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Der Exzess

 

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Selten ist sich die Musikfachpresse in der Beurteilung von Bands so einig wie bei Jungspunden. Ob das die Arctic Monkeys sind oder wie in diesem Falle "be your own PET", immer schwingt eine seltsame Sehnsucht nach der unverfälschten, beseelten - weil nahezu unbekümmerten - lauten Rockmusik mit. Die meisten Autoren, die an den Hebeln der Hypemaschinerie sitzen, wünschen sich selbst zurück in eine Zeit, in der die meistens gar nicht den Mumm hatten, mit so unbedarfter Rockmusik durch die Weltgeschichte zu reisen. Und deshalb zieht sich auch schnell soetwas wie geifernde Begeisterung über soetwas "junges" durch die Gazetten, die etwas anzügliches an sich hat.


Und doch: wer die jungen Musiker da vor sich auf der Bühne stehen sieht, so wie am 12.04.2006 im Hamburger Molotow, der weiß auch, dass sich BYOP nichts aus dieser Geilheit machen. Sie gehen buchstäblich völlig unbedarft an ihre eigene Musik heran. Bevor es losgeht, werden Dehnübungen gemacht. Man tritt sich gegenseitig in den Hintern und es sieht ganz so aus, als würde sich hier eine 10. Klasse auf den Turnunterricht vorbereiten. Was dann folgt, ist ein musikalischer Flohzirkus: Jemina Pearl Abegg, die Blaupause einer minderjährigen Karen O. in Blond, fegt wie ein Derwisch über die Bühne und hat keine Hemmungen (weil offensichtlich betrunken), dem Publikum literweise Wasser ins Gesicht zu spuken. Jamin Orrall, der Drummer und zumindest anfänglich einer der Vernünftigesten der Band, ist geradezu empört, dass das deutsche Publikum so ruhig und regungslos vor der Bühne steht.Immer wieder macht er kreisende Bewegungen mit dem Finger; die Stirn in Falten gelegt. Die kurze Zeit, die BYOP auf der Bühne stehen, wird mit ihren rauhen, räudigen Punkstücken beiseite gefegt. Und dann der Exzess: die Bühne ist ein verlassener Ort, die gesammte Band übernimmt das Pogen in der Menge, Basshälse und Drumsticks wirbeln durch die Luft. Als das ohnehin schon sparsame Bühnenset zerstört ist und Drummer Jamin Orrall mit heruntergelassener Hose neben seinem Schlagzeug liegt, wird klar, dass das hier nur dann lächerlich gewirkt hätte, wenn die Band zusammengenommen älter als John Peel gewesen wäre. Aber das, was das Molotow wieder einmal erhellte, war Energie und Spaß. Nicht mehr - aber auch definitiv nicht weniger. Die Essenz von Rockmusik: der Exzess.

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Der frühe Abend kündigt dieses Konzert noch nicht so recht an. Die Reeperbahn quillt über vor St. Pauli Fans, die dem nahenden Pokalspiel gegen Bayern München eher entgegentrotten als entgegeneilen. Sie quillt auch über vor Polizisten. Vor Bettlern. Und vor Nutten, die jedem Mann unter 30 ein "Hey Kleiner, komm mal her, bleib mal kurz stehen!" hinterherschleudern. Und mittendrinn eben BYOP. Wenn das die Eltern wüssten? Selbst wenn - es hätte sie nicht mehr als ein Achselzucken gekümmert. "Sie vertrauen uns und glauben, dass wir das Richtige machen werden. Und wenn ich Hilfe brauche, dann weiß ich, dass ich sie jederzeit anrufen kann." Jemina wirkt ohnehin nicht eingeschüchtert. Der Spaß, den sie auf Tour hat, steht ihr ins Gesicht geschrieben. Kein Wort von Anstrengung, kein Wort davon, dass der Rock'n'Roll Zirkus ermüdend ist. "Ich glaube schon, dass es im Moment alles etwas zu schnell geht. Aber das ist ohnehin nichts, was wir beeinflussen könnten."

