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Bloc Party

A Weekend In The City

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Es ist nicht besonders einfach, in diesen Tagen an Bloc Party vorbei zu kommen. Die Magazine haben den Narren ohnehin gefressen, das war nicht anders zu erwarten. Das Internet quillt über, Blogs haben sich schon seit Monaten als Spurenleser betätigt und jedes Fitzelchen an Informationen lang und breit diskutiert. Im Freundeskreis kursieren die Lobeshymnen und das Label selbst überschüttet einen mit Informationen und Video-Links. Es hat sich bereits Wochen vor dem Release ein Druck aufgebaut, ein Bild gefestigt, dass in den meisten Fällen eben dann nicht zum gewünschten Ergebnis führt: man hasst die Platte, noch bevor man überhaupt nur einen Ton davon gehört hat. So übersättigt ist man von der Informationsflut. Ein gut gehütetes Geheimnis scheint dieses Album, im Gegensatz zu etwa "The Good The Bad And The Queen", ohnehin nicht zu sein. Schon seit Wochen fliegen Bits und Bytes des neuen Albums durch das Netz. In zumeist mäßiger bis schlechter Qualität.


Wie groß dann aber letztlich doch auch die eigene Neugier ist, zeigt sich schon am E-Mail-Verkehr mit dem zuständigen deutschen Label und dem Versprechen, gegen ein Promo-Exemplar sogar einen ganzen Artikel vom Stapel zu fahren. Zwar liegt letztlich nur eine Papphülle im Briefkasten, aber das kindliche, exstatische Gefühl von früher ist wieder da und lässt nur eine Schluss zu: zwei Jahre nach "Silent Alarm" ist die Vorfreude und die Erwartungshaltung rießig. Welchen Weg sind Bloc Party gegangen? Auf Nummer sicher? Ein Hitalbum voller tanzbarer Disco-Hits? Womöglich gar ein R'n'B Album, wie es Sänger und Songwriter Kele Okereke angedroht hatte? Oder die Kehrtwende, die auch Black Rebel Motorcycle Club schon genommen haben, wenn auch mit mäßigem kommerziellen Erfolg: ein sattes Folk-Album aufzunehmen. Gut, zumindest Letzteres stand nicht zu erwarten. Zu euphorisch äußerte sich Okereke über den synthetischen Sound der Platte.

Was letztlich im ersten Hördurchlauf hängen bleibt, ist wütende Antiphatie. Es bleibt eben nichts hängen und überhaupt scheinen sich Bloc Party genau dem hingegeben zu haben, was zu erwarten war: dem Bombast, dem Pathos. Dem Coldplay'schen Komplex, seinen Zenit durch Stadiontaugliche Hymnen zu manifestieren. Wut also zu aller erst über ein Album, das etwas anderes sein will als anheimelnd. Die CD fliegt in die Ecke und bekommt zunächst keine neue Chance.

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Damals schon etwas verkniffen: Kele Okereke 2004.

Eine Woche später sieht die Sache anders aus. Die neue Chance bekommen Bloc Party beim wöchentlichen Jogging-Lauf durch den Wald. Plötzlich, zwischen Ästen, Sand, Tannen und frischer Luft, dringt eine kleine Nadel in das Kleinhirn ein und spritzt eine Ampulle nach der anderen Adrenalin und Dopamin in den mit Euphorie chronisch unterversorgten Zellenhaufen. Bis das ganze im Herz ankommt, vergehen gerademal zehn Minuten. Genau dann nämlich, wenn ein Chor und Kele Okereke "Give me Moments / not Hours or Days" singen, ist alles zu spät: Brustkorb raus, Augen quellen über, man strauchelt und bleibt schließlich stehen. Zum Glück sieht das hier keiner, denkt man. Und dann das: noch bevor der Song zu Ende ist, in einem Augenblick, als man glaubt er könne nicht mehr epochaler werden, gleitet die Band vom Refrain in so etwas ähnliches wie eine Bridge: "Let's drive to Brighton on the weekend". Besser verpackt und kombiniert wurden Slogan und Gefühl seit Ewigkeiten nicht mehr.

