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Videoclub Interview

Frühaufsteher

 

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Münster. Zentrum der ewigen Jugend. Wer hier nicht studiert, ist garantiert Dozent oder Professor. Das fördert natürlich auch ein großes kulturelles Angebot. Musikalische Anknüpfungs- und Reibungspunkte gibt es hier jede Menge. Wer hier eine Band gründen will, muss nach Mitstreitern sicher nicht lange suchen. Ein Zettel am schwarzen Brett „Suche nach Mitmusikern...“, wie an anderen Unis, ist hier eher nicht nötig. Auch nicht im Falle der jungen Kapelle Videoclub. Elias Gonzalez (Gesang / Synthesizer), Jurek Skrobala (Gitarre), Ramón Beinecke (Schlagzeug) und Sebastian Witte (Bass / Gesang) haben sich auch so gefunden und schnell festgestellt, dass sie im Proberaum besser aufgehoben sind als im Hörsaal. Wenn das die Eltern wüssten...

Andererseits könnten diese auch stolz sein, auf so viel Unternehmungslust. „Je länger man schläft, desto müder wird man“, so lautet das Motto, das die Vier ausgegeben haben und deshalb seit der Bandgründung im Frühling 2007 ein ordentliches Tempo vorlegen. Ende März erschien bereits ihre zweite EP „We Could Set Fire“ und die hat es in sich: Da prallen verschiedenste Welten aufeinander und heraus kommt die anspruchsvollste Tanzmusik, die man so aus diesen Breitengraden fast nicht mehr erwartet hatte. Die Verspieltheit von Portugal. The Man prallt auf die straighten Teile von Kate Mosh und Tokyo Police Club. Eingängig und trotzdem fordernd. Zeit für uns mal genauer nachzufragen, wer eigentlich hinter diesem frühreifen Quartett steckt.

Obwohl eure Bandgründung gerade mal ein Jahr zurück liegt, habt ihr schon zwei EPs aufgenommen und überhaupt klingen eure Songs schon sehr ausgereift. Woher kommt’s? Habt ihr zuvor schon in anderen Bands gespielt?
Sebastian:
Wir kommen da aus ganz verschiedenen Richtungen. Elias hat Gitarre in einer venezolanischen Metalband gespielt, Jurek war Gitarrist einer Progrockband mit lauter untanzbaren Takten, Ramón hat alles gemacht von Big Band über Deutschrock bis Punk und ich war Bassist in einer Kölner Band, die instrumentalen Post-Rock gemacht hat.
Jurek: Wir hatten also alle schon mal grundlegende Banderfahrungen, wobei wir die Projekte, die wir vorher hatten, weniger ambitioniert verfolgt haben als Videoclub jetzt. Das waren alles Bands, mit denen wir viel Spaß hatten, ohne uns aber richtige Ziele zu stecken. Beim Videoclub war von vornherein klar, dass wir peu à peu bestimmte Ziele erreichen wollen. Super war da auch zu sehen, wie es mit unseren Freunden von Ghost Of Tom Joad vorangeht. Henrik (Sängerund Gitarrist von Ghost of Tom Joad) hat uns außerdem immer in den Hintern getreten und gesagt „Macht was! Nehmt die Songs auf, spielt Auftritte!“. Das meinen wir auch mit dem Satz „Je länger man schläft, desto müder wird man“. Man muss als Band einfach machen und nicht bloß darüber reden, was man alles machen will.

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Euer erster Auftritt war dann auch gleich mal im Vorprogramm von Malajube, war das ein gewollter Wurf ins kalte Wasser oder kam das eher zufällig zustande?
Ramón:
Das war schon Zufall. Oder Glück. Frank vom Gleis 22 hat uns recht spät gefragt, ob wir Lust hätten, den Auftritt zu spielen und weil wir damals Malajube schon für uns entdeckt hatten, haben wir nicht lange gezögert. Natürlich war das ein ziemlicher Wurf ins kalte Wasser, vor allem weil wir zum Zeitpunkt der Zusage nicht genügend Songs hatten, um eine halbe Stunde Set zu füllen. Und wenn man sich heute die Aufnahme des Gigs anschaut, sieht man auch, dass wir sehr aufgeregt sind und einfach noch keine Live-Routine haben. Aber insgesamt eine wichtige Erfahrung und einfach ein toller Abend.

