 80ern, war das Lebensgefühl auch keinen Deut anders. Reagan-Ära, die Atombombe, das ausgehende 20. Jahrhundert, die Angst. Und Angst, die kennt schließlich jeder ...

Angst hat auch Joe Greene, Spitz' Romanfigur aus "How Soon is Never?". Irgendwo in den 80ern, als die musikalische Färbung noch nicht sein eigenes Revival ist. Die Synthies bestimmen die Charts, die Frisuren und Lungen sind zugekleistert mit chemischen Substanzen. Depeche Mode, Duran Duran - und dann die Smiths. Als der Punk schon längst wieder in der Mottenkiste versinkt, als Psychedelic stirbt, als Dylan grauenhafte Alben veröffentlicht und die Rolling Stones zu einer Karikatur ihrer Selbst werden. Eine Zeit also, die von (zumindest musikalischer) Umwälzung erfasst ist und sich neu ausrichtet. Auch Joe Greene geht mit der Zeit. Er ist erst Punk, dann New Waver - und landet schließlich in der Sackgasse der Adoleszenz. So lange, bis er 30 wird und merkt: How Soon Is Never? Bis er merkt, dass er die Smiths nicht zusammenbringen kann und vor allem: endlich erwachsen werden muss.

Greene ist Spitz, und Spitz ist nicht mehr Greene. Er hat nicht nur die Romanfigur hinter sich gelassen, sondern auch die Zeit, in der Wut und Selbstzerstörung essentiell sind. Er ist jetzt 36.

Fühlst du dich heute erwachsen?
Ja, irgendwie schon. Bis ich dreißig wurde, habe ich mich wie ein verfluchter 19jähriger verhalten. Ich war nicht bereit für Beziehungen, ich war nicht bereit, irgendetwas mit mir selbst anzufangen. Ich habe mich einfach nicht weiterentwickelt. Irgendwann, als ich dreißig wurde, haben sich die Dinge dann verändert. Es wurde irgendwie seriöser. Ich ging zu Therapie, ich verliebte mich. Und ja, ich bin jetzt wesentlich erwachsener als noch vor ein paar Jahren. Ich fühle mich "much more functional"! Früher war ich einfach bloß selbstzerstörerisch. Das hat Spaß gemacht. Aber irgendwann kommt fast jeder Mensch an den Punkt, an dem er keine Freude an der Selbstzerstörung findet. Das ist der Punkt, an dem du erwachsen wirst oder für immer ein Teenager bleibst! Auch Joe Greene ist kurz vor diesem Punkt. Er hat nichts, die Mädchen, die er fickt, kennen nichtmal die Namen der Bands, die ihm so viel bedeuten. Um ihn herum haben die Menschen Kinder, Familien, Häuser. Er hat eigentlich bloß "bullshit". Ich glaube auch, dass ich mich da schon ein wenig von meiner eigenen Romanfigur unterscheide. Ich war immer etwas näher an den Menschen, die Joe eigentlich verachtet. Der Unterschied aber ist, dass ich nicht auf Joe herunter schaue. Ich fühle große Zuneigung für Menschen, die so leben, die diesen Lifestyle gewählt haben.

Warum hängen so viele Menschen an ihrer Jugend, selbst wenn diese für sie furchtbar war?
Weil vor ihnen nichts liegt, was sie antreibt, was sie glücklich macht! Ich zum Beispiel bin jetzt ein wenig glücklich. Ich bin an einem Punkt, an dem ich einen Song aus meiner Jugend hören kann, ohne an all die Dinge zu denken, die ich dabei getan habe. Ich kann heute einfach sagen: Wow, was für ein grandioser Song! Und nicht: wow, ich wünschte ich wäre wieder da, als ich ihn zum erstenmal hörte.

