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Envelopes Interview

Briefmarken und dumme Witze

 

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Envelopes aus Schweden...

Henrik Orrling, Kopf der Envelopes, sitzt am Fenster seiner Berliner Wohnung und man kann das Geschrei der Nachbarskinder im Hof hören. Spielen Fußball, wahrscheinlich. Oder rauchen - in Neukölln ist ja alles möglich. "Vor allem aber sind die Mieten hier spottbillig", sagt Henrik und erläutert zufrieden, dass es in Berlin auch nicht viel anders sei als im schwedischen Malmö, seiner Heimat. "Berlin hat einen ähnlichen Vibe, obwohl es natürlich viel größer ist." Irgendwie wohnen ja scheinbar alle Musiker inzwischen in Berlin. Selbst einige Bloc Party Mitglieder sollen sich hier ja niedergelassen haben. Davon weiß Henrik nichts. "Bisher bin ich hier sehr isoliert und eigentlich fast die ganze Zeit zuhause." Klingt merkwürdig, wo doch die Envelopes so herrlichen, ausgeflippten Indie-Pop spielen. Auf "Demon", ihrem Homerecording-Debüt, klang das noch viel zu schroff. Aber das neue Album, "Here Comes The Wind", das hat es in sich. Als würden die Los Campesinos!, die ja auch gerade ihr Debüt veröffentlichen, ein Wettrennen gegen Architecture in Helsinki verlieren. Herrlich naive, unbekümmerte Popmusik also. Wer aber etwas über die Band erfahren möchte, muss sich auf die Suche machen. Einfach ist das nicht.

Es war gar nicht so leicht, Informationen über euch herauszufinden. Alles ist irgendwie chaotisch. Was ist denn die Essenz eurer Biographie?
Henrik: Ich würde sagen, dass gerade dieses Chaos die Essenz unserer Biographie ist. Wir sind wie diese von der Menschheit vergessenen Tiere in den entlegenen Winkeln der Erde, die von der Evolution verschont wurden und eigentlich schon längst hätten ausgerottet sein müssen. Die Envelopes sind auch so eine Spezies. Wir wären schon längst getrennte Wege gegangen, würden wir unsere Musik nicht so sehr lieben. Wir sind das absolute Chaos: alle wohnen woanders, wir können nie proben, alles kostet eine Menge Geld. Manchmal denke ich, dass es den ganzen Stress nicht wert ist. Aber wenn man dann tatsächlich ein Album veröffentlichen kann und live spielt, ist das alles vergessen.

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...und die Kulisse passt zur Musik.

Ich habe in einem Interview gelesen, dass die Band eigentlich nur als Ferien-Projekt gedacht war. Das klingt, als seien die Envelopes ganz zufällig zu dem geworden, was sie heute sind...
Das ist auch so. Damals wohnte ich zusammen mit Audrey in Paris. Ich benutzte ihren Computer, um ein paar Gitarren-Demos aufzunehmen. Als ich nach einem Monat aus Schweden zurück kam, hatte sie heimlich Soli und Gesang über die Spuren gelegt. Kurze Zeit später haben wir zwei zusammen mit meinem Kumpel Frederik im Ferienhaus meiner Mutter erste Demos aufgenommen. Irgendwann wurde uns das zu langweilig, also haben wir einen Bassisten und einen Drummer mit in die Band genommen. Plötzlich waren wir eine Band.

Die Geschichte hinter eurem neuen Album "Here Comes The Wind" ist ja mehr als chaotisch. Wo würdest du anfangen, diese Geschichte zu erzählen?
Ich würde bei unserem Umzug nach England anfangen. Ein Freund von uns arbeitete bei XL Recordings, einem großen englischen Label, und er wollte uns da unbedingt unterbringen. Dummerweise hatte er zur gleichen Zeit Streitigkeiten mit seinem Boss und beschloss, von XL wegzugehen. Damit waren unsere Label-Träume auch zerstört. Aber er machte weiter, gründete Brille Records und nahm uns als erste Band unter Vertrag. Zu der Zeit war ich sehr zuversichtlich, weil unser erstes Lo-Fi-Album "Demon" so gelungen war. Ich wusste ja, dass wir nicht viele Platten verkaufen würden, dafür war es einfach zu sehr Lo-Fi und experimentell. Aber ich wusste: wenn wir nach England gehen, wenn wir uns dieses kleine Farmhaus mieten, ein Studio einrichten und uns auf die Musik konzentrieren, dann würde das nächste Album grandios werden. Wurde es aber nicht, wir sind grandios gescheitert. Über neun Monate hatten wir in diesem Haus verbracht, am Ende ist nur Müll dabei herausgekommen. Ein einschneidendes und traumatisches Erlebnis für mich.

