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Neva Dinova Interview

Whiskey, Pilze und der Tod


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Selten war amerikanische Folk-Musik so beliebt, gefragt und putzmunter wie im neuen Jahrtausend. Daran haben nicht nur die ganz großen Songwriter wie Conor Oberst Schuld, die den introspektiven Gitarren-Song wieder zurück auf die Musiklandkarte brachten - sondern auch und vor allem die unzähligen "kleinen" und noch relativ unbekannten Künstler. Neva Dinova alias Jake Bellows ist solch ein Fall. "One Jug of Wine, Two Vessels", die Split-EP zusammen mit Bright Eyes aus dem Jahr 2004, war ein Vorbote gewesen. Das erste richtig vertriebene, produzierte Album "You May Already Be Dreaming" ist inzwischen ein Versprechen. Jake Bellows weiß, wie man aus dem Innersten der Seele textet. Und aus dem Innersten der USA. Denn bellows kommt wie die ganze Saddle Creek Label-Clique aus Omaha. Und brauchte fast vierzehn Jahre, um schließlich auf dem Vorzeige-Indielabel zu landen, das sich gerademal ein paar Haustüren weiter zum Knotenpunkt amerikanischer Indie-Folk-Musik entwickelte. Als wir telephonieren, sitzt Bellows gerade mit seinem Hund "Dragon" auf der Veranda seines kleinen winzigen Mietshauses und erholt sich von letzter Nacht, als schon wieder ein paar Freunde auf Durchreise waren und ihn besuchten. "Du solltest auch mal vorbeikommen", sagt Bellows. Dabei kennt er mich gar nicht...

Du hast die Band nach deiner Großmutter benannt. Ist das so eine Art Heimatverbundenheit? Eine Geste?
Jake Bellows: Ja. Als wir mit der Band anfingen, war sie noch am Leben und alle haben sie abgöttisch geliebt. Wir hatten noch einen anderen Bandnamen zur Auswahl, aber als meine Großmutter starb, wollten wir gern ihren Namen verwenden. Sie war ein ganz besonderer Mensch und ich wünsche mir manchmal, ich hätte ein bischen mehr Zeit mit ihr verbracht.

Wie habt ihr eigentlich angefangen? Als typische College-Band?

Wir waren 17 Jahre alt und haben bei diesen komischen "Battle of the Bands" in der High School mitgemacht. Es war ein völliges Chaos, weil wir vorher noch nicht einmal ein Instrument in der Hand hatten. Damals hatten wir eine Gitarre und eine Mandoline, das wars. Danach war ich eine halbes Jahr auf dem College, aber das war einfach nicht meine Welt. Ich dachte mir, einfach nur Musik zu machen und ein paar idiotische Jobs nebenbei - das reicht mir.

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Warst du damals schon ein guter Songwriter?
Keine Ahnung. Ich glaube, Songs stürzen auf dich ein. Und entweder du setzt diese Ideen korrekt um - oder du machst das mit deinen limitierten Fähigkeiten und nur bruchstückhaft. Damals habe ich nur wenig Möglichkeiten gehabt, diese Songideen umzusetzen und auszudrücken. Das war ein langer Lernprozess. Mittlerweile kann ich die Songs, die in meinem Kopf schon komplett geschrieben sind, endlich auch spielen.

Woher kommt diese Faszination für uramerikanische Musik?

Mein Bruder und ich waren früher in einem Kinderchor. Damit sind wir aufgewachsen und ich war nie der Musik-Freak, der ich vielleicht hätte sein sollen. Mich hat die ursprüngliche amerikanische Folk- und Bluesmusik sehr berührt und interessiert. Ich brauchte gar nicht viel andere Musik.

Schreibst du heute immernoch genauso Songs wie am Anfang?
Ja. ich sitze im Keller und schreibe das auf, was in meinem Kopf herumspukt. Ich verändere im nachhinein wenig. Die Songs "are popping out of my head". Alles was ich tun muss ist, mich später noch daran zu erinnern.

Im Internet hat jemand geschrieben, das große Thema, das sich durch Neva Dinovas Musik zieht, sind Bier und Kippen. Klingt gruselig.
Ja, nett klingt es jedenfalls nicht. Eher traurig. Bis zum neuen Album war es auch genau das. Wir haben teilweise komplett betrunken getourt und grauenhafte Konzerte abgeliefert. Peinlich. Ich wollte nie wieder Musik machen und dachte, die Band sei komplett scheisse. Aber das ist sie nicht, im Gegenteil. Heute liebe ich die Band, die Musik, das Touren.

Ihr habt lange gebraucht, bis ihr schließlich bei Saddle Creek gelandet seit. Woran lag das?