Es ist nicht besonders hilfreich, Rockjournalist zu sein, wenn man dreißig wird, oder?
Ich war ja nie einer. Zumindest habe ich mich nie zuhause gefühlt im Musikjournalismus. Du sitzt da in einem Raum mit Musikgrößen, die heroisch fast größer als das Leben sind. Das kann nur verwirrend sein. Wenn du immer in Berührung bist mit Musik und Musikern, die am Anfang ihrer Karriere stehen und noch diese Energie versprühen, dann willst du dazu gehören. Selbst wenn deine Energie schon lange nicht mehr die eines 23-jährigen ist. Aber ich fühle mich dem immernoch einigermaßen gewachsen. Ich glaube ich habe immernoch etwas zu sagen zu Musik. Ich will bloß nicht mehr ihr Opfer sein.

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Ist Musikjournalismus heute nur noch ein Klischee?
Musikjournalismus ist einfach schrecklich und die am meisten verachtetste Form des Journalismus. Man schwimmt in diesem Klischee. Ich will keine Namen nennen, aber viele Musikhournalisten sind einfach verachtenswert in dem was sie tun. Sie glauben, sie wären prädestinierter als andere. Dabei sind sie einfach nur faul. Es gibt auf der ganzen Welt nur eine handvoll wirklich guter Musikjournalisten. Die anderen sind einfach verdammte Charlatane. Ich hatte meine Zeit auch, in der ich total faul war und nur Müll geschrieben habe. Ich hatte eine Kolumne bei Spin, und das war einfach grober Unfug, den ich da niederschrieb. Ich habe das einfach nicht ernst genommen. Dabei sollte man das ernst nehmen, weil Rockmusik immernoch eine verdammt wichtige Angelegenheit ist, über die man schreiben sollte.

Welche Veränderungen hast du in den letzten Jahren bemerkt?
Ich glaube die Veränderung hat sich vor allem im Internet bemerkbar gemacht. Die Qualität der Texte ist viel besser geworden. Und das wichtigste: es ist umsonst! Welche Musikzeitschrift kann da mithalten? Durch das Internet ist überhaupt soetwas wie Demokratie in den Musikjournalismus gekommen.

Das heisst du bist bald arbeitslos?

Ich bin bereits arbeitslos. Ich habe Spin-Magazine vor 5 Monaten verlassen. Ich mache jetzt ab und zu Sachen für Uncut und Vanity Fair. Und ich habe Spin genau aus dem Grund verlassen: weil es ums Überleben kämpft. Aber ich will das nicht zu sehr heroisieren. Ich wollte da schon weg, als ich "How soon is never" geschrieben habe. Ich wollte einfach nicht noch mit 40 Jahren herumlaufen und versuchen herauszufinden, was Teenager für Bands mögen! Bei Spin war man in den letzten Jahren nur noch damit beschäftigt, der Coolness hinterherzujagen. Das zerstört auf Dauer die Seele eines Magazins.

Du hast in einem Interview gesagt, dass jeder Journalist mal an den Punkt kommt, an dem er einen Roman schreiben will.
Das habe ich in einem Interview gesagt? Naja, ich rede viel Scheiße. Ich betrachte mich ja noch nichtmal als Journalist. Dafür habe ich einfach nicht die richtige Ausbildung. Ich bin da so reingeschlittert. Für mich selbst war es allerdings immer das Ziel, einen Roman zu schreiben.

Hast du verschiedene Versuche gebraucht, bis es mit dem schreiben schließlich geklappt hat? Bis "How soon is never?" dabei herausgekommen ist?
Witzig, dass du das fragst. Das ist bei mir tatsächlich so. Wahrscheinlich hat jeder, der ein Buch rausgebracht hat, ein oder zwei Leichen im Keller - Bücher, die sie nie richtig zuende geschrieben haben, einfach weil die furchtbar schlecht gewesen sind. Erst gestern beim aufräumen habe ich zwei meiner jämmerlichen Versuche, Romane zu schreiben, gefunden. Ich habe sie vor Jahren im Drogenrausch geschrieben und jetzt richtig Angst, die Dinger in die Hand zu nehmen. Ich kann mich einfach nicht mehr daran erinnern, was ich geschrieben habe. Immerhin umfasst das eine Buch über 300 Seiten. Das ist ein scheiß Roman! Vermutlich sollte ich die Dinger verbrennen oder veröffentlichen ...

