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MISC - Dezember 2007 l #03

sellfish.de Spezial: HipHop.Jazz.Ska.Reggae

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Diesmal mit:

Wu-Tang Clan | Awol One | Mädness | Olli Banjo | Raggasnoda Click | Nostagia 77 | Dr. Ring Ding uvm.

Der nicht nur in kreativer Hinsicht schicksalsgebeutelte Wu-Tang Clan überrascht mit einem reflektierten, jedoch düsteren Alterswerk. Und macht damit sowohl die mediokren letzten Outputs sowie auch die teilweise entbehrlichen Egotrips seiner Mitglieder beinahe vergessen. "8 Diagrams" (Bodog Music) erscheint erstmals auf neuer Independent-Heimat. Und es bleibt allein der musikalischen Qualität der 70 Minuten verschuldet, dass das Ableben eines solch prominenten Aushängeschildes wie Ol' Dirty Bastard sich nicht negativ auf den Stil der Formation auswirkt. Entgegen aller Erwartungen sorgt der Klan hier nämlich für ein echtes Highlight in einem sonst einmal mehr ziemlich schwachen HipHop-Jahr. Und überrascht unter anderem durch zwei ungewöhnliche Features in "The Heart Gently Weeps" (inkl. Beatles-Sample): Da wäre zum einen Erykah Badu, welche sich nicht durch das abermals zahlreich vorhandene sexistische Vokabular abschrecken ließ... sondern ausgerechnet in Kombination mit Red Hot Chili Peppers' John Frusciante für einen von zahlreichen Glanzmomenten sorgt. Welche desöfteren dunkel, nachdenklich und vertrackt ausfallen. Außerdem wimmelt es natürlich wieder an zahlreichen Ecken vor irren Kung Fu-Filmsamples; In Punkto Beats und Raps dagegen regiert eine ungewohnte Entspanntheit. Welche 1.) keinesfalls mit Ideenarmut zu verwechseln ist und 2.) dem Sound exzellent zu Gesicht steht. Hier wurden wirklich neue Facetten entwickelt… Ich jedenfalls bin beeindruckt.
Parallel zur vielbeachteten Wu-Tang-Wiederkehr zieht der Underground nach: Awol One & Faktor bringen ihr neues, erstes gemeinsames Werk an den Start. Bei dem zunächst die - mit einer guten halben Stunde sehr sparsame - Spielzeit negativ ausfällt. Davon abgesehen gelingt auf "Only Death Can Kill You" (Cornerstone Ras) einmal mehr der Spagat zwischen conscious HipHop, künstlerischem Anspruch a lá Anticon sowie harmonieverliebten Produktionen relativ gut. Zudem gefällt die Platte mit einem dezenten "Tom Waits auf HipHop"-Vibe ("Sunday Mourning"). Wenngleich man sagen muss, dass weder Awol One als Rapper noch sein Kollaborationspartner/Produzent Factor wirklich Akzente in ihrem Genre setzen können. So bleibt am Ende ein gutklassiges Album, mit einigen Beat-Stolpersteinen und atmosphärischen Instrumentals... Zu Recht werden manche, ausgehend von den Vorschußlorbeeren, höhere Erwartungen an das ShapeShifters-Mitglied gehabt haben. Probehören für aufgeschlossene Heads sei dennoch dringend empfohlen.
In konventionelleren Gefilden bewegen sich dagegen Smif'n'Wessun. Das Duo aus Brooklyn besteht aus den langjährigen Szeneveteranen Tek & Steele, die neben ihrer eigenen Bandkarriere unter anderem natürlich mit der labeleigenen Boot Camp Clik sowie Ausnahmetalent Talib Kweli kollaborierten. Die beiden frönen auf "The Album" (Duck Down/Groove Attack) fett (jedoch nicht sonderlich innovativ) produziertem US-Rap, welcher allerdings sporadisch durch einige gesungene Hooks und Reggae-Parts in poppige Gefilde gezogen wird. Tracks wie "Gotta Say It feat. Chuckii Star" dürften in ihrer Machart zumindest europäische HipHop-Anhänger an das letzte Promoe-Werk erinnern - sicherlich keine schlechte Referenz. Dennoch bleibt der Eindruck angesichts der von Duck Down gewohnten Qualität etwas mau. Allein wer seinen Rap gerne einmal um mainstreamtaugliche Elemente erweitert mag, sollte Smif'n'Wessuns’ vierten Output ein Ohr schenken.