Eure Songs klingen sehr vielseitig. Ihr habt schon beschrieben, dass ihr aus verschiedensten musikalischen Ecken kommt. Könnt ihr eure Einflüsse noch mal etwas konkretisieren?
Ramón:
Jurek spielt oft hohe Gitarrenmelodien, Sebastian spielt immer individuelle bis vertrackte Bassläufe und Elias englisch-spanischer Gesang ist unverwechselbar. Ich denke, ich bringe das gewisse Rockige mit, weil ich früher viel Punkrock in der Richtung Hot Water Music, Satanic Surfers und Lagwagon gehört habe.
Jurek: Insgesamt kann man sagen, dass wir alle sehr viel Musik hören. Und einfach auch viel unterschiedliche Musik. Natürlich hören wir in erster Linie Bands, die sich grob in den Bereich Rock bzw. Pop einordnen lassen. Aber auch viel Elektronisches, Soul, Krautrock und Shoegaze. Ich glaube, die Vielseitigkeit der Songs kommt auch durch unsere Art des Songwritings.
Sebastian: Oft ist es so, dass man beim Songwriting durch die Sachen, die man aktuell hört, beeinflusst wird. Da das von Person zu Person anders ist, interpretiert man die Ideen, die ein Bandmitglied in den Proberaum bringt, automatisch anders, als sie vielleicht ursprünglich gedacht waren.
Jurek: Diesen Prozess finde ich bei uns gerade spannend. Es gibt keinen festen Songwriter, jeder bringt seine Ideen ein. Die Version von „Saturday Night Lights“, die ich mir zuhause überlegt und auf meinem Handy aufgenommen habe, klingt ganz anders als die durch den Videoclub-Wolf gedrehte Fassung. Wir haben das manchmal sogar, dass wir schon fertige Songs noch mal komplett umwerfen. „Elefantes“ haben Elias und ich zunächst in einer Version gemacht, die sehr straight und stark an Portugal. The Man orientiert war. Als wir das dann im Proberaum mit allen durchgegangen sind, wurde die ursprüngliche Idee fast ganz verworfen und das Ganze in einem an Kate Mosh und Delbo angelehnten Jam ins jetzige „Elefantes“ umgemodelt.
Elias: Ich neige dazu, über mehrere Wochen von bestimmten Bands nahezu besessen zu sein und entwickle daraus meine Vorstellung davon, was ich musikalisch selbst umsetzen möchte. Ich bin momentan zum Beispiel seit etwa vier, fünf Wochen sehr begeistert von den Foals und kann mich gerade kaum davon lösen. Das Gleiche hatte ich vor einiger Zeit mit Portugal. The Man oder Tokyo Police Club.
Jurek: Von Einflüssen hab ich da eine eher hippiehafte Auffassung. Das sind natürlich viele Bands, vor allem aber auch unser Umfeld, unsere Freunde und die Stimmung, in der wir uns beim Schreiben eines Songs gerade befinden.
Ramón: Um trotz deiner Hippiesicht ein paar Künstler zu nennen, die wir alle großartig finden: Sonic Youth, Les Savy Fav, dEUS, Malajube, Talk Talk, aber auch Jazziges wie Nils Landgren und Keith Jarrett.

