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Februar Short-Cuts

Februar 2007: Ian Love / Johnossi / Thees Uhlmann

Nagelneu bei Sellfish: die Interview Short-Cuts. Von Zeit zu Zeit bekommt ihr von uns jeweils im Dreier-Pack die wichtigsten Kurz-Interviews geliefert. Kurz, prägnant, provokativ. Damit am Ende auch ja keiner sagen kann, wir hätten eine Band übersehen!

Short-Cut 1: Ian Love - Atlantikrauschen

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Ian Love, Ex- Rival Schools

Das Telefon ist immer dann dein Feind, wenn es nicht das tut, was es soll. Im Falle eines Ian Love Phoners funktioniert zwar das Telefon, aber mit einem Rauschen und Fiepen, dass es einem durch Mark und Bein geht. Am anderen Ende der Leitung spricht Ian Love über sein Leben, und außer einem höflichen Zustimmen bringe ich nichts weiter zustande. Die wenigen Wortfetzen, die über den Atlantik dringen, werden vom Aufnahmegerät gierig aufgefangen. Ian Love, der Hardcore-Veteran, sitzt zuhause am Stadtrand von New York, und redet mit mir über sein Debüt als Songwriter. Schlicht "Ian Love" heißt es, und erzählt im Grunde seine Lebensgeschichte. Von den Anfängen mit der Hardcore-Band Burn in New York, über seine Junkie-Zeit, über seine Reha, seinen Erfolg mit Rival Schools, mit Cardia. Und über seine Tochter. Über sein Tonstudio. Und sein Solo-Debüt, dass nach einem Jahr nun auch bei uns erschienen ist. Zwischenzeitlich herrscht sogar eine Minute lang Funkstille. "Scary", sagt Ian Love. Und redet weiter ...

Obwohl du ein Singer/Songwriter-Album aufgenommen hast, liegen deine Wurzeln im Punk und Hardcore. Kannst du dich noch an deine ersten Berührungspunkte mit der Szene erinnern?
Ian Love: Ja. Ich hing als zwölfjähriger viel im CBGBs herum, weil ich in der High School keine Freunde hatte und New York eine große Anziehungskraft auf mich ausübte. Die Schule hat mich sowieso nicht interessiert. Meine Tochter würde ich in diesem Alter wahrscheinlich nicht allein nach New York reisen lassen. Aber ich bin damals ohnehin abgehauen, meine Eltern wussten nicht wo ich bin. Die Punk- und Hardcore-Szene hat mich einfach magisch angezogen, ich konnte mich nicht wehren. Ich suchte nach einer Ausdrucksform, die kraftvoll und energiegeladen war. Und die fand ich in der Szene. Heute gibt es diese Form der Szene gar nicht mehr, zumindest nicht in New York. Das CBGBs hat jetzt eh geschlossen. Und die letzten zehn Jahre sind dort auch nur noch schlechte Bands aufgetreten.
 

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Ian Love, Ex- Cardia und Burn

Du bist ziemlich schnell zum Drogenabhängigen geworden. Wie kam das?
Ich bin da hineingerutscht. Es war keine Entscheidung, Drogen zu nehmen. Ich war ein Teenager, umgeben von einem Haufen älterer Typen. Ich spielte in einer Band, ich tourte viel. Und irgendwann wurde mir die ganze Palette präsentiert: Gras, Koks, Heroin usw. Es war ein "social thing". Ich will das nicht verharmlosen. Aber wenn du in lauter heruntergekommenen Schuppen spielst und nach dem Soundcheck ein paar Leute anfangen, Drogen zu nehmen, dann willst du dich nicht ausgeschlossen fühlen. Zumindest dann nicht, wenn du erst 17 jahre alt bist und alles mitnimmst, was dir die Welt gibt. Nach fünf Jahren Abhängigkeit stand ich dann vor der Entscheidung: so weitermachen und sterben. Oder in die Klinik zu gehen und das Leben wieder in Ordnung zu bringen. Ich habe mich dann zum Glück für letzteres entschieden.

Du bist dann zum Entzug in eine Klinik gegangen. Hast du dort auch neue Möglichkeiten des Songwritings für dich entdeckt?
Ich war in einer speziellen Reha-Klinik, die sich auf Musiker spezialisiert hatte. Das klingt merkwürdig, aber es ist so. Die hatten viele Instrumente und Proberäume dort, was für einen, der langfristig clean werden will, eine echte Hilfe ist. Nach den ersten, wirklich harten Wochen konnte ich wieder eine Gitarre in die Hand nehmen. Das war ein unglaubliches Gefühl: zum ersten mal wirklich kreativ zu sein, ohne irgendwelche Drogen zu nehmen. Das war berauschend!

