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MISC - März 2008 l #11

sellfish.de Spezial: Independent.Post.Punk.Rock.

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Diesmal mit:

Headlights | In The Pines | Tulsa | Evangelista | Lemuria | Removal | Sleep Station | Miss Massive Snowflake | Gottkaiser | Senore Matze Rossi | Cortez

Nur eine gute halbe Stunde brauchen "Illinois' smartest", Headlights, um mit ihrem Nachfolger zu "Kill Them With Kindness" die Sympathien des Jahres 2006 (bzw. der noch vorab via dem Magdeburger Mi Amante Label veröffentlichten EP) wieder aufleben zu lassen. Sänger und Gitarrist Tristan Wright baut uns gemeinsam mit Erin Fein (Keyboard, Gesang) und Brett Sanderson (Schlagzeug) auf "Some Racing, Some Stopping" (Kill Rock Stars/Cargo) wieder einschmeichelnde Pop-Variationen, welche nicht zuletzt durch die zweite Stimme von Erin einen heimeligen Arcade Fire Touch bekommen. Tja, und ein weiteres Mal dürfen außerdem Death Cab For Cutie-Referenzen gezogen werden. Wenngleich Headlights alles andere als Nachahmer sind; schon deshalb, weil man mittlerweile seit fast fünf Jahren gemeinsam musiziert. Zudem gerieten die zehn Stücke viel zu introvertiert, beinahe ein wenig versponnen. Dabei haftet den Kompositionen, frappierender Weise, dennoch immer etwas Leichtfüßiges an. Erst auf der Bühne wird aus dem zurückhaltenden Indie-Pop dann ein mit Nachdruck versehener, geradezu rockiger Sound. Bis es wieder soweit ist bleibt „Some Racing, Some Stopping“ vielleicht die perfekte Platte, um uns in den Frühling zu geleiten.
Und wieder einmal hat sich das sympathische Liebhaberlabel Arctic Rodeo Recordings eine besondere Formation an Bord geholt, bei welcher neben der Musik auch die Besetzung aufhorchen lässt. Die leicht bis mittelschwer folkig angehauchten Stücke nämlich entfalten ihre besondere Atmosphäre nicht von ungefähr: Violine, Bratsche und Harmonium ergänzen das konventionelle Instrumentarium von Independent-Bands und verleihen dem selbstbetitelten Debüt so seine besondere Note. In The Pines stammen aus Kansas City und entwerfen zu Sechst einen solch bedächtigen Sound, dass er in seiner Zerbrechlichkeit beinahe hilflos wirkt. Doch "In The Pines" (Arctic Rodeo Recordings/Alive) wird hierzulande nicht umsonst im Vorprogramm der Weakerthans einem (hoffentlich) breiten Publikum zugänglich gemacht… [Halt nein, wie ich gerade höre hat sich hier der Fehlerteufel eingeschlichen... Den Support spielen die Labelmates House & Parish - passen würde es dennoch ;-)] Auch wenn sich die Wirkung dieser fein gesponnenen, heimeligen Songfragmente sicherlich zu Hause im Wohnzimmer am besten entfaltet. Denn keine Ahnung, ob die Band sich nach dem Meisterwerk der Triffids benannt haben: Falls doch, hat man deren Bombast jedenfalls auf ein augenscheinliches Minimum zusammen geschmolzen. Ein paar uplifting Momente in „Prison Ghost“ bilden die wesentlichen Farbtupfer in diesem sonst bewusst gedeckt gehaltenen Werk. Welches übrigens als CD-Digifile und, wie gewohnt, in diversen Vinyl-Farbtönen erhältlich ist. Ziemlich wunderbar.
So langsam aber sicher mausert sich Park The Van Records (u.a. Heimat von Dr. Dog) zu den respektabelsten neuen Labels im Independent-Genre. Mit der knapp halbstündigen EP von Tulsa machen sie nun auf eine Formation aufmerksam, welche bislang nur auf eine handvoll digitaler Veröffentlichungen blickt. Eben nicht benannt nach der Stadt in Oklahoma (sondern nach einem Fotoband von Larry Clark) klingt die Formation aus Massachusetts irgendwie doch nach ihren amerikanischen Koordinaten: "I Was Submerged" (Park The Van/Cargo) atmet Alternative Country, Singer-Songwriter und, tja, Americana. Versetzt mit einer psychedelischen Note entfalten die sieben anfangs zurückhaltenden Songs Stück für Stück ihr prächtiges Antlitz: Tulsa liefern damit mehr als nur die Basis für einen kommenden regulären Longplayer – „I Was Submerged“ wird alle Genrefreunde verzücken.