Nun könnte man glauben, Bloc Party hätten hier ein euphorisches, optimistisches, vor Glückshormonen strotzendes Album gemacht. Ein Album also, das einen durchschüttelt und die richtigen Drogen an die Hand gibt. Weit gefehlt aber: die Londoner haben Düsternis, Pessimismus und Wehklagen zur Richtlinie erklärt. Es sind vertrackte Songstrukturen, ellenlange Intros, hanebüchene Wendungen. Und immer mittendrin: stampfende Beats, Chöre. Und Okerekes Klagen über den Zustand der maroden Welt und insbesondere den Werteverfall im alten Großbritannien. Und er verlautbart auch immer wieder: "Ich weiß gar nicht mehr, ob ich wirklich jemals erwünscht war in diesem Land." Kein Wunder, war seine Hautfarbe selbst schon Thema in den britischen Medien. Und nach den Anschlägen 2005 und wenig später dem Tod seines Cousins durch eine Horde Rassisten ist Okereke nicht mehr zu halten. Alles muss raus, diplomatisch können die anderen sein. Die Welt steht am Abgrund und alle sollen das endlich, verflucht nochmal, erfahren.

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Die andere Hälfte von Bloc Party (v. Links): Matt Tong, Gordon Moakes und Russell Lissack

Nun muss man die Meinung Okerekes natürlich nicht teilen. Wenn er singt: "Spend all your spare time trying to escape / With crosswords and sudoku", dann kann man das für eine Platitüde halten, von einer nahezu beledigenden Sichtweise auf die britische Arbeiterklasse. Wenn er über seinen Wohnort East-London herzieht, "East London is a vampire, it sucks the joy right out of me / How we long for corruption in these golden years.", dann ist das, überspitzt formuliert, auf seine eigene Art und Weise diskriminierend. Aber was die Platte textlich schon so groß macht, ist der Haufen Melancholie und die Tatsache, dass sich Okereke in eine desolate Generation hineinversetzen kann, obwohl er schon längst Millionär sein dürfte und in anderen Sphären haust. Denn Verzweiflung, Überdruss, Depression und mangelndes Einfühlungsvermögen, das alles kennen wir. Auch an uns selbst. Okereke predigt nicht, vielleicht handelt er noch nicht mal. Aber er stellt fest. Kraft der ihm gegebenen Stimme. Und einer der besten Rockbands, die es dieser Tage gibt. Ist "Weekend in the City" also ein Meisterwerk? Ein Klassiker? Ein Epos?

Episch ist das Album allemal. Aber das ist "Star Wars" ja auch. Ist "Weekend in the City" ein Klassiker? Das wird sich wohl erst im Laufe der nächsten Jahre beurteilen lassen. Aber ist es denn nun ein Meisterwerk? Diese Frage lässt sich schon jetzt beantworten: ja, es ist ein Meisterwerk. Und das vielleicht wichtigste und beste Album des Jahres! Zeit, sich eingehender damit zu beschäftigen. Track by Track.

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... er meint (auch) uns!

1. Song for Clay (Disappear Here)

Das Album beginnt mit ruhigem Gesang, einer glockenklaren Gitarre und einem sphärischen Orgelrauschen. Die ersten Worte, die Kele Okereke singt, sind programmatisch für das gesamte Album: "I am trying to be heroic / In an age of modernity". Er gleitet über in einen Falsett-Gesang, bis sich langsam und bedrohlich ein wütender Orkan nähert, der schließlich mit allem, was Rockmusik und Studiotechnik hergeben, über den Hörer hereinbricht. Im Grunde ein gewohnter Bloc Party Song. Die klirrende Gitarre von Russell Lissack, das außergewöhnliche Schlagzeug von Matt Tong, dass sich immer wieder um die eigene Achse dreht. Und dennoch ist dieser Song so anders: die Stimmung ist düster, fast verzweifelt.

2. Hunting for Witches

Der politischste Song des gesamten Albums. Es geht, klar, um die Terror-Paranoia nach den Anschlägen von London 2005. Der Protagonist verschanzt sich auf dem Dach seines Hauses und möchte alles abknallen, was ihm vor die Flinte läuft. Es dauert, nach knisternden Radio und TV-Ausschnitten, über eine Minute, bis das bedrohliche Intro überhaupt vorbei ist. Auch hier wieder: ein grandioses Riff, ein vertracktes Schlagzeug. Aber besonders erwähnenswert: Keles Stimme wurde gesampelt und vervielfacht, alles klingt synthetisch. Aber nicht unangenehm. Im Grunde ein perfekter Tanzflächenfüller, wäre die Grundstimmung nicht so apokalyptisch. Gang of Four ist das jedenfalls nicht mehr.

3. Waiting for the 7.18

Dieser bereits erwähnte Song ist im Grunde das Herzstück des Albums, weil es alle Stärken Bloc Partys bündelt und mit einer alles überschäumenden Melancholie den Hörer flutet. "Give me moments / Not hours or days / Let's drive to Brighton on the weekend" gehört jetzt schon an jede Hauswand gesprayed!