Danach bist du mit Rival Schools um die ganze Welt getourt. Keine Angst vor einem Rückfall gehabt?
Das gute an Rival Schools war, dass das alles gute Freunde von mir waren, die wussten, was ich durchgemacht hatte. Die wussten, dass ein einziger Drink mich wieder zurückwerfen könnte. Und es ist ihnen hoch anzurechnen, dass sie so gut auf mich aufgepasst haben. Zudem wusste ich nach der Reha genau, dass ein Rückfall mein Ende wäre. Und ich wusste auch, dass das Kapitel Drogen und Alkohol für mich beendet war. Deswegen konnte ich die kurze Zeit mit Rival Schools auch in vollen Zügen genießen.

Jetzt hast du ein ruhiges Songwriter-Album aufgenommen. Hatte da die Geburt deiner Tochter Einfluss genommen?
Meine Tochter hatte definitiv einen großen Einfluss auf meine Musik. Sie hat mich ruhiger gemacht. Als ich mein Album aufnahm, hatte ich mein Studio noch im selben Apartement, in dem ich auch lebte. Wenn da ein kleines Baby schlafen will, kannst du keinen Hardcore spielen. (lacht)

Short-Cut 2: Johnossi - Vorne, mittig!

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Links John, rechts Ossi

John und Ossi stehen ein wenig verloren im Mercure Hotel in Erlangen und entschuldigen sich für ihren Hangover. Ihr Tourmanager lacht diebisch. "Damit hatten sie nicht gerechnet, dass sie heute auch noch ein Interview machen sollen. Geschieht ihnen Recht, die haben in München bis sechs Uhr morgens gefeiert!" Nun, ich lasse mich ungern zum Handlanger machen. In diesem Fall jedoch lohnt es sich. Denn aus den gemarterten Köpfen kommt einiges an Infos über den ganz privaten Musikgeschmack der Schweden. Zwar verharren die beiden Musiker zuerst vor einem Snoop Dogg Kalender, aber als es ans Eingemachte geht, offenbaren sie, vollkommen seriös, dass Nirvana der größte Einfluss für sie gewesen sei. Wenn man später am Tag, wenn John und Ossi zusammen als Johnossi die Bühne betreten, genau hinhört, dann merkt man es. Das rauhe, die Kraft aus ein paar Akkorden und Schlagzeugschlägen. Zu zweit geht eben auch gut. Und auch wenn die beiden etwas verloren im Erlanger Plattenladen stehen, eines merkt man ihnen an: die wollen spielen. Und hätten am liebsten schon das nächste Album veröffentlicht. Das liegt allerdings noch in weiter ferne. Bis auf weiteres liegt nur das Debüt im Regal. Und John hält es fast ein wenig stolz in den Händen (und staunt über den außerordentlich hohen Preis).

Welche Künstler und Bands hörst du am liebsten?
Ossi: Ich höre meist ältere Musik. Led Zeppelin und Rolling Stones. Moderne Pop- und Rockmusik lässt mich zwar nicht kalt, aber ich beschäftige mich nicht gerade intensiv mit ihr. Die schwedische Musikszene ist mir da noch am nähesten, klar. Dungen mag ich sehr, oder Bear Quartet. Refused natürlich auch. Und aufgewachsen bin ich mit Nirvana.

Kannst du dich an dein erstes Album erinnern, John?
John: Meine erste CD war von Kraftwerk. Da war ich neun Jahre alt. Zusammen mit einem Dire Straits Album. Damit bin ich praktisch aufgewachsen und habe nichts anderes gehört. Ich bin auch in keiner Musikszene aufgewachsen. Das wenige an Musik, das ich konsumiert habe zu dieser Zeit, waren ein paar Platten meiner Eltern. Es gab keine Musikszene um uns herum, keine älteren Geschwister, die in Bands spielen. Das fehlte vollkommen. Deswegen hat es auch bis weit nach Ende der Schulzeit gedauert, bis Ossi und ich eine Band gegründet haben.

Ihr habt also nicht viel Geld für Platten ausgegeben?

John: Doch, als Teenager dann schon. Das witzige ist: ich habe in dieser Hinsicht meinen Bruder musikalisch beeinflusst, und der ist 15 Jahre älter als ich! Er hört normalerweise nur Schrott. Sein absolutes Lieblingslied ist irgendein Club-Song. Das spielt er dauernd. "Put your hands up in the air / put your hands up in the air". Furchtbar!