Constellation Records offenbaren uns mit "Hello, Voyager" (Constellation/Alive) einen neuerlichen, bizarren Höhepunkt. Im Dunstkreis von Thee Silver Mt. Zion veröffentlicht Carla Bozulich ihr zweites Album, holt sich dabei einmal mehr die avantgardistische Szene Montreals an ihre Seite. Und vermag es doch, allein auf weiter Flur zu stehen. Einfache Begleitumstände braucht deshalb niemand zu erwarten: So wird diesmal unter dem Pseudonym Evangelista veröffentlicht, welches vor zwei Jahren noch als Alias für Band/Debüttitel diente. Das famos aufgemachte neue Werk rückt die charakteristische, schroffe Stimme der Protagonistin klar in den Mittelpunkt. Und spinnt darum exaltierte Miniatursymphonien zwischen alles zermalmendem Blues, Kammermusik und experimentellen Noise-Ausbrüchen. Zusammengehalten wird der Bozulich-Trip von fein gesponnenen Melodien, welche trotz der Staub aufwirbelnden Lärmmomente (bzw. der diesen gegenüber gestellten gediegenen Unterkühltheit von diversen Streicherpassagen) fortwährend im Mittelpunkt stehen. Querverweise in Richtung The Paper Chase sind ebenso nahe liegend wie angebracht: Referenzen a lá "a female John Congleton" zzgl. weiterer Avantgardismus-Elemente dürfte Evangelista nicht zum ersten Mal hören. Ein sperriges, ein wunderbares Album.
Die vor einigen Wochen via dem Berliner Yo-Yo-Records veröffentlichte Compilation "The First Collection" konnte schon nachhaltig begeistern. Mit "Get Better" (Asian Man Records) erfüllen Lemuria die Erwartungen an ihr Album-Debüt tatsächlich entsprechend dem programmatischen Titel: Wie aus einem Guss siedeln sich die zwölf Stücke des Trios aus Buffalo zwischen Jawbreaker und den längst verblichenen Discount (kennt die eigentlich noch jemand?) an... um daraus einen durchaus charakteristischen Sound zu spinnen. Mit reichlich Ecken und Kanten versehen, lassen die Songs zwar ihre rudimentären Aufnahmebedingungen durchschimmern. Doch die famose Schräglage zwischen großen Harmonien und einer gesunden Prise Dissonanz funktioniert tatsächlich noch einmal besser als bisher; und wurde auch soundtechnisch perfekt eingefangen: "Get Better" steckt voller ungeschliffener Songdiamanten, deren Reiz sich eben nicht nur auf den Zwiegesang von Sheena und Schlagzeuger Alexander limitieren lässt (… welcher innerhalb der Songs interessanter Weise oft wie eine Art Gespräch aufgebaut ist). Stücke wie „Wardrobe“ klingen variantenreicher als in der Vergangenheit und beweisen, dass die Rezeptur hinter den Kompositionen auch in ruhigeren Momenten – und besonders dort – glänzend funktioniert. Fazit: Die zweite große Chance, Lemuria zu entdecken, sollten sich weder Dischord- noch Indierock-Fans entgehen lassen.
Noch ein Hinweis in eigener Sache: Denn Removal haben im Prinzip gar kein neues Release vorliegen, sind dieser Tage jedoch wieder auf Tour unterwegs. Was immer eine gute Möglichkeit bietet, die Instrumental-Formation aus Kanada etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Selbiger Vorgang offenbart zunächst, dass Removal zwar keinen eigenen Sänger in ihrer Reihe haben. Doch verfügt das seit über zehn Jahren aktive Trio (angeführt von Hanson Brothers-Schlagzeuger Earnie) über eine ansehnliche Reihe an Bewunderern. Darunter zuvorderst - und ziemlich passend - No Means No. Welche nicht nur ihr eigenes Label für ein paar Veröffentlichungen darboten. Auf dem 2007er Werk "If You Don't Have Anything Nice To Say, Start A Band" (Scratch Records/Flight 13), eine Zusammenstellung diverser limitierter Seven Inches, lieh deren Mr. Wrong auch gleich seine Vocals. Womit wir beim Konzept von Removal wären. Zu hören sind auf eben jener Platte nämlich auch die Stimmen von Peaches, Mike Watt, Danko Jones, Devin Townsend (!) sowie diverser anderer Berühmtheiten. Sie alle sorgen dafür, dass der Prog-Punk/Jazzcore-Sound der Band auf eigenwillige Weise - trotz zahlreicher Ecken und Kanten - ins Ohr geht. Wenn kein Gastsänger zur Hand ist, pimpen Removal ihre Tracks mit kruden Samples auf. Fazit: Pflichtprogramm für No Means No-Anhänger, mindestens. Doch auch alle anderen Freunde unlimitierter musikalischer Rock-Exzesse müssen hinhören. Auf Platte - und live sowie so (…dabei übrigens von Dia-Shows unterstützt). Als Einstieg gleichermaßen geeignet ist übrigens die „File Under Futile“ (Scratch Records/Flight 13) betitelte Compilation von ausgewählten Single-B-Seiten.