Ich glaube Saddle Creek - wie viele andere auch - haben einfach sehen müssen, dass diese Band sich entwickeln kann, dass wir erst jetzt richtig gut werden. Es gibt da draussen so viel bessere Bands als unsere. Aber wir wissen jetzt, dass Neva Dinova eine Daseinsberechtigung haben. Als Roger, unser Drummer, in die Band kam, wurde auch der Kontakt zu Saddle Creek hergestellt. Er spiel ja Schlagzeug bei The Good Life. Er hat unsere Freunde dort immer und immer wieder bequatscht. Aber sie waren nicht besonders interessiert. Irgendwann trafen wir uns doch mal wieder im örtlichen Pizza-Restaurant. Und da waren Robb und Jason auch. Wir saßen eine Viertelstunde da und keiner hat auch nur einen Ton gesagt. Bis Jason irgendwann meinte: "Also, ihr wollt die Platte bei uns rausbringen? Okay. Wollen wir noch drüber reden oder sie einfach veröffentlichen?" "Nö", haben wir gesagt, "bringt die mal raus!"

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Hat sich dadurch irgendwas geändert?
Ich glaube wir passen ganz gut zu Saddle Creek, obwohl sich deren Roster sich in den letzten Jahren ja auch ziemlich verändert hat. Es gibt viele elektronische, viele Hardcore-Sachen. Wir können jetzt endlich mit all diesen Bands touren.

Hast du etwas aufgegeben, als du dich fürs Musikmachen entschieden hast?

Ohja. Die Idee, ein normales Leben zu führen. Ich hätte einen brauchbaren Job finden können, der mir genug übrig lässt, um über die Runden zu kommen. Ich hätte auch aufs College gehen können. Mit der Musik habe ich mich dagegen entschieden. Aber ich beklage mich nicht. Das einzige, was mich traurig macht, ist die Tatsache, dass mein Großvater nicht lang genug am Leben war um zu sehen, dass sich meine Musik entwickelt und ich endlich ein paar Alben verkaufe und etwas aus mir mache. Als er starb, war ich einfach bloß ein Loser. Er liebte mich, aber musste eben auch sehen, wie ich nichts auf die Reihe bekam. Ich wollte ihn immer beeindrucken, habe es aber nie geschafft.

Habt ihr als Band ein Ziel?
Wenn du 16 Jahre alt bist, willst du reisen und Geld machen mit deiner Band. Wir mussten schnell feststellen, dass das kompletter Unsinn ist und völlig realitätsfern. Die ersten 7 Jahre haben wir nur in Omaha gespielt, nirgends sonst. Irgendwann haben sich Cursive mal erbarmt und uns mit auf Tour genommen. Tim Kasher kam damals zu uns und fragte: "Hey Jungs, seit ihr jemals auf Tour gewesen?" Wir haben ihn bloß ungläubig angeglotzt und gefragt: "What do you mean?" Inzwischen sind unsere Ziele ganz anderer Art. Wir wollen uns als Musiker entwickeln und immer die jeweils besten Songs schreiben, zu denen wir gerade fähig sind.

Bist du ein Optimist?
Ich versuche es. Ich würde gern den ewigen Zynismus abstellen. Das war damals auch ein Grund, warum wir die zweite Platte "The Hate Yourself Change" genannt haben. Wenn du pleite bist und dich beschissen fühlst, dann kannst du entweder untergehen oder dich ändern. Und du kannst dich zu jeder Zeit deines Lebens ändern, das ist ja das Großartige daran. Das habe ich viele Jahre nicht realisiert. Ich bin gerade dabei, mich zum Optimisten zu entwickeln und versuche, alles etwas gelassener und positiver zu sehen. Aber es ist eben nicht meine natürliche Neigung.

Der Tod nimmt als Thema einen großen Platz in deinen Songs ein. Woran liegt das?
Das Nachdenken über den Tod macht das Leben wertvoller. Es kann dir in jeder Sekunde deines Lebens genommen werden. Der Tod meines Großvaters hat mich sehr mitgenommen und war wahrscheinlich ein tiefer Einschnitt in meinem Leben. Wir waren zum Essen verabredet. Und als ich ankam, war der Notarzt schon da. Meine Oma war auch da, aber sie begriff nicht, was vor sich ging. Er war einfach fort. Ich blieb die Nacht bei meiner Oma und passte auf. Der Stuhl, auf dem er sonst saß, war noch warm. Als meine Oma ins Bett ging, schlich ich durch das Haus und war auf der Suche nach Alkohol. Whiskey, Bier, irgendetwas. Aber ich fand nichtmal was zu rauchen. Alles, was ich dabei hatte, war eine Hosentasche voller Pilze. Irgendwann aß ich alle davon - ganz schlechte Idee. Dadurch erlebte ich den Verlust eines Menschen auf so teifschürfende und dramatische Art und Weise. Irgendwann saß ich nur noch da und heulte sechs Stunden lang. Das war schlimmer als der Tod. Ich habe keine Angst vor dem Tod, es gibt viel schlimmere Dinge. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass du viel mehr Dinge hättest schätzen müssen, als es noch nicht zu spät war.

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


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