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Früher nannte man so einen Stil-Mix mal „Crossover“ bis der Begriff von überwiegend schlechten Kapellen besetzt wurde. Was bedeutet für euch dieser Begriff?
Sebastian:
Wenn ich Crossover höre, denke ich immer an die H-Blockx. Mit denen wurden wir in einem Artikel auch mal verglichen, weil wir genau wie sie ein Megafon auf der Bühne benutzen und aus Münster kommen. Das sind dann aber hoffentlich auch die einzigen Gemeinsamkeiten!
Jurek: Ich verbinde da schon auch gute Bands wie Rage Against The Machine mit. Aber insgesamt glaube ich, dass Crossover kein Begriff ist, um Musik wirklich gut zu beschreiben. Mit Crossover verhält es sich ein wenig wie mit so Schlagworten wie „Indie“ oder früher „Krautrock“. Da werden Bands einfach mit einem Etikett versehen, das keine richtigen Aussagen über die Musik trifft, sondern nur beschreibt, dass Bands mehrere Stile kombinieren - wie beim Crossover halt - oder das gleiche Ursprungsland haben – Krautrock. So gesehen ist also sehr vieles, was heute an interessanter Musik entsteht, irgendwo Crossover, weil musikalische Innovation erst durch das Kombinieren verschiedener Sparten entsteht. Ich denke da momentan an die Anticon-Bands oder auch eine Band wie Von Spar, die in ihrer Laufbahn ja auch offensichtlich alles Mögliche an Einflüssen mitgenommen hat und deren Alben dadurch total unterschiedlich klingen. Um zu einem Punkt zu kommen: Wahrscheinlich könnte man also nach dieser Argumentation auch bei unserer Musik von Crossover sprechen, weil wir uns in der Melodieführung zwar stark am Pop orientieren, aber auch immer versuchen, spannendere Songstrukturen zu schaffen als das Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Ding.

Die Texte sind auf englisch und spanisch, war das von Anfang an eine bewusste Entscheidung zweisprachig zu singen?
Sebastian:
Witzigerweise verstehen wir alle bis auf Elias wenig bis gar kein Spanisch. Ich lasse mich deshalb immer vom Rhythmus der Worte überzeugen und das reicht mir. Der Plan war am Anfang ja, deutschsprachig zu singen, weil Jurek und ich von Kante, Delbo und Tocotronic fasziniert waren. Mit Elias haben wir diesen Plan verworfen und sind damit auch nie unglücklich gewesen.
Jurek: Die Idee mit den deutschen Texten kam dadurch, dass wir das als natürlichste Lösung gesehen haben. Weil Elias aber ja Venezolaner ist und außerdem lange Zeit in den Staaten verbracht hat, wirkt bei ihm der englisch-spanische Mix auch nicht gewollt, wie bei vielen deutschen Bands, die versuchen zu klingen, als wäre ihr Sänger in Oxford aufgewachsen.
Elias: Mir persönlich gefiel das Konzept, spanisch zu singen, am Anfang gar nicht so sehr. Es schien mir irgendwie einfacher und sowieso verbreiteter zu sein, mich ans englische Text-Prinzip zu halten, dann dachte ich mir aber wieder, einen musikalischen Kuchen aus beidem zu backen, wäre auch eine spannende Idee. So experimentell und komisch mir das anfänglich vorkam, hat das sofort - mit dem Schreiben von „Circo“, unserem ersten Song - ausgesprochen gut geklappt. Jetzt gerade spiele ich sogar mit dem Gedanken, ein paar französische Punchlines in die Songs einzubauen. Das Ding ist nur, ich spreche überhaupt kein Französisch. Aber die Idee ist da und ich bin immer daran interessiert, eigenartige Vorschläge auszuprobieren, um die Sache interessanter zu machen.
Jurek: Wo Elias gerade noch mit den französischen Punchlines kommt: Ich finde eh, dass die romanischen Sprachen sich sehr gut zum Singen eignen, einfach durch ihren Fluss und die Rhythmik, die Sebastian schon erwähnt hat. Außerdem bringt das Spanische noch so einen gewissen Pathos mit sich, den ich toll finde. Ich muss da immer an Fado, diese portugiesische Weltschmerzmusik denken, deren Texte ich zwar nicht verstehe, deren Leidensfaktor man aber auch so sofort begreift.