Erinnert ihr euch noch an euer erstes Konzert?
Ossi: Oh ja, das war ein Eric Clapton Konzert. Mein Vater hatte mich mitgenommen. Wir hatten Sitze in der ersten Reihe, genau in der Mitte, zu seinen Füßen. Das war meinem Vater immer wichtig. Ein Jahr später sind wir zu einem B.B. King Konzert gefahren - und mein Vater hatte wieder exakt die selben Sitze reserviert!
John: Bei mir war das Michael Jackson. Das war ziemlich cool. Aber Anfang der Neunziger wurde er dann natürlich ziemlich schnell von Nirvana abgelöst. Obwohl ich nie aufgehört habe, Michael Jackson zu hören. Jedes Genre hat gute Künstler, wirklich jedes Genre.

Seit ihr Musikliebhaber? Sammelt ihr Platten?

John: Ich bin Musikliebhaber, ja, aber ich sammle keine Platten. Vinyl habe ich nur wenig. Und die 200 CDs, die ich besitze, liegen zerkratzt in einer Ecke, weil mein Vater vor einiger Zeit sämtliche Hüllen weggeworfen hat. Warum, ist mir schleierhaft. Ich bin also ziemlich schlampig, was den Umgang mit der Musik anderer angeht.

Short-Cut 3: Thees Uhlmann - Hut ab!

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Thees Uhlmann, letztes Jahr

Der Abend ist gelaufen. In Erlangen wird außer ein paar Rotweingläsern nicht gesoffen. Es gibt keine Aftershow-Party, keine betrunkene Band, die herumtorkelt. Hilmar Bender und Thees Uhlmann sind zu zweit unterwegs und das färbt, zumindest an diesem Abend, ab. Irgendwie muss so eine Lesung ja auch seriös sein, oder? Obwohl: es wird viel gelacht, die Geschichten sind auch einfach zu gut. Tomte, über diese Band muss man kein Wort mehr verlieren. Eigentlich auch nicht über Hilmar Bender, der hat ja das erste Tomte-Tourtagebuch geschrieben. "Die Schönheit der Chance - Tage mit Tomte auf Tour" heißt es, wurde im letzten Herbst veröffentlicht - und geht an diesem Abend (inklusive Widmungen) an viele hungrige Hände. In meinem Exemplar schreibt Thees: "Gleich noch Interview. Hut ab vor uns. Thees" ich stutze und muss überlegen. Meint er sich und Hilmar? Mit Sicherheit. Aber das Gute an Tomte-Abenden war ja immer, dass man immer auch ein wenig sich selbst angesprochen fühlen konnte. Das ist auch an diesem Abend nicht anders.

Hast du Hilmar beim Tourtagebuch reingeredet?
Thees: Nein. Das ist, als würde ich vor der nächsten Kettcar-Platte zu Wiebusch gehen und meine Ideen einbringen wollen. Das mache ich einfach nicht. Da ist jemand, der was Kreatives schreibt, warum sollte ich mich da einmischen?

Aber inzwischen hast du es doch gelesen, oder?
Nein.

Warum nicht?
Das ist zu nah an mir drann. Damit bin ich zu emotional verwurzelt. Das würde mich wahrscheinlich lahm legen, wenn ich das jetzt lesen würde.

Also hast du Hilmar auch keine Tipps gegeben. Gerade weil du ja auch selbst schon ein Tourtagebuch geschrieben hast?
Ich und Hilmar Tipps geben? Ich hab ihn schon gelesen, lange bevor ich selbst einen Stift in die Hand genommen habe.

Wäre die Anfangszeit von Tomte nicht spannender gewesen?
Das wollte Hilmar ja bewusst nicht machen. "Tage mit Tomte auf Tour" sollte nicht die ultimative Tomte-Biographie werden. Deswegen hat er mich ja zum Beispiel auch nicht interviewed. Es gibt eben kein "die Band windet sich von einem fantastischen Walter & Gail zurück in die Schönheit der Chance, Thees Uhlmann gibt emotional alles". Das wäre ungefähr so, als würde man sich selbst den Penis in den Po stecken. Da habe ich kein Bock drauf, da hat aber auch Hilmar kein Bock drauf. So eine Selbstabkultung stand nicht zur Debatte. Es sollte einfach darstellen wie das ist, heutzutage in Deutschland mit einer Band auf Tour zu sein.

Aber reizen würde dich das schon, selbst über die Anfänge der Band zu schreiben?
Da muss man aufpassen. Reizen würde es mich natürlich schon. Da sind einfach so viele tolle Sachen passiert. Wie die "Punk in Münster" Geschichte, daran ist nichts überzogen. Sowas ist natürlich wert, erzählt zu werden. Aber ich würde sowas auch gern einfach schnell rauskotzen. Das Musikgeschäft ist ja so langlebig geworden, dass man Bands erzählt: ne, ihr dürft jetzt nichts veröffentlichen, das letzte ist noch nicht lang genug draussen.

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefotos, Johnossi-Foto by sellfish.de


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