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Nada Surf - Live
Batschkapp / Frankfurt
Alles Lieblingslieder
Es spricht für die Qualität einer Band, wenn man bei
der Frage nach dem Lieblingslied keine eindeutigen
Antworten geben kann. Entweder man kann mit einem Song
unmöglich dem Schaffen einer Band gerecht werden oder
die Lieblingslieder verändern sich genauso wie die
Menschen es tun. So ergeht es dem Verfasser
beispielsweise bei Radiohead. Dass auch Nada Surf
unter dieser Kategorie fallen, hatte sich bereits nach
dem Meisterwerk "Let Go" und den Festivalauftritten
beim Immergut und beim Haldern angebahnt. Dafür, dass
die Suche nach dem Lieblingslied beim Start ihrer
Deutschland-Tour im Frankfurter Batschkapp aber eine
zweistündige Sisyphosarbeit wurde, kann man Nada Surf
nur dankbar sein. Die Erkenntnis: Alles
Lieblingslieder.
Schon beim Hören des akustischen Openers "Blizzard Of
77" ist man sich eigentlich sicher es gefunden zu
haben. Sänger/Gitarrist Matthew Caws, Bassist Daniel Lorca und
Schlagzeuger Ira Elliot singen "I Miss You More Than I
Knew" und die Harmonien bilden den ersten Klos in den
eigenen Stimmbändern. Dass Nada Surf neben ihrem
Gespür für große Melodien aber auch eine tighte
Rockband sind, beweisen im Anschluss "Happy Kid" und
das wild ausufernde "Hi Speed Soul". Und schon war's
das mit dem Wirbelsturm als Lieblingslied. Mit "What
Is Your Secret" folgt das erste Lebenszeichen vom
neuen Album "The Weight Is A Gift", das im Vergleich
mit "Let Go" nicht nur an diesem Abend den Kürzeren
zieht. Mit 9:8 Songs entscheidet "Let Go" als Meister
der Herzen das Duell knapp für sich.
Und trotzdem ist
auch Nada Surfs neues Album ein Geschenk. Die Single
"Always Love" ist auch im Live-Gewand ein Smasher, zu
"Imaginary Friends" hüpft man Hand in Hand mit der
besten Freundin und "In The Mirror" passt zu dieser
eiskalten Winternacht in Frankfurt. "In My Dreams I
Love You Like A Snowstorm In The Night", singt Matthew
Caws und man wünscht sich selbst die Gabe einer solch
einfachen und eindringlichen Poesie. Das
Lieblingslied, definitiv. Oder doch nicht?
Nada Surf haben an diesem Abend alles dabei, was eine
große Band auszeichnet: die Songs, die Routine, die
Spielfreude, den langen Atem. Mit "Kilians Red" und
"Paper Boats" spielen die New Yorker gleich beide Epen
von "Let Go", die sich unaufdringlich unter die catchy
Pop-Songs mischen. Bei "Fruit Fly", einem von ihnen,
holt Caws ein Mädchen auf die Bühne, dass zwischen den
Zeilen die deutsche Übersetzung des von der Band für
äußerst dumm befundenen Texts vorliest. "Im Sorry,
Youve Got Nowhere To Go", klagt Caws über das
Schicksal der Fruchtfliegen und wirbelt danach mit
Bassist Daniel Lorca um das schüchterne Mädchen herum,
das sich in dem Moment wohl wie so eine Fruchtfliege
fühlt.
Schön, dass auch das unterschätzte Album "The
Proximity Effect" mit "80 Windows", "Bacardi" und dem
Hit "Hyperspace" als erste von 7 (!) Zugaben
gewürdigt wird. Es folgen die wunderschöne Ballade
"Your Legs Grow", ein unbekannter Miau-Song, bei dem
die Band einträchtig Katzengejammer anstimmt und der
alte Brecher "Stalemate" vom 1996er Debüt "High Low".
Als sich Nada Surf nach zwei Zugabenblöcken (u.a. mit
der Bob Dylan-Verehrung "Blonde On Blonde") ein
weiteres mal auf die Bühne schleichen, ist es wohl
jedem im Publikum klar: Sie spielen es, das
Lieblingslied einer Generation Heranwachsender. Das
Lied, durch das wohl fast jeder Anwesende im
Batschkapp im alten Jahrtausend auf das Trio
aufmerksam wurde und das schon Gefahr lief, einen
ähnlichen Status wie Radioheads "Creep" zu bekommen.
Doch heute spielen Nada Surf ihre Hassliebe "Popular",
vielmehr bolzen sie den Song viel zu schnell durch die
Boxen. Dabei hätten sie das gar nicht nötig. Aber bei
all den Lieblingsliedern sticht ein bewusst gesetzter
Schönheitsfehler umso mehr heraus. Nada Surf erfinden
2005 das Rad der Popmusik neu: Rund und doch mit
Kanten.
Christoph Dorner