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The Faint Interview

Zwischen den Polen

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Vor wenigen Wochen spielten in Deutschland zwei Bands eine gemeinsame Tour, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf der einen Seite: ein introvertierter Musiker, dessen gegenwärtiger Ruf als Songwriter schon so weit auf ihn abgefärbt zu haben scheint, dass er keine Bühnenshow ohne exzentrisches Wein- und Biergelage übersteht. Und auf der anderen Seite eine Band, die zur Zeit den innovativsten, tanzbarsten Rock/Elektroclash spielt, den es irgendwo auf der Welt gibt. Die Rede ist von Conor Oberst (Bright Eyes) und The Faint.
An diesem sonnigen Tag in Nürnberg sieht Todd Baechle aus wie ein geschredderter Haufen Mensch, gespickt mit merkwürdigem Schmuck und dunklen Augenringen (zwar aufgemalt, wäre aber nicht nötig gewesen). In der Hand hält er das merkwürdigste Essen der Welt: Toast mit Erdnussbutter-KelloggsSmacks-Paste. „Das verdammte Catering hatte nix anderes da!“ sagt er und setzt sich. Er sieht schrecklich aus.

Was ist denn mit dir passiert...?
Keine Ahnung. Das war die erste Show zusammen mit Bright Eyes hier in Europa. Es war ein merkwürdiger Veranstaltungsort. Zwischen irgendwelchen mittelalterlichen Ruinen, ganz komisch. Normalerweise spielen wir nicht draussen, oder überhaupt tagsüber. Ich bin dunkle Bühnen mit Lichteffekten und allem Drumherum gewohnt. Ich habe irgendwie vorausgeahnt, dass das alles etwas schief läuft. Ich habe zu viel getrunken vor dem Auftritt. Und jetzt geht’s mir beschissen.

Und trotzdem werden er und seine Band an diesem Abend alle an die Wand spielen. Sogar Bright Eyes selbst. Wo immer man auch hinsieht: nach dem Vorprogramm stehen die Münder offen. „Wie sollen das Bright Eyes jetzt noch toppen?“ sagt der Kollege Gloser.
Die Bühnenshow ist ekstatisch, eine Masse aus Strobo, Beat, verstörenden Videosequenzen und einem unnachahmlichen Todd Baechle. Doch gerade die Videosequenzen sind es, die dem ganzen eine morbide, fast klaustrophobische Atmosphäre geben.

Wie lange habt ihr sowas schon im Programm?
Das mit den Videosequenzen im Hintergrund machen wir schon eine ganze Weile. Und Bright Eyes haben das für die „Bright Eyes vs. The Faint“ Tour ebenfalls gemacht. Ich finde soetwas toll. Als Zuschauer hat man etwas fürs Auge, wenn man es leid ist, der Band beim spielen zuzusehen, wenn man zu müde zum tanzen ist oder ganz einfach zu weit vom Bühnenrand weg ist.

Was muss sich das Publikum unter „Bright Eyes vs. The Faint“ vorstellen? Unter dieser Bezeichnung läuft ja eure ganze gemeinsame Tour!
Wir nennen es eigentlich gar nicht „Bright Eyes vs. The Faint“. Es gibt keinen Wettbewerb. In Europa mag es vielleicht wie eine Support-Show anmuten, aber in Amerika zum Beispiel sind wir Co-Headliner. Macht aber eigentlich keinen Unterschied, mal abgesehen davon, wie groß die Namen auf den Postern sind.

Ihr spielt hier in noch realtiv kleinen Hallen. Wie sieht das in Amerika aus?
In Amerika waren die Shows etwas zu groß für meinen Geschmack. Das hat uns nicht gut getan. Ich hasse es, in Hallen zu spielen, wo die Decke 30 Meter über dir anfängt. Klar, wir müssen das machen, damit es mit der Band vorangeht. Aber ich mags nicht besonders.

Lass uns etwas über Saddle-Creek reden. Was hast du vor Augen, wenn du an das Label denkst?
Für mich ist es immernoch schwierig, das Saddle Creek Label als Business anzusehen. Ich sehe das Label eher als weitere Band an, mit der ich befreundet bin. Bloß macht diese Band keine Musik, sondern Finanzen. Oder das Booking.
Was fasziniert die Menschen so an Saddle-Creek?
Ich denke, das ungewöhnliche an Saddle Creek ist, dass da so viele Musiker sind, die nicht in die Großstadt gezogen sind. Das liegt einerseits daran, dass es keine Großstadt in der Nähe von Omaha gibt. Und zum anderen liegt es den Menschen sehr am Herzen, bei den Freunden zu bleiben, mit denen man Kunst und das Musikmachen teilen kann.

Ist das Label wirklich so ideologisch in sich geschlossen?
Es ist kein abgeschlossener Zirkel von Freunden. Oftmals ist es ja so, dass man viele Musiker auf Tour trifft, mit denen man sich gut versteht, deren Musik man mag, die ein bestimmtes Instrument besonders gut spielen können. Und die läd man später ein, bei dem einen oder anderen Stück mitzuspielen. Es ist also sehr wohl möglich, von außerhalb in das Label zu kommen.

Wie sehr profitieren The Faint vom Erfolg, den Bright Eyes, besonders aber Conor Oberst, haben?
Wir profitieren natürlich vom Erfolg von Bright Eyes. Es sichert die Zukunft des Labels. Aber wir sind nicht daran interessiert, dass sich die Dinge ändern.

Können The Faint jetzt Dinge tun, die vorher finanziell nicht möglich waren?
Der Erfolg des Labels ist eigentlich im gleichen Maße gestiegen wie der von The Faint. Immer, wenn wir einen Schritt weiter wagen wollten, war das Label auch gerade wieder an einen Punkt gelangt, an dem es uns das erlauben konnte. Wenn wir mit unserer heutigen Band auf das Saddle-Creek Label von damals treffen würde: das könnte nicht funktionieren, das Label könnte uns nicht die Ressourcen zur Verfügung stellen, die es jetzt zur Verfügung stellen kann. Es ist also sehr angenehm, dass sich alles so entwickelt hat.

Schreibst du schon an neuen Stücken?

Gestern habe ich mich mal rangesetzt und versucht, neue Sachen zu schreiben. Ich habs wirklich versucht! Aber es hat irgendwie nicht richtig hingehauen.

Bei einer derart speziellen Musik wie deiner: wie funktioniert da das Songschreiben?
Das ist für mich genauso ein Rätsel wie für dich. Manchmal habe ich eine Melodie oder eine Textzeile im Kopf, daraus entwickelt es sich dann. Oder ich spiele ein Paar Akkorde, bis mein Unterbewußtsein sich meldet. Oftmals ist es auch so, dass Worte, die ich auf Papier bringe, schon einen gewissen Rhythmus besitzen.

Inspirieren dich die Orte, die du auf Tour siehst?
Bis vor kurzem war es noch so, dass wir so viel auf Tour selbst organisieren mussten, dass schlicht keine Zeit blieb, Eindrücke so zu verarbeiten, dass sie als Kreativitätsschub beim schreiben von Songs wirken. Jetzt ist das ganze etwas entspannter, und ich hoffe, dass ich von dieser Tour viel mitnehmen kann.

Letzte Frage: Wie sieht es mit einer neuen Faint-Platte aus?
Nein, eine neue Platte kommt so schnell nicht raus. Wobei ....hm....vielleicht ein paar B-Seiten und Singles.


Interview + Text: Robert Heldner


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