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Elvis Perkins Interview

Eigene Realität

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Als Sohn eines berühmten Vaters hat man meistens schwer zu kauen: an Selbstzweifeln, an Minderwertigkeitskomplexen, an Erfolgssucht und Erfolglosigkeit. Bei Elvis Perkins liegt der Fall etwas anders. Der hat vor allem an einer fast schon obszön-tragischen Familiengeschichte zu leiden. Vater Anthony Perkins war zeitlebens bisexueller Leinwandpsychopath, der nach jahrelangem (sogar vor seinen eigenen Kindern) verheimlichten AIDS-Leiden 1990 verstarb. Elvis Perkins Mutter verstarb nun ausgerechnet am 11. September 2001 - sie saß in Flug 11, der ins World Trade Center raste. Es lässt sich also fast erahnen, dass Perkins Debütalbum nicht gerade ein Funpunk-Feuerwerk sein würde. Tatsächlich ist es aber ein Folkalbum geworden, dass sich nicht ausschließlich an die eigene Tragik hängt, sondern durchaus eigene Höhenflüge verzeichnen kann. Bloß: Wie macht man das, ein Album aufnehmen? Bei einer solchen Tragik auf dem Kerbholz? Perkins berichtet mit ruhiger, etwas zittriger, schwacher Stimme. Durch den Hörer quillt viel Stille.

"Ash Wedsnesday" ist ein Nacht-Album, für einsame Menschen. Würdest du mir da zustimmen?
Elvis Perkins: Wenn du das sagst, wird es wohl stimmen (lacht verhalten). Ich bin durch mit dem Album, es ist jetzt deins. Du kannst damit machen was du willst. Wenn du es für ein Nacht-Album hälst, werde ich nicht dagegen angehen.

Du hast eine bewegte Vergangenheit. Wieviel darf ich fragen? Wie weit darf ich gehen? Schließlich ist die Geschichte um "Ash Wednesday" eine sehr persönliche.
Du kannst alles fragen. Zu einigen Dingen werde ich mich aber nicht großartig äußern. Nicht, weil ich es nicht möchte, sondern weil ich es nicht kann. Viele Sachen verstehe ich selbst nicht, wie sollte ich sie dir dann erklären können!? Vor allem was den 11. September angeht habe ich einfach kein Vokabular, um mich verständlich zu machen. Das geht ja vielen Menschen auf der Welt so. Es war für mich das einschneidenste Erlebnis meines Lebens, das ich bis heute nicht verstehe.

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Hast du über dieses Erlebnis schon mit vielen Journalisten geredet?
Ja, allerdings. Gerade eben hatte ich einen am Telefon, dessen Englisch grottenschlecht war und es war unheimlich frustrierend, so über dieses Thema zu reden. Irgendwann meinte er: "So, genug zu diesem traurigen Thema!" und stellte sofort wieder die gleichen Fragen. Keine Ahnung welchen Sinn er sich da erschließen wollte. Erfolg hat er damit jedenfalls nicht gehabt. Peinlich und plump.

War dir klar, dass du bei der Veröffentlichung eines so intimen Albums auch über solche unangenehmen Dinge würdest sprechen müssen?
Klar. Das gehört nunmal zu Gesamtbild. Es ist da. Und es ist für einen Journalisten ja auch eine reizvolle Angelegenheit, darüber zu schreiben und Fragen dazu zu stellen. Ich akzeptiere das. Aber es gibt auch natürliche Grenzen, ich werde nicht über alles reden. Außerdem erzähle ich viel besser und viel mehr in meinen Songs.

Eines würde ich doch gerne von dir wissen, ich hoffe du kannst mir diese Frage beantworten: War der Prozeß des Songwritings ein Heilungsprozeß?

