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Badly Drawn Boy Interview

Perfection Is Evil


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© Fabienne

Damon Gough sitzt an einem zugemüllten Hoteltisch und kramt in seiner Zigarettenschachtel. Es ist die fünfte während des Interview, die er sich anzündet. Das hat er am Tag zuvor, bei seinem Konzert im Mandarin Kasino, auch schon so gemacht. Irgendwie mag das gar nicht so recht zu dem Mann passen, der in seinen Songs und auf der Bühne eher in sich gekehrt wirkt und den Anschein macht, als sei er ein sorgsamer Familienvater. Keiner eben, der so kleine Rockstar-Laster wie das Kettenrauchen pflegt. Aber vielleicht ist er auch schlicht und einfach nervös. Schließlich hat er ein Album zu verteidigen, das ihn fast die musikalische Karriere gekostet hätte.

Der Reihe nach. Damals, als Mark E. Smith, Frontmann von The Fall, 1997 versehentlich in Goughs Privatwagen einsteigt, weil er ihn für einen Taxifahrer hält, beginnt die Karriere von Badly Drawn Boy. Der Engländer, der bisher lediglich zwei kleine EPs veröffentlicht hatte, fährt den Musiker nach Hause und lässt sich versprechen, zusammen den Song "Tumbleweed" aufzunehmen. Smith hält sein Versprechen und bringt ihn sogar mit DJ Shadow und James Lavelle zusammen, die ihn für ihr UNKLE-Projekt engagieren. Dann geht es ziemlich schnell. Badly Drawn Boys Debüt "The Hour of Bewilderbeast" erscheint, wird in höchsten Tönen gelobt. Danach: "About a Boy" Filmsoundtrack, im gleichen Jahr "Have you fed the fish?". Wieder ein Jahr später: das kongeniale "One plus One is One". Ein Kleinod, zu Unrecht an der Weltöffentlichkeit vorbeigegangen. Aber da waren die Labelstreitigkeiten mit XL-Recordings schon im vollen Gange.

Letztes Jahr dann soll der Nachfolger erscheinen. Beim Giganten EMI. Doch plötzlich stockt Gough, dem bisher alles zugeflogen war: alle Songs wanderten in den Müll. bereits aufgenommen und zum größten Teil abgemischt. Ein Leidensweg beginnt, der in Goughs neustem Album "Born in the U.K." mündet.

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© Fabienne

Wir sitzen hier im 20. Stock des Radisson Hotels in Hamburg. Im Eingang unten: nur Business-Menschen in teuren Anzügen. Es fiel mir schwer, dich hier vorzustellen. Bist du irgendwie auch schon ein Business-Mensch geworden?
Über die Jahre musst du ein Business-Mensch werden. Wenn du Musiker bist, muss du im Laufe der Jahre lernen, wie das Geschäft läuft. Damit du nicht verarscht wirst. Du brauchst Anwälte, Manager. Damit können viele Musiker nicht umgehen, weil es das letzte ist, womit sie sich beschäftigen wollen. Mich interessiert das ja auch nicht. Ich will bloß ein einfaches Leben: Musik machen, Alben aufnehmen. Mehr will ich gar nicht.

Wie fühlen sich die neuen Songs Live an? Du hast gestern im Mandarin Kasino bei deinem Auftritt eine Menge neuer Stücke gespielt!
Es macht schon Spaß die neuen Songs zu spielen, bis zu einem gewissen Grad. Bereits jetzt fühlt es sich so an, als hätte ich sie schon viel zu oft gespielt. Hauptsächlich hängt es aber davon ab, wie gut der Sound auf der Bühne ist.

