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Jenny Lewis Interview

Gospel und Theater


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Manchmal verschwinden Interviewaufzeichnungen. Sie gehen verloren, aus welchen Gründen auch immer. Und dann, Monate später, tauchen sie wieder auf, gepresst auf einen digitalen Datenträger in einer Wohnung, die man lange nicht mehr besucht hat. Die Frage danach, ob es würdevoll ist, die Worte eines Musikers so schlampig zu behandeln - diese Frage beantwortet sich von selbst. Seit einer Woche jedenfalls existiert wieder die Aufzeichnung einer Musikerin, die mit Rilo Kiley bewiesen hat, dass "Indie" ein dehnbarer Begriff ist, und dennoch einen Kern freigelegt hat, der wohl im besten Sinne "Indie" ist. Die Dame heisst Jenny Lewis und hat, nach drei erfolgreichen Alben mit Rilo Kiley, den Solo-Pfad eingeschlagen.

 

Es geht nicht anders. Rilo Kiley sind mit ihrer Person verknüpft und müssen erwähnt werden. Denn ein Solo-Album ist nie bloß ein Solo-Album. Besonders dann nicht, wenn die Protagonistin selbst Sängerin der Hauptband ist. Lewis selbst würde es wohl auch nicht wollen. Begonnen hat alles 1995 mit einer Freundschaft zwischen hr und Blake Sennett, dem späteren Gitarristen und Songwriter der Band. Zusammen mit Schulfreund Pierre De Reeder, der als Bassist bei ihnen einsteigt, und Drummer Dave Rock gründen sie Rilo Kiley. Und wie es immer so läuft: ein eigenes Label muss her, sonst wird das nichts, mit dem Release ihres Debüts "Take Offs And Landings". Eben jenes Album erscheint jedoch später auf einem ganz anderen, wesentlich Prestigeträchtigerem Label: Barsuk Records. Zumindest für einen wird das alles zu viel. Drummer Dave Rock steigt aus. Ersatz wird mit Jason Boesel schnell gefunden - eine freundliche, hünenhafte Gestalt, die auch auf "Rabbit Fur Coat", Jennys Solo-Album, seinen Beitrag beisteuern soll.

 

Im Oktober 2002 passiert dann das, was man getrost als Indie-Märchen bezeichnen könnte, wenn es nicht einfach eine logische Konsequenz jahrelanger Freundschaften gewesen wäre: Rilo Kiley landen auf Saddle-Creek, jenem Label, dass den amerikanischen Indie-Standort neu definiert hat. Die band veröffentlicht "The Execution of all Things" und kommt endlich mit Erfolg dort an, wo man hin wollte. Dennoch ist die Band eine getriebene Band. Letztes Jahr erscheint "More Adventurous" auf Warner, weit weg vom Indie-Partner. Anfang dieses Jahres erscheint schließlich Jenny Lewis Solo-Album "Rabbit Fur Coat", einer Mischung aus Country, Folk, Blues und einem zeitlosen Omaha-Sound. Rilo Kiley ruht fürs erste. Und Jenny Lewis tourt (fast) allein durch Europa. Immer mit dabei: Jason Boesel, Rilo Kiley Drummer und Gewinner des Aragorn Look-A-Like-Contests.

 

An diesem Nachmittag im nagelneuen Club "Uebel & Gefährlich" ist Jenny erstmal stundenlang nicht aufzufinden. Sie ist shoppen, kauft wohl wieder hässliche Ledertreter, meint der Tourmanager. Irgendwann taucht sie dann doch auf, die zierliche Gestalt mit dem schmalen Mund und der Eigenschaft, die unfotogenste Person der welt zu sein - zumindest was das freundliche Lächeln angeht. Und: sie verunsichert. Weil sie einem so tief in die Augen schaut, dass man seine vergrabensten Geheimnisse gefährdet sieht.


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Unterscheiden sich Rilo Kiley Shows von deinen Solo-Shows?