Gegründet hat sich die Band 2003 in Nashville. Die Musikszene ist nicht gerade erfrischend kreativ. Zu dieser Zeit nicht, und in der Gegenwart mit Sicherheit auch noch nicht. "Es ist bei uns in Nashville unglaublich schwierig gewesen Leute zu finden, die den gleichen Musikgeschmack haben wie wir und auch noch in einer Band spielen wollten. Die meisten sitzen zuhause und hören die ganze Zeit nichts anderes als Led Zeppelin oder irgendwelchen langweiligen Screamo-Kram." sagt Jemina und Nathan Vasquez, Bassist der Band mit Mars Volta Gedächtnisfrisur, fügt unverblümt an: "Die ganze Scheiße halt..." Diplomatie kann man vergessen. Aber man ist auch nicht besonders nachtragend. "Außer ein paar Leuten aus grauenhaften Emo-Bands in Nashville gibt es eigentlich niemanden, der eifersüchtig wäre." spricht Nathan und glotzt neben seine Schuhe auf den Boden. Jemina nickt.

Dreh- und Angelpunkt der Anfangstage ist eine Bar namens "Bongo Java". Dort trifft man sich zu ersten Gigs. "Da war jede Woche abwechselnd Rock, Jazz, HipHop, Pop oder Punk-Abend. Jeder konnte kommen und seine Musik spielen. Es war völlig egal woher du kamst oder sogar wie alt du bist. Da standen bei Punkkonzerten teilweise siebenjährige herum. Aber dann wurde der Laden geschlossen und ab da wurde es etwas schwieriger, ordentliche Gigs zu organisieren." Dass man dabei auf Tipps der musikerfahrenen Eltern pfiff, ist im BYOP-Kosmos eigentlich folgerichtig. "Sie haben uns keine Tipps gegeben. Außer vielleicht den, dass wir keine Drogen nehmen sollen." Nun, ob das mit den Drogen klappt oder nicht, ließ sich an dieser Stelle nicht herausfinden. Lediglich ein eher exzessiverer Bierkonsum ließ sich vor allem vor der Show beobachten. Fürsorglich brachte Jamin seiner Sängerin ein Bier nach dem anderen, während sie in der ersten Reihe dem Support Randy's Ripchord Beifall zollte.

Eine Grundsatzdiskussion muss zum Ende des Gesprächs dennoch vom Zaun gebrochen werden. Die Frage, ob Be Your Own PET denn nun Punkrock sind oder eben nicht.

Ihr weigert euch standhaft als Punkrocker bezeichnet zu werden - ganz abgesehen von der Tatsache, die neuen Retter des Punks zu sein. Wovor habt ihr eigentlich Angst...?

Nathan: "Wir sind von Punk-Musik beeinflusst worden. Aber deswegen sind wir ja noch lange keine Punks! Das Absurde ist doch, dass alles, was heutzutage als Punk bezeichnet wird, weit davon entfernt ist, Punk zu sein. Solange Blink 182 als Punkrocker bezeichnet werden, solange möchten wir nicht in der selben Sparte auftauchen. Wir machen einfach Musik und versuchen, nicht allzu viel darüber nachzudenken!"

Ihr macht also keinen Punkrock ...

Jemina: "Wenn man Punk-Musik als Idealismus ansieht, sind wir definitiv keine Punk-Rocker. Weil wir bereits jetzt viele Mechanismen benutzen, die eigentlich verhasst sein sollten. Allein Promotion zu machen passt ja nicht ins Bild eines Punkrockers. Wir sind quasi schon längst im Mainstream angekommen. Aber uns kümmert das alles nicht, darüber können sich andere den Kopf zerbrechen. Wir machen, wozu wir Lust haben. Vielleicht ist ja das eine gültige Definition von Punkrock. Wenn ja, dann machen wir Punkrock!"

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefotos XL-Recordings


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