Wegweiser durch sellfish.de

independent online music  |  info@sellfish.de

Art Brut

It's A Bit Complicated

ArtBrut.jpg

Ein sympathischer und talentierter Frontmann macht noch lange kein gutes Album. Obwohl sich wieder mal alles um Eddie Argos dreht, bleibt von "Bang Bang Rock'n'Roll" nicht viel übrig. Es ist halt alles etwas komplizierter mit der Einfachheit. Oder doch nicht? Ihre Lockerheit haben Art Brut jedenfalls noch lange nicht verloren und werden dennoch auch mit Album Nummer zwei nicht die Konsensband werden. Vier Ohren, zwei Meinungen.

Stringent waren Art Brut Songs ja noch nie. Haken haben sie geschlagen, sich wahlweise verlangsamt und beschleunigt. Und irgendwie musste man trotzdem nie lange auf Hooklines warten. "Bang bang Rock'n'Roll" ist heute ein Klassiker, weil es neben textlicher Raffinesse vor allem das Überraschungsmoment auf seiner Seite hatte. Und Hymnen. "Emily Kane" zum Beispiel. Bei "It's a bit Complicated" ragt monolithisch nur "Nag Nag Nag Nag" heraus. Der Rest: gewohnte Art Brut Kost? Zu Recht kann man sagen, dass Art Brut eine Trademark gefunden haben, die sie deutlich über die Köpfe vieler anderer UK-Bands ragen lässt. Das ist zum einen die nuschelige, dahingerotzte Stimme von Eddie Argos, zum anderen die kratzige E-Gitarre, das Pulverfass an Riff-Ideen. Auch auf "It's a bit complicated" findet sich all das wieder. Mit unangenehmem, faden Beigeschmack, der sich "Beliebigkeit" nennt. Denn Anspruch auf sich selbst kann eigentlich kein Song mehr erheben. Würde Argos Gedichtbände veröffentlichen - der Unterschied wäre kein besonders großer mehr. Denn wann immer die Sprache auf Art Brut kommt, wird Argos gelobt. Das Songwriting seiner Band hingegen bleibt meist unbeachtet. "Pump up the Volume" klingt nach Hausmannskost, "Direct Hit" ist ein wahrlich konstruierter Hit und "People in Love" rettet sich nur noch textlich über den gähnenden Abgrund der Belanglosigkeit. Allein: es gibt sie noch, die ganz dicken Brocken, die Hits, die einzigartigen Songs. "St. Pauli" ist einer dieser Songs, dessen Text zwar unbeholfen bruchstückhaft bleibt, an Witz jedoch eine wahre Brit-Koryphäe darstellt. Humor hat auch das grandiose "Post Soothing Out", zumindest musikalisch. Das Riff ist ein energetischer Bolide und dürfte jeden Club zum Kochen bringen. Der Rest: müde und uninspiriert. Eddie Argos auf dem absteigenden Ast? Hoffentlicht nicht, die Musikwelt braucht zumindest seinen Humor.

Bewertung: 6 von 10 Sternen / Robert Heldner


Man kann „It’s A Bit Complicated“ vieles vorwerfen, aber auf keinen Fall die Dinge kritisieren, weswegen der Erstling „Bang Bang Rock’n Roll“ so abgefeiert wurde. Klar, was man beim Debüt zunächst vielleicht noch unterschätzt hat, kommt jetzt ohne Überraschungseffekt daher, aber Art Brut sind immer noch in der Lage fantastische Popsongs im Punkkostüm zu schreiben. Die Ruppigkeit eines „My Little Brother“ hat man zwar inzwischen abgelegt, großartige Songs bringt die britisch-deutsche Rasselbande aber immer noch zustande. Auch wenn der Begriff Hymne verpönt ist, „Nag Nag Nag Nag“ ist eine der größten, die in den letzten Jahren geschrieben wurden. „Direct Hit“ mag konstruiert wirken, aber Art Brut geben das wenigstens offen zu, während andere Bands ihre potentiellen Singles zu kaschieren versuchen. Auch auf dem Vorgänger war nicht jeder Song brillant, es ging um das große Ganze: den Humor von Eddie Argos und seine Fähigkeit Texte für die Ewigkeit und für die mit Edding beschmierten Wände zu schreiben, die abgefuckte Art mit bescheidenem Talent spitzenmäßige Melodien und Riffs rauszuhauen und wenig Mitteln das maximale Ergebnis rauszuholen. „It’s A Bit Complicated“ nimmt sich selbst nicht zu ernst und hat die Musikalität dennoch etwas ausgebaut. Sing Alongs und Backgroundchöre gibt es zu Hauf und sogar Bläser haben sie am Start. Und sie schaffen es erneut: Bereits nach wenigen Sekunden will man zur Gitarre greifen und vor der Anlage ein wenig mitzocken. Da ist eine Verbundenheit, wie sie nur wenige Bands dieser Tage hinkriegen. Dass Art Brut bis heute in England nicht die große Nummer sind und sich ihre verdienten Lorbeeren lieber in den USA oder in Deutschland aufsammeln, macht die Sache noch spannender. Kein Wunder, dass dabei so ein Song wie „St. Pauli“ herauskommt. „Punkrock ist nicht tot“, erzählt uns Eddie und dass er seine spärlichen Deutschkenntnisse von einer 7-Inch gelernt hat. Und zu guter Letzt besitzt der schnurrbärtige Schelm auch noch die Dreistigkeit Art Brut der Hamburger Schule zuzuordnen, das muss ihm erst mal einer nachmachen. Diese Truppe ist die Elster unter den britischen Hype-Vögeln, sie klaut sich zusammen, was ihr gefällt. Hier eine Textzeile, dort eine Alltagsbeobachtung und zwischendurch sogar ein paar Gitarrenriffs von The Rifles. Ganz im Sinne von „Talent borrows, Genius steales“. Und das wussten ja bereits Tocotronic. Hamburger Schule eben.

Bewertung: 7 von 10 Sternen / Sebastian Gloser


Spielzeit: 33:59 / Rock'n Roll





ERROR!