4. The Prayer

Die erste Singleauskopplung ist bedrohlich, beunruhigend und gefährlich. Wieder: ein Intro. Stampfende Beats und synthetische Handclaps, dazu ein dunkles Chor-Gebrumme und Keles elektronisch verfremdete Stimme. Kein Tanzflächenfüller, aber in seiner Wirkung wie ein Treibsand: der Hörer wird in die Keyboards und Synthesizer, Beats und Gitarrenwände hineingezogen. Wieder: Keles Bestandsaufnahme einer desillusionierten Generation, deren Suche nach etwas besonderem in ihrem Leben zu einer Odyssee wird, die sich jedes versoffene Wochenende wiederholt. "Tonight make me unstoppable / And I will charm, I will slice / I will dazzle, I will outshine them all".

5. Uniform

Nach "The Prayer" hält die vermeintliche Ruhe Einzug. Fast eine Indie-Ballade bahnt sich hier ihren Weg. "Uniform" beschreitet allerdings zumindest textlich längst ausgetretene Wege. Eine uniformierte, gleichgeschaltete Gesellschaft, das klingt nicht nach einer besonders originellen Bestandaufnahme. Aber spätestens wenn der Song kippt und Bloc Party das Gaspedal durchtreten, bekommen die Worte Bedeutung: "Why do you go picking fights that you lose? / When you got entertainment".

6. On


Spätestens mit "On" könnte man von einer Zwangspause auf dem Album reden. Außer einem Beat, Keles Stimme und einem synthetischen Klangteppich ist kaum etwas zu hören. Zumindest bis Matt Tong die Basedrum durchschlägt. "On" bleibt aber sphärisch. "You make my tongue loose / You make my tongue loose / I am hopeful and stutter-free" Im Zusammenspiel aus Gesang und Musik wird dieser Song zu etwas ganz Großem. Sicherlich der ungewöhnlichste Bloc Party Song.

7. Where Is Home?

Auch hier überwiegt mal wieder ein langes Intro. Keles Wut auf die britischen Medien, das Gefühl, einfach nicht zu Hause zu sein, kommt hier am besten zum Ausdruck. "In every headline / We are reminded / That this is not home for us". Beunruhigend sind Schlagzeug, Gesang, flackernde Soundfragmente und Chöre. Dass würde kein Mensch auf der Tanzfläche spielen. Ein weiterer Beweis, dass Bloc Party dieses Kapitel hinter sich gelassen haben.

8. Kreuzberg

"There is a wall that runs right through me / Just like the city, I will never be joined / What is this love? Why can I never hold it? / Did it really run out in the strangers' bedrooms?" Mehr muss eigentlich nicht mehr gesagt werden. Bei einem nächtlichen Streifzug durch verschneite Städte wird man wissen, was Kele Okereke meint.

9. I Still Remember


Eine weitere Single und die profanste Bloc Party Hymne. Der Coldplay-Vorwurf lässt sich eigentlich nur hier wirklich belegen. Von vorne bis hinten ein eingängiger Hit. Aber nicht minder großartig. Vor allem Russell Lissacks Gitarre macht hier eine besonders gute Figur und trägt Keles Gesang durch die eigenen Abgründe. "You should have asked me for it / I would have been brave / You should have asked me for it / How could I say no?" Das hätte bzw. hat Morrissey auch schon so geschrieben. verpasste Chancen, gegossen in Musik. Trauriger und hymnischer geht es nicht.

10. Sunday

Hier zeigt sich, wie groß Matt Tong als Schlagzeuger ist. Er hält die ganze Band zusammen. Und das bei einem Song, der so leicht auseinanderfallen könnte. Trauriger Indie-Pop vom feinsten.

11. SRXT

Das Finale ist auf seine eigene Art ein ganzes Album. "Walking in the countryside / It seems that the winds have stopped / Tell my mother I am sorry / And I loved her". Ein Abschiedssong über den Suizid. Ein bitteres Resümee zieht Okereke da: im eigenen Tod liegt der Frieden. Nach 2/3 setzen die Chöre ein und der Trauermarsch beginnt. Am Ende eines langen Weges ... Wie groß das Album ist, zeigt sich hier. Pathos, Trauer, Wut, Verzweiflung, Schönheit gehen Hand in Hand. Deswegen ist "A Weekend in the City" ein so großartiges Album.

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