Hinter einem Artwork, welches eher an Schundroman oder Computerspiel denken lässt, verbirgt sich das genaue Gegenteil: Ein ebenso anspruchsvolles wie ansprechendes Stück Musik nämlich. Obgleich Sleep Station dem angesichts seiner Herkunftsszene weltoffenen Eyeball-Label zuzuordnen sind, überrascht die stilistische Ausprägung von "The Pride Of Chester James" (Eyeball Records/Cargo) dennoch. Mit den bisherigen Firmenhighlights Thursday oder My Chemical Romance hat die Musik nämlich in keinster Weise zu tun. Sleep Station bewegen sich stattdessen in gefährlicher Nähe zum Pop; doch immer bevor ihr Sound anbiedernd wird, wehrt sich die Formation um Bandzentrum David Debiak (man könnte hier auch gut und gerne von einem Soloprojekt sprechen) vehement. Genau dann nehmen die 14 Stücke nämlich eine geradezu bedrohliche Tiefe an. Und der Songwriter aus New Jersey legt seine Wurzeln frei: Welche überraschenderweise von Death Cab For Cutie... bis hin zu Folk-Pop und Country zurück reichen. Dabei jedoch einen so gesunden Minimalismus zu Tage legen, dass Sleep Station – auch durch ihre Unaufdringlichkeit – jederzeit zu gefallen wissen.
North Pole Records und ihre Künstlerin Miss Massive Snowflake, welcher eigentlich ein Mann ist, vereint die gleiche Herkunft: Beide stammen aus Portland, Oregon; der Metropole im pazifischen Nordwesten. Shane de Leon, der bereits mit den großartigen 31 Knots zusammen gearbeitet hat, bildet dabei das klare Zentrum der Formation: "Queen's Headache" (North Pole Records/Import) wurde von ihm entworfen, konzipiert und umgesetzt. Dabei scheint er doch ein notorischer Schwerenöter zu sein: Vieles hier wirkt (bewusst) nur angerissen, nachhaltige Momente lassen sich kaum finden - dafür jede Menge Klamauk. Unterstützung fand er dennoch bei einer ganzen Reihe von Gastmusikern, welche das beinahe Comic-hafte Werk zu einer kurzfristig unterhaltsamen Angelegenheit machen: Feines Artwork, 15 Tracks und eine handvoll weiterer Quicktime-Videos sorgen zudem für value-for-money. Dem quantitativen Gegenwert wird durch die bruchstückhaften Songskizzen allerdings nicht qualitativ entsprochen. Weshalb "Queen's Headache" nur für Kuriositäten-Sammler attraktiv sein wird.