Ich fand es sehr schade, dass du so wenig von "One plus One is One" gespielt hast. Wolltest du nicht?
Ich habe einfach nur die meisten Songs von "One plus One is One" vergessen. (lacht) Nein, die Zeit für dieses Album ist irgendwie ein wenig abgelaufen. Ich hatte es ohnehin auf Sparflamme herausgebracht. Die Promotion war gering und ich habe nur wenig getourt. Auf den Konzerten in England und in den USA hatte ich es komplett gespielt, das ganze Album durch. Ich wollte ein Statement machen, weil ich wusste, dass es sich nicht sehr gut verkaufen würde, weil das Label nicht wirklich dahinter stand. Sie fanden keine Singles darauf und wollten kein Geld hineinpumpen. Ich musste sogar mein eigenes Geld ausgeben, um mit der Band auf Tour gehen zu können. 40.000 Pfund hat das damals gekostet. Es war eine furchtbare Erfahrung, dass mich das Label XL Recordings so hat fallen gelassen. Aber es ist schön zu hören, dass dir das Album gefällt. Viele deutsche Journalisten haben mir das erzählt und wenn wir dieses Interview gestern vor der Show gemacht hätten, ich bin sicher ich hätte abends ein paar mehr Songs von "One plus One is One" gespielt! Es sind einige Songs drauf, die ich wirklich gern spiele. "Year of the Rat", "Four Leaf Clover" und "This is That new Song".

Kannst du etwas über die Entstehung von "Born in the U.K." erzählen? Das war nicht ganz unproblematisch ...
"Born in the U.K." hat insgesamt 18 Monate gebraucht. Ich habe keine Pause genommen oder sowas. Direkt nach der "One plus One is One"-Tour 2004, im Winter war das, habe ich bereits angefangen, neue Songs zu schreiben. Ende Februar 2005 hatten wir ungefähr 18 Songs als Demos aufgenommen. Dann habe ich mich zwei Monate um einen Produzenten bemüht. Ich habe mich dann für Stephen Street entschieden. Wir haben dann im Juli über 20 Songs aufgenommen, alle Live eingespielt, und dann drei Wochen damit verbracht, Overdubs zu machen und alles zu mischen. In dieser Zeit habe ich festgestellt, dass mir meine Arbeit nicht gefiel. Den Songs fehlte etwas Entscheidendes. Ich habe dann zwei Wochen mit mir gerungen und schließlich Stephen angerufen und gesagt, dass sie in den Müll wandern. Er hat sich nicht geärgert, er hat mich eher getröstet und meinte, dass ich mich nicht fertig machen soll, dass es okay ist. Und dann habe ich von vorn angefangen. Und wurde richtiggehend abhängig von der Idee, jeden Tag einen neuen Song zu schreiben und aufzunehmen. An Weihnachten hatte ich schätzungsweise 80 neue Songskizzen und Ideen. Im Juli haben wir dann die Aufnahmen abgeschlossen. So lange habe ich noch nie für ein Album gebraucht.

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Warst du nach "One plus One is One" ausgebrannt?

Nein, ich wollte einfach dieses Album fertigstellen. Wenn "Born in the U.K." dieses Jahr nicht veröffentlicht worden wäre, hätte ich den Job als Musiker an den Nagel gehängt. Aber jetzt bin ich froh, dass ich es geschafft habe. Obwohl es noch nichtmal veröffentlicht wurde, habe ich schon wieder das Gefühl, die Songs seit Ewigkeiten zu spielen. Ich bin schon wieder versucht die nächsten Songs zu schreiben, weil mich die alten Songs schon wieder langweilen. (lacht)

Hast du die finanzielle Seite gesehen, als du ein ganzes Album eingestampft hast?
Klar, das ist ein teures Experiment. Wahrscheinlich wurden ganze 100.000 Pfund verschwendet. Zum Glück habe ich eine Plattenfirma, die meine Entscheidung jederzeit mitgetragen hat.