Musstest du auch mental dazu bereit sein, ein Buch zu schreiben?

Ja, ich musste bereit sein dafür. Und als ich dreißig wurde, als ich den Psychopathen, der ich war, langsam hinter mir ließ, konnte ich schreiben.

Dein Roman ist semi-autobiographisch. Schreibt sich das leichter?
Es war wirklich leichter. Ich wußte einfach, dass der erste Roman, den ich veröffentlichen werde, quasi eine Autobiographie ist. Aber es ist eben auch nur fast eine Autobiographie. Du hast in einem Roman eben die Lizenz zu lügen. Du kannst Dinge, die du schon immer sagen wolltest, auf diese Art und Weise endlich heraus lassen. Außerdem hast du für deinen ersten, halb-autobiographischen Roman, einfach eine ungeheuere Menge an Material. Erst beim zweiten Roman wird sich dann herausstellen, was du als Schriftsteller wirklich hergibst.

Sind die Parallelen zwischen Buch und Wirklichkeit genauso groß, wie man vermutet?
Viele Dinge sind wirklich eins zu eins mein Leben. Als ich ein Teenager war, wollte ich meinen Fick und bekam ihn nicht. Ich wollte ein Mädchen und bekam es nicht. Sogar meine Eltern sind im Roman originalgetreu abgebildet. Aber ich finde das durchaus legitim. Ich meine: sogar Harry Potter wird auf irgendeinem Menschen basieren. Sie wird sich diesen Charakter wohl kaum aus ihrem Allerwertesten gezogen haben. Alles basiert auf irgendwas. Wenn du in einem Restaurant sitzt und findest, dass die Bedienung ein hübsches Gesicht hat, und du abends an deinem Buch schreibst und da ein Mädchen drinn vorkommt, dem du dieses Gesicht verpasst, dann ist das doch vollkommen in Ordnung.

Glaubst du, Morrissey hatte das gleiche Problem? Dass die Menschen eins zu eins ihn in seinen Liedern zu erkennen glaubten?
Ich glaube, Morrissey hat es da wesentlich schlimmer erwischt als mich. Schließlich geht das schon sein ganzes Leben so. ich habe ja gerade erst einen einzigen Roman veröffentlicht. Die Sympathien für Morrissey sind groß. So groß, dass Menschen sogar bei ihm einbrechen würden, nur um ihm nahe zu sein. Ich war ja auch so einer, der wollte, dass der Morrissey in seinen Songs auch der Morrissey in der Realität ist.

Wie war dein erstes Interview mit ihm?

Als ich Morrissey das erste mal zum Interview traf, war ich einfach nur eingeschüchtert. Der Termin verschob sich um zwei Stunden und ich saß in der Lobby eines scheiß-teuren Hotels und trank einen Bloody Mary nach dem anderen. Und dann tritts du ihm gegenüber und musst dein bescheuertes Journalisten-Gesicht aufsetzen, seriös wirken und dich auf keinen Fall wie ein dummer Fan benehmen.

Wie knapp warst du davor, auf die Knie zu fallen und ihm dein Herz auszuschütten?
Ich glaube es war nicht notwendig ihm zu zeigen, dass ich ein großer Fan seiner Musik bin, weil da in den USA bereits mein Buch veröffentlicht war und es hieß, er habe es gelesen. Er wusste zumindest, dass ich es geschrieben hatte.

War es letztlich gut, dass die Smiths sich getrennt haben?
Keine Ahnung. Es gibt so viele Bands aus den 80ern, die sich jetzt wieder zusammengefunden haben und noch immer auf großartige Weise Musik machen. Nimm die Pixies, die New York Dolls. Aber letztlich war es für die Legendenbildung der Smiths gut, dass sie nicht länger existiert haben. So konnten sie sich nie für irgendwelchen beschissenen Werbejingles verkaufen.

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Pressefreigabe


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