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Worum geht es in den Texten denn jetzt eigentlich?
Elias:
Die Inhalte variieren zwischen konkreten Themen wie bei unserem Song „Turu The Terrible“, in dem eine Johnny Quest-Folge musikalisch verarbeitet wird, und Abstraktem, das viel Raum für Interpretationen lässt. Der Text von „Elefantes“ ist zum Beispiel aus einer sehr subjektiven Sicht geschrieben, genau wie auch „Circo“. Jeder kann einfach die Sachen, die ich schreibe, spielerisch auffassen und über die Bedeutung spekulieren. Es geht mir auch nicht darum, dass die Texte unbedingt Sinn ergeben müssen oder eine eindeutige Interpretation haben. Ich denke, es ist interessanter, den Leuten, die unsere Musik hören, Raum für ihre eigene Fantasie zu lassen.
Ramón: So, wie ich das mitbekommen habe, hat Elias oft einfach einen bestimmten Satz, der ihm gefällt und an dem er sich dann orientiert. „We don’t need our shoes to dance“ ist ein Beispiel hierfür, das ja fast schon eine Art Slogan darstellt, um den herum dann der Rest des Textes entstanden ist.

Auf der EP habt ihr auch einen Remix von eurem Stück „Circo“, wie kam der zustande? Remixe kennt man ja eher aus dem Elektrobereich, bei Gitarrenmusik ist das noch relativ unüblich. Interessant ist ja auch, dass der Song beim Remix nicht nur einen elektronischen Anstrich bekommt, sondern eine völlig neue Stimmung transportiert.
Jurek:
Den Remix hat ein guter Freund von uns, Felix Herzog, gemacht. Er hat auch unsere EP produziert und ist eh ein total selbstloser, grandioser Typ. Und ein sehr guter Musiker. Sein Hobby ist es halt, ab und an Remixe zu basteln und da kam dann auch schon früh die Idee, „Circo“ auf seine Weise zu verwusteln.
Sebastian: Ich finde sehr gut, was Felix aus dem Song gemacht hat. „Circo“ beinhaltet sehr verschiedene Teile, die er komplett neu zusammengefügt hat. Wir haben selbst erst nach und nach gemerkt, was er mit manchen Sachen gemacht hat. Zum Beispiel hört man die Gitarre, die im Original zum Ende des Songs ausklingt, im Remix ganz zu Beginn leise hinter den Keyboards versteckt. Als uns das aufgefallen ist, sind wir total ausgerastet! Ich hab Felix da direkt vor seinem Rechner sitzen sehen, wie er verschmitzt grinst und grübelt, ob wir dieses Detail überhaupt bemerken. Die Stimmung des Songs ist durch die Änderung der Akkorde und der Instrumentierung deutlich melancholischer ausgefallen, erinnert mich aber an den verspielten Stellen an The Postal Service. Ich mag den Remix sehr gern und wir haben schon überlegt, ob wir den nicht mal einüben sollen, um ihn live spielen zu können.

Wie sehen eure Pläne für die nahe Zukunft aus: Möglichst bald ein Album aufnehmen oder lieber erst mal ein passendes Label finden oder beides?
Sebastian:
Mir ist es echt wichtig, viel aufzutreten, da ich mir selten denke „Wow, toll! Wer da jetzt wohl unsere CD zu Hause hört?“. Ich mag es, die direkte Reaktion der Leute beim Konzert mitzukriegen und vor allem durch die Gigs an Erfahrung zu gewinnen.
Jurek: Das stimmt schon, live zu spielen, ist das Wichtigste. Und in unserem aktuellen Zustand haben wir einfach auch sehr viele Freiheiten. Auf der anderen Seite, ist man nun mal an diese ganzen Organe des Musikbusiness gebunden, um in Radios gespielt zu werden und einfach eine größere Öffentlichkeit zu erreichen.
Ramón: Wir werden deshalb definitiv gegen Ende des Jahres ein Album aufnehmen. Daher suchen wir momentan noch ein Label, über das wir das Ganze dann veröffentlichen können. Genügend Songs, die wir für veröffentlichungswürdig halten, haben wir auf jeden Fall.
Elias: Ihr habt das schon gut zusammengefasst: Gigs, Label, LP, das sind unsere nächsten Ziele.

Interview und Text: Sebastian Gloser
Fotos: Pressefreigaben


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