Gottkaiser aus Hamburg konnten vor zwei Jahren mit ihrem Debüt schon einen Achtungserfolg einfahren. Die sich aus ehemaligen But Alive-, Emils-, Rastaknast-, OHL- sowie Combat Shock-Mitgliedern rekrutierende Band läuft jedoch erst mit dem Zweitwerk zu voller Leistung auf. So filigran wie "Krieg & Frieden" (Sunny Bastards/Broken Silence) klang jedenfalls noch keine Platte auf dem Sunny Bastards Label: Im balladesken Ohrwurm "Ein Anderer Mensch" hört man doch tatsächlich Flamenko-artige Klänge... Doch wichtiger bleibt natürlich der Gesamteindruck: Und der rockt. Musikalisch nämlich orientiert sich das Material in Richtung der späten Tagtraum-Phase. Und auch die deutschen Texte gefallen mit entsprechender Direktheit: Anstelle in hanseatische Rätselhaftigkeiten a lá Kettcar bzw. affektierten Zweideutigkeiten zu versinken, bringen Songs wie "Deja Vu" ihre Inhalte klar auf den Punkt. Das kann persönlich - gerne auch mal politisch sein, wenngleich die auf vier Personen reduzierte Mann- und Frauschaft dabei manchmal in ZSK-Tradition zu den Bekehrten predigt... Doch genug der nörgelnden Worte: Die zwölf Songs zwischen Punk und Rock gefallen mit großen Melodien, teils zweistimmigen Gesängen (Bassistin Silvia greift in den besten Momenten nämlich zum Mikrofon) sowie sympathischen Botschaften. Vor allem Frontmann Frederic hat an seiner Stimme gefeilt und drückt "Krieg & Frieden" diesmal im positiven Sinne seien Stempel auf!
Apropos deutscher Rock mit Message: Sein drittes Album präsentiert Ex-Tagtraum Frontmann Matze Nürnberger alias Senore Matze Rossi in deutlich fetterem Soundgewand als den Vorgänger "Und wann kommst du aus deinem Versteck?". Die Themen, die ihn beim Texten beschäftigen, haben sich jedoch weder im Vergleich zu den Solo- noch zu den Tagtraumplatten verändert. Der Sound dagegen liegt jetzt irgendwo in der Mitte, definitiv kein "Rock" wie in alten Tagen, aber auch nicht mehr nur mit der Akustik-Gitarre. Das geht also durchaus in Ordnung. Mit den Texten ist es eher Geschmackssache, die pendeln auf "...Und wie geht es deinen Dämonen?" (Eigenvertrieb/Dancing In The Dark/Broken Silence) nämlich wieder zwischen Herzschmerz, Selbstmitleid und dem Willen zum Weitermachen. Aber dabei fehlt irgendwie die Energie, die Jupiter Jones oder Muff Potter reinstecken. Für die kleine Depression zwischendurch ist das Album jedoch auf jeden Fall zu gebrauchen. [Die Matze Rossi-Rezension ist ein Gastbeitrag von Christian Reihe. Vielen Dank.]

Tja, da weckte der Name wohl die falschen Hoffnungen: Cortez haben rein gar nichts mit den Schweizer Post-/Noisecore-Meistern zu tun. Stattdessen wird auf "Thunder In A Forgotten Town" (Suburban/Soulfood) klassischer Stonerrock im EP-Format serviert. Nicht schlecht, ohne Frage. Jedoch auch ohne die so notwendigen ganz großen Momente. Auf der Haben-Seite verbuchen die Bostoner jedenfalls einen dezenten Fu Manchu-Anteil, welcher sicherlich auch mit den bandeigenen Punk-Wurzeln zu tun hat. Umgekehrt jedoch mangelt es den sechs Tracks, welche unabhängig vom Gesamturteil über eine für dieses Format untypisch opulente Spiezeit verfügen, an Originalität: Alles was es hier zu hören gibt, bekam man schon andernorts serviert. Besser, sicherlich aber auch schlechter. Insofern kann man eine echte Empfehlung guten Gewissens nur für Genrefans aussprechen.

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