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Populario Festival 2006

+ der Nachbericht +++ der Nachbericht +++ der Nachbericht +++ der

 

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Ansteigende Temperaturkurve

In Nürnberg ins Auto eingestiegen und schon bald auf der Autobahn in Richtung Osten. Das Populario ruft - und zwar bereits zum dritten Mal in Folge für mich.

Das betätigen der Scheibenwischer ist leider zu diesem Zeitpunkt noch unabdingbar, und so ist der Festivalerprobte froh, dass er doch noch kurz vor der Abfahrt seinen dicken Pullover und die Regenjacke eingepackt hat. Das Wetter ist Mitte August noch ein reines Lotto-Spiel. Doch umso weiter sich das Ziel nähert, schiebt die Vorfreude und gute Laune die bösen Regenwolken weg. Die Sonne kommt und mit ihr der Ortseingang von Hoyerswerda mit seinem kleinen Flugplatz namens Naardt, auf dem das diesjährige Festival-Happening statt findet. Dies ist bereits der dritte Standortwechsel der vom Populario e.V. vorgenommen werden musste. Die letzten zwei Ausgaben wurden noch auf dem Flugplatz in der Nähe der brandenburgischen Stadt Senftenberg ausgetragen. Allerdings stellten sich Stadträte und Kulturausschüsse zwecks Kürzungen im Bereich Kultur quer. Diese Tatsache sollte der guten Stimmung der engagierten HelferInnen keinen Abbruch tun. Und so folgten prompt die Genehmigungen und der Umzug ins sächsische Hoyerswerda.

Der Zeltaufbau geht währenddessen weiter, bei unglaublichen 27 Grad geht es leicht von der Hand und auch die ersten Gerstensäfte finden schon ihren Weg in die trocknen Kehlen. Dazu trägt ein kleines Lüftchen den Sound der Opener-Band Earthbend vom Festivalgelände rüber auf den Zeltplatz.

Doch für mich beginnt das Populario erst mit Hund am Strand, die einen schwungvollen Auftritt hinlegen und als erste Band, das noch müde dreinschauende Publikum, in Bewegung bringen. Das Trio spielt alle ihre Hits vom Erstling „Adieu Sweet Bahnhof“ und beschwingen mit ein paar neuen Stücken, die man auf ihrer Neuen EP „Werkstatt Live“ finden kann (mehr Infos dazu bald im sellfish-Interview).

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Wenig später schallte Winson mit einem „Jungen, Mädchen“-Cover in den Backstage-Bereich, welches dem Hund am Strand Schlagzeuger Marv ein müdes Lächeln bescherte.

Später folgten Virginia Jetzt!, die an diesem Tag in großem Stil ihren CD-Release begingen. Der eher mäßige Auftritt wurde trotz allem, vor allem von ihren lokalen Fans abgefeiert. Beim Schlusspunkt des Abends setzten die Erfurter Neo-Funk-Popper von Northern Lite mit viel Soundwirrwarr und einer Menge Scheinwerferlicht Akzente.

Die anschließende Aftershowparty, mit zwei DJ-Teams, lud dann zum Tanzen und Trinken ein. Von der Hauptbühne bekam man die Indie-Hits serviert, während im „Substage-Zelt“ Lexy & K-Paul dem tanzwütigem Publikum die Beats um die Ohren pfefferten. Für Abwechslung war auf jeden Fall gesorgt. Und so feierten noch mehrere hundert Leutchen bis früh in die Morgenstunden. Einige Freunde sogar noch länger, denn schließlich sind die Nächte auf dem Populario besonders lang.

Bei sommerlichen Temperaturen genoss man am Samstag Nachmittag das herrliche Wetter im angenehmen Nass der Lausitzer Seenlandschaft, bevor die erste Überraschung des Tages folgte. Die wunderbaren Rhesus, die mit ihrer leichten Pop-Platte „Sad Disco“ den Festivalbesuchern sommerliche Songs einhauchen wollten, präsentierten diese entgegen allen Erwartungen ziemlich rockig. Damit zeigten die drei Franzosen was noch alles in ihnen steckt und dass es sich auszahlt einen Festivalauftritt in eine Tour zu integrieren, denn die klug durchdachte und eingespielte Setlist überzeugte von hinten bis vorn.