Was waren denn die Gründe für das Scheitern?
Ich wollte, dass unser zweites Album die Lo-Fi-Ästhetik behält, aber im gleichen Umfang Hi-Fi aufgenommen wird. Ich wollte die Collagehaftigkeit behalten, das ganze aber gern professionell veredeln. Am Ende klang das ganze wie die miesesten Homerecordings, die du jemals gehört hast. Zum Glück war unser Label verständnisvoll und hat uns das ganze Album in Schweden nochmal aufnehmen lassen. In Schweden haben wir uns dann von Per Sunding produzieren lassen, was eine hervorragende Wahl war. Seine eigene Band Eggstone klingt ja schon super. Im April 2006 war das. Als wir England verließen, hasste sich jeder in der Band und es ist ein Wunder, was Per Sunding noch aus uns herausgeholt hat. Heute langweilt mich das Album fast, weil die Aufnahmen jetzt schon so lang abgeschlossen sind und wir bereits an neuen Songs arbeiten.

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Das neue Album "Here Come The Wind" (oben) und das alte Album "Demon" (unten).

Das interessante an "Here Comes The Wind" ist ja, dass man den ganzen Stress nicht hört. Das Album klingt frisch und locker, als hättet ihr gerademal zwei Wochen dafür gebraucht.
Ich wusste von Anfang an, wie das Album klingen sollte. Nämlich genau so, wie du es beschrieben hast. Und ich wusste all die Monate über, dass wir an diesem Punkt noch nicht waren. Gut aber, dass du das sagst. Dann haben wir am Ende ja doch genau das erreicht, was wir wollten.

Ihr habt euch für "Party" als zweite Single entschieden. Bei der Fülle an Singles auf dem Album: Gibt es da Streit, welchen Song man nun veröffentlichen soll?
Ja. Bei "Party" war aber allen klar, dass er die beiden Envelopes-Seiten deutlich macht. Eingängig und gleichzeitig ein bisschen weird - genauso wollen wir klingen. Viele in der Band und im Label wollten "I'd like 2 C U" veröffentlichen. Aber da war ich dagegen, weil ich den Song zwar mag, mit den Aufnahmen aber überhaupt nicht zufrieden bin. Die Envelopes haben eine lange Geschichte was das Umschreiben und Neuarrangieren von Songs angeht und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir den Song irgendwann nochmal aufnehmen werden. Das ist ohnehin etwas, das mich fasziniert: dass man mit einer Aufnahme nie an Perfektion herankommt, weil es immernoch etwas zu verbessern gibt. Ich könnte den Rest meines Lebens damit verbringen, die gleichen Songs immer und immer wieder aufzunehmen und umzuschreiben (lacht).

Ich liebe den Song "What's The Deal"...
...oh ja, der gefällt mir sehr. Daran zeigt sich auch wieder gut, wie unprofessionell wir als Band arbeiten. Der Gesang sollte ganz zum Schluss aufgenommen werden und Audrey musste mit Entsetzen feststellen, dass sie "What's The Deal" gar nicht singen konnte. Wir verbrachten geschlagene drei Monate damit, das ganze irgendwie zusammenzuführen. Am Ende haben wir den Song sogar beschleunigt, damit Audrey richtig singen konnte. Wenn wir nur ein einziges mal den Song live gespielt hätten, wäre uns aufgefallen, dass da etwas nicht stimmen kann. Am Ende ist der Song aber sehr gut geworden und den ganzen Stress wert, den er hervorgerufen hat.

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..."Party"!

Eure Songs nehmen immer wieder Wendungen und sind nie einfach gestrickt. Was ist so falsch daran, einen geradlinigen Popsong zu schreiben?
(lacht) Gar nichts. Aber es macht einfach mehr Spaß, einen perfekten Song zu zerstören und den Zuhörer zu verwirren. Außerdem haben wir in der Band für jeden Song so viele Ideen, dass wir sie möglichst alle unterbringen wollen. Außerdem glaube ich - und da bin ich wahrscheinlich zu sehr Idealist - dass sich Veränderungen in einem Song immer gut machen, solang sie interessant klingen. Außerdem sind wir ja keine perfekten Songwriter. Vielleicht ist am Ende ein geradliniger Popsong sogar besser - aber dafür braucht man eine Menge Erfahrung, die wir einfach noch nicht haben. Im Grunde sind wir noch viel zu verspielt.

Wenn die Envelopes ein Computer-Spiel wären...
...dann wären wir ein Konsolen-Spiel, ganz klar. Ich möchte gar nicht wissen, wieviel Lebenszeit wir schon an "Super Mario Kart" verschwendet haben.

Letzte Frage: Wieviele dumme Sprüche musstet ihr euch schon wegen des Bandnamens anhören?
Viel zu viele. (lacht) In den Rezensionen muss man immer die flachsten Witze lesen. Briefmarken und so, haha, sehr lustig. Aber das ist nunmal unser Schicksal - dumme Witze. Meistens merke ich das noch nichtmal. Letzte Woche hatte ich ein Interview, in dem ich gefragt wurde, ob ich glaube, dass E-Mails das Ende der Briefe sind. Klar, habe ich gesagt. Bis mir am Ende auffiel, dass wiedermal ein Scherz auf unsere Kosten gemacht wurde.

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


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