Nett formulierte Frage! (lacht) Die kann ich auch beantworten. Ich glaube nicht, dass man die Sache so vereinfachen kann. Schließlich handelt es sich nicht um eine Krankheit unter der ich gelitten habe. Und ein Album kann nicht einfach den Schmerz wegwischen. Wie du sicherlich weißt wurden die Hälfte der Songs vor dem 11. September geschrieben, also vor der eigentlichen "Krankheit", wenn wir mal bei diesem Topos bleiben wollen. Diese Songs habe ich nicht in dem Bewußtsein geschrieben, Teil eines Albums zu sein, das einen Schmerz verarbeiten soll. Songs zu schreiben ist Teil meines Lebens. Ich kann mir keine Welt vorstellen, in der ich keine Songs schreibe.

Wie fühlt es sich, diese Songs vor diesem Hintergrund live zu spielen?

Toll fühlt sich das an!

Hast du schon genug Distanz dazu?

Ja, sicher. Die Songs schaffen sich im Laufe der Zeit ihre eigene Realität, ein eigenes Umfeld. Ich sehe die Songs jedesmal ein klein wenig anders.

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Du wirst auch gern nach deinem Vater gefragt. Hat es lange gedauert, sich von der öffentlichen Aufmerksamkeit um ihn und seinen Namen nicht mehr irritieren zu lassen?
Nun, das ist ja ein Prozeß, der mit dem Älterwerden einher geht. Irgendwann wurde ich erwachsen, dann konnte ich mit dem Namen Perkins auch ordentlich umgehen. Klar werde ich immer wieder auf meinen Vater angesprochen, aber heute macht mir das nichts mehr aus. Zeit seines Lebens war mein Vater von einem Interesse der Öffentlichkeit umgeben, die einem Karneval gleich kam. Es wurde so viel berichtet, was gar nichts mit seiner Person zu tun hatte. Das hat ihn irgendwann einfach nicht mehr interessiert. Und diese Gleichgültigkeit habe ich mit von ihm abgeschaut.

Dein Vater war Schauspieler, dein Bruder ist ebenfalls als Schauspieler und Drehbuchautor tätig. Dich interessiert das Filmbusiness nicht? Keine Lust, seinen Fußstapfen zu folgen?
Man darf nicht vergessen, dass mein Vater mit gleichem Elan und großer Begeisterung ebenso Filme wie Musik gemacht hat. Ich bin also durchaus in seine Fußstapfen getreten. Gut, ich werde nie in einem Gus van Sant Film mitspielen, was etwas schade ist (lacht). Ich glaube was meinen Bruder und mich verbindet ist die Tatsache, dass wir immer von kreativen Menschen umgeben waren und folglich irgendwann selbst kreativ tätig sein wollten.

Die meisten Songs wurden für das Album live eingespielt. Ist das ein Grund dafür, dass es so nahbar klingt?
Wahrscheinlich. Ich bemühe mich sehr darum, es so ursprünglich wie möglich klingen zu lassen. Ich mag es nicht, wenn Songs für Alben entfremdet werden, wenn sie am Computer zerstückelt und verdreht werden.

"While You Were sleeping" ist ein fast schon traditioneller Folksong und ein großartiger Opener. Bist du mit Folkmusik aufgewachsen?
Eigentlich gar nicht so sehr. Ich bin eher damit aufgewachsen, dass mir mein Vater seine Songs vorgespielt hat. Daneben hat er mir viel Musik aus der Tin Pan Alley Ära gezeigt, die mich sehr berührt und beeindruckt hat.

Hat dein Vater dir viele Tipps gegeben?
Ich habe zumindest wenige beachtet, sonst wäre ich heute eher eine Art Rufus Wainwright. Wir haben ab und zu zusammen Musik gemacht, aber wohl zu wenig, als dass er mich grundlegend beeinflusst hätte.

Es liegt viel Trost in deiner Musik, speziell in deinen Texten. Ist dir das bewusst?
Nur insofern, als dass mich meine Musik selbst tröstet. "Good Friday" ist ein gutes Beispiel. Ich glaube viele Zuhörer können sich darin geborgen fühlen.

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


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