Direkt im Anschluss zeigten die Indie-Rocker von Kate Mosh wo die guten Gitarren-Riffs hängen. Gleich zu Beginn stapelten sie mit ihren Hits ein Gitarrenbrett auf das andere und ließen die Temperaturkurve ordentlich ansteigen. Mit rotziger Stimme, harten Basslinien und Keyboardeffekten bestehen die vier Berliner auch mit ihrem zweiten Album „Breakfast Epiphanies“ den Live-Test mit Bravour. Und weil auf einem guten Indie-Festival auch die elektronischen Klänge nicht fehlen dürfen, erlaubte man den zappeligen Engländern von Chikinki ihren New Wave Disco Punk in praller Sonne zu feiern. Was zunächst noch skeptisch beäugt wurde, funktionierte tatsächlich hervorragend. Bei Tageslicht legten sie eine so kraftvolle Show hin, dass sie nach ihrer großen Nummer „Like It or Leave It“ zum Schluss völlig erschöpft von der Bühne schlichen. Skepsis verfolgen.

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Als dann die Nürnberger Helden von The Robocop Kraus die Bühne enterten stieg schon nach wenigen Songs die Gradzahl auf gefühlte vierzig an. Weil es ihnen wahrscheinlich selbst auf der Stage zu heiß wurde, sprangen Sänger Thomas Lang und Schlagzeuger Hans- Christian Fuss spontan in die Menschenmenge, um in mitten des tanzenden Zuschauerpulks ein fantastisches Schlagzeugsolo abzuliefern. Mit einer gesunden Mischung aus neuen und alten Songs setzten die fünf „Robos“ dann weiter unglaublich viel Energie frei und ließen zum Schluss das Fieberthermometer fast platzen. Dennoch blieb keine Zeit zum Ausruhen, denn im Gegensatz zum Freitag lies das line-up am Samstag keine Verschnaufpause zu standen doch bereits die Shout out Louds in den Startlöchern. Für die Schweden ging mit ihrem Auftritt eine lange Tour zu Ende und so spielten sie noch ein letztes Mal dieses Jahr in Deutschland ein beherztes Programm runter. „Please, please, please come back to me“. Sie werden hoffentlich bald wiederkommen und dann bestimmt auch wieder mit dem bereits jetzt lang ersehnten Nachfolger von „Howl Howl Gaff Gaff“. Konnten die Shout out Louds vor allem das jüngere Publikum begeistern, gelang dies dem Altmeister Phillip Boa anhand eines Best-of Programms bei seinen zahlreichen Fans über dreißig.

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Der absolute Höhepunkt sollte allerdings erst noch kommen. Eine längere Umbaupause machte ungeduldig, zumal alle Kräfte zum Schluss des Festivals noch mal gesammelt werden mussten. Aufgrund der Müdigkeit und dem teuflischen Festivalcocktail, aus Erschöpfung und Alkohol, der zwei Tage das Populario dominierte, ging es nun ziemlich an die Kondition. Aber…. es folgte das Grand Final: Tocotronic betraten kurz nach 1 Uhr die Bühne und begannen ein herausragendes Set mit „Wir kommen um uns zu beschweren“. „Aber hier leben, nein danke“ wurde vom Festival-Volk aus vollen Kehlen mitgesungen. Dirk, Arne, Rick und Jan ließen sich es nicht nehmen ihre großen Songs aus längst vergangenen Tagen zu zelebrieren. „Drüben auf dem Hügel“ wurde dicht gefolgt von „Drei Schritte vom Abgrund entfernt“. Als hätte es noch einen Beweis gebraucht, dass diese großartige Band über all die Jahre immer wieder mit tollen Alben bestochen hat, gab es unter anderem „Hi Freaks“, „Jackpot“ oder auch „Mein Prinz“ zu hören. Der beeindruckende Rahmen wurde am Schluss mit einem Gitarrenfeuerwerk zu „So jung kommen wir nicht mehr zusammen“ gesprengt. Tocotronic waren groß - Tocotronic sind groß - und bleiben es bestimmt noch ganz lange.

Am Ende bleiben viele schöne Erinnerungen und der Wunsch, alles noch mal zu erleben.

Das Populario schafft es jedenfalls Jahr für Jahr, ein professionelles Konzept im Mix aus familiärer Stimmung, jüngeren sowie auch älteren und internationalen Bands auf die Beine zustellen. Es mausert sich somit zu einem der zuverlässigsten Zwergen unter den guten Indie-Festivals in Deutschland. Und nicht umsonst vermeldeten die Veranstalter 2006: Zuschauer-Rekord!

Autor:
Robert Krupar
Fotos: Robert Krupar, Julia Opitz, Dominik Waßerloos


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