Mit dem brillanten Album von MC Santana aka Semtex nahm ich kürzlich das erste Mal bewusst Notiz von Kehlkopf Aufnahmen. Auf einen Schlag hievt das Darmstädter Label, welches sich zwischen HipHop und Drum'n'Bass gar nicht erst entscheiden möchte, nun zwei Werke ersterer Schublade in die Läden - welche zum Teil sogar über grenzensprengende Ambitionen verfügen. Zumindest in inhaltlicher Hinsicht. Da machen es einem Baggefudda, ebenfalls aus Darmstadt, nämlich richtig schwer: Neben einer "merkwürdig/unangenehmen" (sic!) Attitüde an der Grenze zu prollig, völlig abgedreht und einigen höchst relevanten Anmerkungen zwischen den Zeilen, sorgen bei "Das Hundehirn & Sein Betreuer" (Kehlkopf/Groove Attack) schon Umstände aus der Vergangenheit für besondere Aufmerksamkeit: Da wären einmal die Kehlkopf Mafia-Referenzen zu erwähntem MC Santana... sowie eine Präsenz auf dem Kinderzimmer Productions Album "Irgendjemand Muss Doch". Deren leider verblichener Brillanz steht hier ein Beitrag von Jonesman gegenüber, dank welchem sich Baggefudda um ein Haar wieder disqualifiziert hätten. Doch Fehlanzeige: Die Rechnung geht auf – und der Hörer findet sich in einem mitreißenden Sog zwischen Verwirrung und Identifikation. Passend zum kreativen Kehlkopf-Schmelztiegel wird Mädness genauso auf diesem Werk gefeatured wie umgekehrt. Womit wir folgerichtig bei "Unikat" (Kehlkopf/Groove Attack), seinem Album-Einstand, wären. Dessen Charme sich vielleicht am ehesten im Track „Konterschoppe“ darstellt – Ungezwungen, teilweise witzig sowie im nächsten Moment sogar ergreifend platziert sich Mädness abseits von Curse’schem Besserwissen oder reinem Fun-Storytelling in der einheimischen Szene. Eine gerade noch gelungene Gratwanderung; denn ein paar wenige soulige Parts halte ich für durchaus grenzwertig. Dazu finden sich hier manche nicht ganz so frische Produktionen wie bei Baggefudda, wobei „Unikat“ als Ganzes dafür umso schlüssiger klingt. Dank Patrick Mit Absicht (in "Wendepunkt") sowie Marteria steuern weitere potentielle Retter des deutschen HipHops ein paar Zeilen bei. Und wenn man schließlich erfährt, dass Mädness unter anderem als Backup-MC für Olli Banjo unterwegs war, wird klar, welches (auch kommerzielle) Potential hier noch schlummert. Fazit: Ein bemerkenswertes Doppel, das hoffentlich noch für Furore sorgen wird.
Apropos Olli Banjo: Über 13 Songs in einer dreiviertel Stunde können sich Anhänger seines Rapstils mit dessen Vergangenheit beschäftigen. So veröffentlicht der Wahl-Kölner nach seinem wenig aufregenden letzten Longplayer "Lifeshow" nun eine Kollektion namen "Lost Tapes" (Headrush/Groove Attack); selbige hat er - zufällig im Vorweihnachtsgeschäft - aus einem verbuddelten Schuhkarton gezaubert. Zumindest macht das Material deutlich, dass der frühe Banjo dank Tracks der Marke "Krank" oder "Christian" reimstiltechnisch sowie in Punkto Produktion doch einiges zu bieten hatte. Leider reichten die Fundsachen nicht für die ohnehin genreuntypisch kompakte Spielzeit. Weshalb die lieblos aufgemachte CD noch mit teils bekannten Instrumental- oder Kollaborationsstücken (u.a. Melbeatz, Jonesman) aufgebläht wurde. Das Fazit bleibt angesichts einiger dennoch vorhandener Preziosen wie beim Vorgängeralbum: Zwiespältig.
Mindestes irre kann man es nennen, was die Raggasnoda Click auf ihrem Debüt anstellt. Hinter dem schon etwas kryptischen Titel verbirgt sich eine 9-köpfige Münchner Crew; deren Debüt "Dragonsaga" (Gembler & Co.) eine Kombination aus Rollenspieler-artigen Dungeons & Dragons-Fantasien, Deutsch-Rap, Pop, Hörspiel und jazzy Tunes darstellt. Die Wurzeln der Beteiligten liegen zwar im HipHop, stilistisch lässt man sich jedoch kaum Grenzen setzen. Was mancherorts leider zum Manko wird: Die neo-souligen, deutsch-poppigen Tracks beispielsweise machen es mir schon ziemlich schwer, über die 17 Tracks am Ball zu bleiben. Einige feine Wortgewandtheiten, funky Interludes sowie eingängige Harmonielinien dagegen sorgen dafür, dass die Essenz der Truppe doch positiv in Erinnerung bleibt. Eine mutige Angelegenheit, welche stilistischen Grenzgängern dringend angeraten sei, bleibt das Werk allemal. Zumindest nach einem vorsichtigen Versuch, ob man mit dem Konzept klarkommt - Welches inhaltlich bestenfalls mit Prinz Pi's "Herr der Dinge" Saga verglichen werden kann. Und live auf Bühne sicherlich uneingeschränkt funzt.

