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MISC - Oktober 2007 l #04

Heute: A Tribute To Zeitmangel

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Diesmal mit:

José Gonzáles | Land Of Talk | R.E.M. | Postscriptum | Dr. Dog | Ohmega Watts uvm.

Normalerweise soll es genau so ja nicht laufen. Aber es bleibt die Realität: Auch wenn sellfish.de für alle Beteiligten eine lieb gewonnene "Nebenbeschäftigung" darstellt - vom Zeitfaktor her grenzt das Ganze eher an einen Fulltime-Job. Doch wenn eben jener einmal vorübergehend noch mehr Platz als regulär in Anspruch nimmt, muss das vermeintliche "Hobby" zurückstecken. Darum hier ausnahmsweise in wenige Zeilen verpackt, was unter anderen Umständen ausführlichere Betrachtung bekommen hätte. PS: Intensiv zu Gemüte geführt wurde das vorgestellte Material übrigens trotzdem. Beim Frühstücken, im Auto, im Walkman und während dieser Text entsteht.
Im Falle Beachfield wird einem schnell warm ums Herz. Kein Wunder, geht der ehemalige Go-Betweens-Drummer Glenn Thompson auf seinem Quasi-Debüt doch beinahe verschwenderisch mit großen Pop-Melodien um. "Brighton Bothways" (Tuition/Alive) gehört zu jener Sorte Platten, die mich an Nada Surfs charmanteste Kompositionen erinnern. Nicht nur wegen der stimmlichen Ähnlichkeiten bilden jene nämlich den zweiten zentralen Referenzpunkt neben nahe liegenden Go-Betweens. Alles andere als ein Schlagzeuger-Album also, sondern ein ziemlich brillantes Indiepop-Highlight. Nicht ganz unähnlich liegt der Fall bei Dr. Dog: Ohne dass man vorher groß von ihnen Notiz genommen hätte, bezaubert "We All Belong" (Park The Van/Cargo) auf Anhieb. Als eine Art psychedelische Archetypen-Version der Beatles schummelt sich die Musik der Formation aus Philadelphia in die Ohren der Hörer. Mehrstimmige Gesänge samt Ooohs'n'Aaaahs setzen ein dickes Ausrufezeichen hinter den Begriff „Widererkennungswert“, während die herrlich unbearbeiteten Aufnahmen für das entscheidende Quäntchen Sperrigkeit sorgen. Am Ende steht ein mehr als formidables Werk, dessen Wirkungsradius sich bei entsprechender Promotion locker potenzieren sollte.

Als Independentkünstler, genauer: Singer-Songwriter, kann einem das Leben ganz schön erschwert werden. Insbesondere dann, wenn man durch einen Hit - schlimmstenfalls sogar durch eine TV-Fernsehspot-Lizenzierung - zu großem Erfolg kam. Das bekommt José González, der charismatische Schwede argentinischer Abstammung, nun am eigenen Leib zu spüren. Da hilft es auch nichts, dass sein Zweitwerk zumindest hierzulande auf einem Kleinstlabel erscheint. Und durch seine schlichte Eleganz durchaus einen eigenwilligen Reiz entfaltet. Vielleicht macht er mit "In Our Nature" (Peacefrog Records/Rough Trade) neben der knapp bemessenen Spielzeit (zehn Songs in gut 30 Minuten) aber noch einen weiteren Fehler: Die neuerliche Coverversion, "Teardrop" von Massive Attack, verfehlt im spröden Gitarre/Stimme-Gewand leider ziemlich ihre Wirkung.

Eigentlich begonnen als Projekt des Produzenten Dandy Brown, bekamen Hermano schnell prominente Unterstützung: Kein Geringerer als Unida-Sänger John Garcia stieg bei den Rockern ein und verpasste dem Sound des Fünfers schon auf dem (überraschend wenig beachteten) Debüt "Only A Suggestion" seinen individuellen Stempel. Dabei liegt das Augenmerk im Vergleich zu Kyuss auf wesentlich straighteren und auch etwas konventionelleren Songs. Das Material weist eine latente QOTSA-Kante auf; dabei sind die elf Songs sogar etwas im ("heavy") Blues verwurzelt - was nicht nur musikalisch als vielmehr auch in textlicher Hinsicht evident ist. Hier werden, für das Stonerrock-Genre eher unüblich, anstelle von Sex, Drugs and Rock’n’Roll Beziehungen und Emotionen thematisiert. Fazit: "...Into The Exam Room" (Suburban/Soulfood) ist ein prächtig rockendes Album geworden, bei dem Freunde oben erwähnter Bands goldrichtig liegen. Schade, dass Hermano offenbar immer noch nur Projektstatus besitzen.

