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Herrenmagazin Interview

Tafelspitz mit Alfred Biolek

 

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"Alles, was mit 'Herren' anfängt, ist nicht unbedingt positiv besetzt"

Der Name ist in diesem Fall nicht Programm. Herrenmagazin sind keine feinen Herren, und ihre Musik passt so wenig in ein Hochglanzmagazin wie gute Laune zu einem grauen Tag in Hamburg. Zum Glück. Deniz Jaspersen (Gesang / Gitarre), Rasmus Engler (Schlagzeug), Philip Wildfang (Gitarre) und Paul (Faul) Konopacka (Bass) wollen das ja auch gar nicht. Statt dessen fotografieren sie an Straßenlaternen angebundene Hunde, kochen Gerichte wie „Cock im Wein“ oder „Hackpizza“ und trinken manchmal ein Bier. Was dabei herauskommt, ist auf dem Debütalbum „Atzelgift“ zu hören, das am 6. Juni erscheint. Und plötzlich machen Textzeilen wie „wie „Stumpfsinn ist Stärke“ oder „Reiß die Heizung aus der Wand“ komplett Sinn.

Um ihre Miete zu bezahlen, verpacken die Hamburger Bücher und Werbeartikel oder entwickeln Software – so lange dabei ihre Musik nicht zu kurz kommt. Der Titel des von Rasmus Engler mit herausgegebenen Buches „Wovon lebst du eigentlich?“ kann also im Hinblick auf Herrenmagazin wie folgt beantwortet werden: von Melancholie, dem Gegenteil von Hochglanz, intelligenten Texten und Spaß. Vielleicht am Ruin, vielleicht aber auch daran, diesem immer wieder im letzten Moment zu entkommen. Vorerst haben sie Hamburg den Rücken gekehrt, um mit Kettcar auf Tour zu gehen. Das Interview findet in einem viel zu heißen Kellerraum auf einer rustikalen Eckbank statt – die perfekte Ausgangssituation für einen kleinen Diskurs über Obst, Alfred Biolek und „Skandal im Sperrbezirk“.

Erklärt doch mal euren Bandnamen!
Deniz:
Den hat Rasmus erfunden.
Rasmus (setzt für die Erklärung seinen Bayernhut auf): Ich wollte mit 15 oder 16 mal eine Bar-Jazz-Band gründen. Die sollte den Namen Herrenmagazin tragen, um die ganze Schmierigkeit dieses Musikstils zu illustrieren. Alles, was mit „Herren“ anfängt, ist nicht unbedingt positiv besetzt. Herrenwitz ist ein Euphemismus für einen schlüpfrigen Witz, Herrenmagazin ist meistens ein saublödes Heft für Testosteron-Junkies, die daraus ihre Fitness-Tipps holen und trotzdem glauben, sich bilden zu können. Die Band Herrenmagazin gab es allerdings erst Jahre später.

Wer schreibt bei euch die Texte?
Deniz:
Rasmus und gelegentlich Philip.

Und wie kommen die zustande?
Rasmus:
Das muss ratzfatz gehen, am besten sind die Texte, die ich sofort runterschreibe. Andernfalls klappt es meistens nicht, sie vernünftig zu Ende zu kriegen.
Philip: Ich habe ein Lied geschrieben: „Früher war ich meistens traurig“. Daran saß ich richtig lange.

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"Textlich ist Markus Wiebusch ein großes Vorbild."

Habt ihr bestimmte Vorbilder?
Rasmus:
Ich würde sagen: Es wird unbewusst geklaut.
Deniz: Textlich ist Markus Wiebusch ein großes Vorbild für mich. Und immer wieder die Weakerthans. Rasmus hört viel Guided By Voices. Ansonsten vielleicht noch Turbostaat. Ich erklärte hiermit Philip offiziell zum Turbostaat-Fan.
Philip: Bin ich ja auch.

Habt ihr Angst davor, dass eure Musik schlechter wird, wenn es euch besser geht?
Deniz:
Ja. Aber uns geht’s noch lange nicht gut. Von der Fertigstellung von „Atzelgift“ bis zur Veröffentlichung ist ein ganzes Jahr vergangen. In der Zeit haben wir weitere Lieder geschrieben. Die nächste Platte wird definitiv auch sehr traurig. Ich finde Songs am besten, die eine hoffnungsvolle Traurigkeit transportieren.

Was war vor Herrenmagazin?
Philip:
Deniz und ich hatten eine Band zusammen. Dann habe ich Rasmus kennen gelernt, mit dem ich auch Musik gemacht habe. Also dachte ich mir, ich bringe die beiden einfach mal zusammen. Und das hat ganz gut geklappt.
Deniz: Faul kenne ich schon seit der Schule. Wir wollten ihn aber nicht, weil er nicht in Hamburg gewohnt hat. Als er nach Hamburg zog, wollten wir ihn immer noch nicht. Und dann wollten wir ihn.
Faul: Ich hab früher in einer Schul-Band gespielt, die zu 80 Prozent Cover gemacht hat. Das war großartig. Wir haben „Mrs. Robinson“ und „Major Tom“ gespielt.
Rasmus: Und es gibt eine Videoaufnahme von „Skandal im Sperrbezirk“.

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"Helmut Kohl" - "Roman Herzog sollte das Album auch hören. Und Alfred Biolek" - "Nein, nicht Alfred Biolek. Marcel Reich-Ranicki"

Wenn ihr es euch aussuchen dürftet: Wer müsste eure Platte unbedingt hören?
Alle:
Helmut Kohl!
Philip: Roman Herzog sollte es auch hören. Und Alfred Biolek.
Deniz: Nein, nicht Alfred Biolek. Marcel Reich-Ranicki. (Sagt in Reich-Ranicki-Stimme: „Diese Herrenmagazin! Skandalös!“)
Rasmus: Hoffentlich keine Onkelz-Fans.
Deniz: Alle außer Alfred Biolek.
Philip: Aber kochen würde ich schon gerne mal mit ihm.

Welches Gericht?
Philip:
Tafelspitz.

Was war eure peinlichste Bühnensituation?
Deniz:
Ich habe einmal den Fehler gemacht, den anderen die Organisation zu überlassen. Wir hatten einen Gitarrenverstärker zu Hause vergessen. Also sind Faul und ich noch mal losgefahren. Als wir zurückkamen, war ein ganzer Kasten Bier weg. Die anderen beiden haben ihn in vier Stunden ausgetrunken. Sie waren unglaublich betrunken – zum Glück gibt es davon auch ein Video.
Philip: Man sieht darauf, wie ich hundserbärmlich versuche, meine Gitarre zu stimmen. Es geht einfach nicht. Und dann habe ich auch noch versucht, zu singen. Gut, dass das Video zufällig abhanden gekommen ist. Seitdem üben wir uns in Zurückhaltung.

Wenn ihr in Kostümen auftreten würdet, was hättet ihr an?
Deniz:
Ich glaube, ich würde als Birne gehen.
Philip: Da müsstest du dir nur einen Stiehl an den Kopf montieren.
Faul: Wir haben uns schon mal kostümiert. Da haben wir uns alle so schlimm wie möglich angezogen.

Und wie genau?
Deniz:
Es waren vertreten: Ein Feinripp-Unterhemd, ein sehr großes lila Jackett, eine kurze, alte Hose aus Baumwolle und ein hautenges neonrosa Oberteil. Das war das einzige Mal, dass Faul seine Brille aufgelassen hat.

"Atzelgift" erscheint am 6. Juni via Motor Music - Review folgt

Interview und Text: Silvia Weber
Fotos: Pressefreigaben / Felix Gebhard


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