Du bist in deinen Songs sehr ehrlich. Mir scheint du bist auch was die Aufnahmen eines Albums angeht sehr selbstkritisch.
Ich war noch nie so selbstkritisch wie jetzt. Die ersten Alben als Musiker sind für dich ein Lernprozess. Du wirst von Dingen überrascht, die du nicht für möglich gehalten hast. Das ist das Beste, was dir als Künstler passieren kann. Aber je älter du wirst, desto schwieriger wird es, überrascht zu werden. Und meine Erwartungen und meine Ansprüche an meine Musik sind inzwischen so groß, dass ich nicht mehr an den Punkt gelange, an dem ich überrascht werde. Obwohl ich bei Gott kein Perfektionist bin, alle glauben das. ich hasse Perfektion!--

Dann wäre ja jetzt der perfekte Zeitpunkt, mit jemand anderem Songs zu schreiben ...
Klar, das wäre sicherlich möglich. Fragt sich bloß mit wem. (grinst) Abgesehen davon kollaboriere ich ja ständig mit Anderen. Dem Produzenten, den Mitmusikern. Der eigentliche Songwriting-Prozess bleibt aber bei mir. Ich will auf mich selbst zurückgeworfen sein, weil ich es als Herausforderung betrachte. Und dieses Album war eine unglaubliche Herausforderung, vor allem beim "zweiten" mal. Da hatte ich die ganze Zeit im Hinterkopf: oh nein, diesmal darfst du nicht versagen. Aber dieser Druck, dieser Stress, der fördert ja auch die Kreativität. Sometimes you have to get trough all this in order to get to an result.

Wie hilfreich war dabei Nick Franklen als Produzent?
Franklin konnte mich beruhigen und überzeugen. Meistens komme ich morgens ins Studio, höre mir die Aufnahmen des vergangenen Tages an und denke: das ist grausam und schlecht. Und er schafft es dann, mich davon zu überzeugen, es doch weiter zu versuchen.

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© Fabienne

Es war sicher auch hilfreich, deine Familie zu sehen, oder?
Ja, sehr hilfreich. Am Anfang habe ich Claire und die Kinder jeden Tag gesehen. Stockport ist nicht weit weg von zuhause. Aber später habe ich in South Wales aufgenommen. Ich war fast drei Monate isoliert. Da habe ich Claire oder meinen Bruder fast nie gesehen. Und die wenigen Male habe ich nur rumgejammert, dass es ein Alptraum sei, dieses Album aufzunehmen. Deswegen hatte ich erst recht Angst, das endgültige Album meiner Familie und Freunden zu zeigen, weil sie rießige Erwartungen haben mussten, schließlich haben sie ja gesehen, wie sehr mich der Prozeß gequält hatte. Übrigens bin ich ein furchtbarer "Decision Maker". Liegt wohl daran, dass ich im Oktober geboren wurde!

Warum hast du dein Album ausgerechnet "Born in the U.K." genannt? Ist es wichtig, ausgerechnet heute zu betonen, aus welchem Land man kommt?
Ich will die Menschen ermutigen, die Gemeinsamkeiten zwischen allen Menschen zu sehen. Es ist natürlich völlig egal, ob du aus England oder Deutschland kommst. Wir sind alle gleich. Mein Vater zum Beispiel wurde in Manchester geboren, meine Brüder auch. Ich aber bin in einem Hospital in Dunstable zur Welt gekommen. Also wäre ich theoretisch ein Dunstabler. (lacht) Was ich sagen will: es ist natürlich egal, woher ich komme. Aber es hat mich geprägt. Es hat dazu geführt, dass ich mir den blöden Namen Badly Drawn Boy gegeben habe und Musiker geworden bin. Wenn man den Weg zurückgeht, stellt man fest: es liegt daran, dass ich in Großbritannien geboren wurde. Und abgesehen davon ist es eine Referenz an Bruce Springsteens "Born in the USA". Was Bruce Springsteen hoffentlich nicht ankotzen wird.

Er scheint einen erheblichen Einfluss auf dich gehabt zu haben ...
Er hat mein Leben verändert, damals in der Schule. Wahrscheinlich hätte ich ohne ihn nie Musik gemacht. Das ist auch einer der Gründe, warum ich das Album "Born in the U.K." genannt habe: Wäre ich heute Musiker, wenn ich damals in Manchester nicht vor dem Fernseher gesessen und Thunder Road gehört hätte?

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Fabienne Mueller


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