Montreal/Kanada und Indierock: Dass es sich dabei momentan um das ganz große Ding handelt, erkannte sogar der Spiegel. Und als ob es gelte, dieses Phänomen nicht als bloßen Trend abzutun, gibt mit Land Of Talk eine weitere bemerkenswerte Formation ihr Stelldichein - zwischen Dinosaur Jr und PJ Harvey. Diesen Vergleich habe ich übrigens dreisterweise aus dem Presseinfo geklaut; beschreibt er den treibend-verquer-leidenschaftlichen Sound von "Applause Cheer Boo Hiss" (One Little Indian/Rough Trade), welchem Sängerin und Gitarristin Elizabeth Powell ganz besonderes Leben einhaucht, doch optimal. Ursprünglich als EP erschienen, bringt es das Material hier dank dreier Bonustracks auf reguläre Albumspielzeit. In welcher das Trio seine Hörer konsequent in den Bann zieht. Ein Werk, welches ebenso tosend wie introvertiert um Aufmerksamkeit ringt. Und zwar erfolgreich.
Norwegen und Gothicrock: Stadt-Stil-Bezugsgrößen, welche ein paar Zeilen weiter oben hinhören lassen, bewirken in diesem Fall dezentes Gähnen. Postscriptum lehnen sich mit ihrem Debüt "Prophet:Deny" (India Records) nämlich etwas arg an die Nachbarn von HIM an. Und dass deren Zeit vorbei ist, dürften die wenigsten Leser dieser Zeilen bestreiten. Zwar wurden diese Kompositionen hier nicht ganz so offensiv auf Hitappeal konstruiert. Doch wo sich die ebenfalls vergleichbaren Paradise Lost immer wieder (mal mehr, mal weniger erfolgreich) um Kurskorrekturen bemühten, gehen die Postcriptum im Zweifelsfall auf Nummer sicher und erweitern ihren Kontext um eine Note U2. Verzichtbar.

27 Jahre höchst erfolgreiche Bandgeschichte und kein Konzertmitschnitt? Eine Begebenheit, welche in Zeiten unnützer Live-DVDs drittklassiger Nu-Metal-Formationen aus Südbayern (mit gerade einmal einem Longplayer im Gepäck) geradezu unglaublich anmutet. Im Falle R.E.M. kommen die unzähligen Anhänger tatsächlich erst dieser Tage in den Genuss, die Bühnenshow um Fixpunkt Michael Stipe auch auf Konserve erleben zu können. "Live" (Warner) erscheint als Doppel-LP und Doppel-CD samt DVD und lässt praktisch keine Wünsche offen. Das Trio ließ bei dem Abend in Dublin neben hochwertigem Albummaterial natürlich auch die Single-Erfolge (u.a. Losing My Religion, Leaving New York, Everybody Hurts etc. pp.) nicht außen vor. Dementsprechend wird das simpel betitelte Werk zur ebenso simplen Vollbedienung: R.E.M. live. Direkt eingefangen, von Emer Patten bestenfalls dezent schön geschliffen und ohne die üblichen Bonushäppchen. Auch visuell ein Genuss.

Ein Manifest des instrumentalen Postrock liefern Sleeping People aus San Diego mit ihrem Zweitwerk ab: "Growing" (Temporary Residence/Cargo) tut eben solches - es wächst. Stück für Stück. Unruhig, nervös, rockend und immer auf der Suche nach der Melodie neben der Melodie. Exquisit produziert und noch dazu im feinen Artwork sollten selbst Skeptiker den Aufnahmen eine Chance geben: Tatsächlich gelingt es nämlich, durch eine immense, treibende Dynamik, den Sängerposten gänzlich vergessen zu machen. "Growing" entpuppt sich auf diese Weise zum Instrumental-Pendant von zwingenden Größen wie den Hot Snakes. Viel packender wird es in diesem Genre nicht mehr.

Im Sperrgebiet HipHop/Elektronika/Funk siedelt sich der Brite Ohmega Watts an. Und ohne dass man bei "Watts Happening" (Ubiquity Records/Cargo) Referenzen zum langsam ausmergelndem Grime-Genre ziehen müsste: Das, was von der Insel aus dieser Stilrichtung zu uns herüberschwappt, kann zumindest nicht als austauschbar abgetan werden. Auf gleich zwei CDs (einmal davon instrumental) zelebriert Watts - im weitesten Sinne - Dance Musik in zahlreichen Facetten. Ohne, dass der MC und Produzent nun ein ausgesprochen einzigartiger Rapper wäre bzw. mit extravaganten Sounds arbeiten würde. Die positive Attitüde sowie einige gut platzierte Features sorgen dafür, dass "Watts Happening" trotz Spielzeit-Überlänge nicht nur für Szenejünger attraktiv bleibt.

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