Die Show selbst ist eine andere. Es hat eher den Charakter einer Theateraufführung. Wir ziehen uns alle feine Klamotten an und sind viel ruhiger, nicht so ungestüm wie mit Rilo Kiley.

 

Spürst du Solo eine größere Aufmerksamkeit seitens des Publikums?

Nein, der Fokus lag schon immer auf meiner Person. Schließlich bin ich die Sängerin von Rilo Kiley, da kommt das notgedrungen.

 

War ein so stark country-lastiges Album von dir schon lange geplant?

Es ist ja nicht so, dass ich dieses Konzept im Kopf hatte, eher ein Country-lastigeres Album zu machen. Schließlich hatten wir diese Elemente schon immer auch in Rilo Kiley Songs. Nein, das kam natürlich und war ein Prozess.

 

Ich als Mitteleuropäer habe immer ein eher flaues Gefühl im Magen, wenn ich an Country denke ...

Verständlich. Aber aus meiner Sicht war es fast logisch. Das waren die ersten Platten, die ich als Kind gehört habe. Wenn du aus dem Teil der USA kommst, aus dem ich komme, dann bist du als Mädchen mit weiblicher Country-Musik aufwachsen. Notgedrungen. Außerdem glaube ich nicht, dass ich klassische Country-Musik mache. In meinen SOngs sind die Themen nicht notwendigerweise die gleichen wie vor 30 Jahren. Und ich finde, meine Songs passen in ihrem Kern wahrscheinlich in jedes Genre.

 

Warum aber ein Solo-Album - ging das alles nicht auch mit Rilo Kiley?

Ich glaube nicht, dass Solo-Alben ein Ausdruck davon sind, dass man etwas mit seiner Band nicht machen kann. Wenn du in einer Rockband spielst, dann erhalten sich deine ursprünglichen Ideen nicht. Du musst sie teilen, weil du in einem Kollektiv bist. Andernfalls zerbricht die Band.

 

Du bist sehr offen auf "Rabbit Fur Coat" ...

Ich wollte einfach ein paar klare Storytelling-Songs auf dem Album haben. "Rabbit Fur Coat" ist einer dieser Songs. Das ist nicht alles meine Mutter, von der ich darin erzähle. Ich habe viel dem Charakter hinzugefügt.

 

Welchen Stellenwert haben die Watson Twins?

Die Watson Twins sind sehr wichtig für das Album gewesen, weil sie mit ihrer Gospel-Erfahrung eine gewisse Sakralität hinzugefügt haben.

 

Warum die Entscheidung, das Album unter "Jenny Lewis and the Watson Twins" zu veröffentlichen?

Ich hätte das Album auch einfach nur unter Jenny Lewis veröffentlichen können. Aber es sollte "Jenny Lewis with the Watson Twins" heissen, weil es eine Referenz ist. An "Laura Mirrol and La Belle" Ich wollte einerseits diesen Damen Respekt erweisen und auf der anderen Seite dem Album auch einen ästhetischen Rahmen geben. Außerdem: Je länger die Watson twins am Album mitarbeiteten, desto wichtiger wurden sie auch, desto mehr Einfluss hatten sie auch.

 

Du bist sehr erfolgreich mit diesem Album. Herrst da bei Rilo Kiley Neid?

Nein, da herrscht kein Neid. Wir sind wie eine Familie. Wenn in deiner Familie jemand Erfolg hat, dann freust du dich mit ihm.

 

Wird die Solo-Tour Auswirkungen auf die nächste Rilo Kiley Platte haben?

Natürlich wird diese Erfahrung das nächste Rilo Kiley Album beeinflussen. Wie auch nicht? Und ich bin mir sicher, dass es Blake und mir helfen wird zu erkennen, dass wir nicht notwendigerweise aufeinander angewiesen sind.


Interview + Text: Robert Heldner

Fotos: Offizielle Pressefotos


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