Den Weg fort von synthetischen Jazz-Klängen hin zur analogen Wärme der großen Klassiker vergangener Dekaden bestritt Songwriter und Produzent Benedic Lamdin bereits vor einem guten halben Jahr mit "Everything Under The Sun" sehr überzeugend. Das Nostalgia 77 Octet, die Live-Adaption seines so veröffentlichungsfreudigen Projekts, wartet nun mit einem weiteren Longplayer auf. Und es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis - trotz der Elektro/HipHop-affinen Labelherkunft - die sogenannte "seriöse" Jazzszene Notiz von der wahren Größe dieser Musik nimmt. "Weapons Of Jazz Desctruction" (Tru Thoughts/Groove Attack) markiert entgegen seines Titels nämlich keineswegs die Abrechnung mit einem Genre, sondern setzt sich vielmehr konstruktiv mit dessen Zukunft auseinander. Ohne bemühte Extravaganz, stattdessen mit kontrollierter Improvisation, dynamischen Grooves sowie einen Hang zu schwelgerischen Harmonien. Drei der diesmal etwas melancholischeren Kompositionen werden durch eine Sängerin, Sophie Smith, zusätzlich Substanz verliehen. Doch auch abseits solcher Bonbons haben die elf Tracks Potential, genreübergreifend Brücken zu schlagen.

Reggae und Ska aus deutschen Landen - Stilistisch nicht unbedingt das, was auf unseren Seiten sonst so stattfindet. Ein kurzer Hinweis auf diese beiden schönen Veröffentlichungen sei dennoch gestattet. Dr. Ring Ding sagt dem einen oder anderen schließlich durchaus von seinen Senior Allstars-Aktivitäten etwas. "Nice Again" (Kingstone/Groove Attack) dagegen kompiliert 19 eigene Songs, deren Dancehall-Anteil deutlich höher ausfällt. Und damit schnell Erinnerungen an die Berliner Seeed weckt. Nichtsdestotrotz: Der Münsteraner klingt frisch, trotz zum Teil deutscher Texte authentisch und erfüllt für mich seinen Zweck: Etwas Sonne ins sonst nur spärlich gewärmte Wohnzimmer zu holen. Ähnliches gilt umso mehr für The Slapstickers. Die, im zwölften Jahr ihres Bestehens, auch mit dem neuen Longplayer "Rocket" (Bonn Boom Records) der originären Welt der Busters ein paar punkige Hymnen hinzufügen. Das neunköpfige Kollektiv aus Nordrhein-Westfalen besteht immerhin zur Hälfte aus einer kompetenten Bläserfraktion, welche trotz rockiger Hits wie dem Opener "Not Anyone Else" immer wieder für entsprechenden Genrebezug sorgen. Schließlich wird das Werk durch die gediegene, differenzierte Produktion entgegen einiger Konkurrenten zu einer Angelegenheit, welche nicht nur auf Bühne, sondern auch aus der Stereoanlage seine positive Wirkung entfaltet.

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