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Calexico Interview

Hoffnung Im Staub


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Viel muss man zu Calexico nicht mehr sagen. Seit ihrem Debüt "Spoke" reist die Band um Joey Burns und John Convertino kontinuierlich um die Welt - und reißt buchstäblich musikalische Grenzen ein. Lange Zeit waren sie als Mariachi-Desert-Indie-Rockband gebrandmarkt. Die Zeiten dürften seit "Garden Ruin" vorbei sein. Vor zwei Jahren erschien dieses astreine Indie-Rock-Album. Man hatte ein wenig Angst um die Band, war es doch gerade das Grenzgänger-Flair, das man an ihnen so liebte. Mit "Carried To Dust" kehren die Südstaatler dieser Tage zurück - und präsentieren ihre alten Stärken.

Täusche ich mich, oder werden Calexico immer melancholischer?
John Convertino: Das ist wohl ein sehr subjektives Empfinden. Klar, wir spielen Blues und Moll-Akkorde. Aber gerade auf "Carried To Dust" haben wir viele Momente der Erleichterung, fast überschwengliche Songs. Bei "Garden Ruin" waren wir von der politischen Situation in den USA viel zu sehr deprimiert. Aber jetzt gibt es Hoffnung, und das spiegelt sich auch auf dem Album wieder.

Ist "Carried To Dust" introspektiv? Hat sich seit dem letzten Album die Perspektive gedreht?
Ja, das kann man so sagen. Die Songs und Texte kommen von einem viel persönlicheren Ort.

Calexico scheinen sich auch an die guten alten Zeiten zu erinnern. Schon das Cover strahlt eine Rückkehr zu den Wurzeln aus. Kann man das so sagen?
Es gibt sicherlich einige Songs, die sich über die Jahre als Klassiker herausgestellt haben, die Live einfach unheimlich Spaß machen. Wir haben uns gefragt: warum sollten wir uns davon nicht inspirieren lassen? Sie existieren schon so lange und verlieren trotzdem nicht ihren Wert. Das muss einen Grund haben.

Woher kommt der Hang zu Kollaboration? Man findet sie vermehrt auf "Carried To Dust" wieder.
Man trifft auf Tour so viele unterschiedliche Menschen und Künstler. Und im Studio haben wir uns an sie erinnert und uns gefragt: Warum lassen wir der Spontanität nicht freien Lauf, laden sie ein und sehen, was passiert? Tortoise's Doug McCombs ist zum Beispiel auf zwei Songs zu hören. Man will Raum für ihn schaffen, ihm einen Platz geben. Außerdem wollte Joey Kontrast zu seiner eigenen Stimme schaffen. Auch das ist ein Grund dafür, warum wir verstärkt kollaborieren.

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Links Joey, rechts John

Wie seid ihr eigentlich auf Pieta Brown gestoßen?
Wir kennen ihren Vater, der viel mit Rainer Ptacek live gespielt hat, einem Ur-Mitglied von Giant Sand. Sie ist mit ihrem Vater vor vielen Jahren nach Tucson gezogen und irgendwann haben wir sie kennengelernt. Sie ist sozusagen die zweite Generation. Sie trägt die Songwriter-Traditionen ihres Vaters weiter. Sie singt auf unserem Album zusammen mit ihrem Ehemann. Ihre Stimmen ergänzen sich ganz wunderbar.

Sie hat mich an Martha Wainwright erinnert. Pieta Brown hat eine sehr tiefe, amerikanische Stimme. Der komplette Gegensatz zu dem lateinamerikanischen Song "Inspiracion", das sich ebenfalls auf "Carried To Dust" befindet.
Ja, die Kontraste sind spürbar und auch so gewollt. Der Song mit Pieta Brown ist aus einer Improvisation von mir mit Joey entstanden, nachdem wir ein paar Songs von Feist gehört hatten.

Der Song, der mich von anfang an begeistert hat, war "Two Silver Trees". Das zeigt Calexico von einer ganz anderen Seite...

Viele unserer Songs werden inspiriert von unseren ausgedehnten Reisen. Japan, Südamerika, Europa - mit der Zeit will man das auch in den Songs ausdrücken. Und wir sind es leid, immer als Desert Noir oder Desert Rock Band abgestempelt zu werden. Wir werden eben nicht nur von irgendwelchen verkrüppelten Kakteen in der Wüste inspiriert. Es gibt genauso andere wunderbare Bilder und Eindrücke, die wir auf der ganzen Welt sammeln und die sich in unseren Songs wiederfinden.

Calexico eignen sich übrigens wunderbar zum Autofahren - schade, dass man in Deutschland eure Songs wohl nie im Radio hören wird.
Dabei hätten die Deutschen das bitter nötig - bei euch wird ja unglaublich viel Auto gefahren. (lacht)

Verändert das ständige unterwegs sein die Musik?
Natürlich...

Und verändert es euren Lebensstil?
Mehr als alles andere! Man wird sich sehr schnell bewusst, dass man das nur dann lange mitmachen kann, wenn man auf seine Gesundheit achtet. Es ist harte Arbeit!

Kommt dir das zuhause anders vor, nach zwölf Jahren Tour?
Zumindest schätze ich es jetzt mehr als ich es früher getan habe. Die Kinder, die Familie, das bringt mich zurück in die Realität. Im Gegenzug versuche ich aber auch immer wieder, meine Familie mit auf Tour zu nehmen. Damit die Kids sehen, was ihr Vater macht. Und es ist mir wichtig, ihnen fremde Kulturen näher zu bringen, sie mit anderen Sprachen zu konfrontieren. Das ist also der schöne Aspekt des ständigen Tourens.

Würdest du es begrüßen, wenn deine Kinder in die Fußstapfen ihres Vaters träten?
Ja! Definitiv! Ich würde ihnen zwar sagen, dass es nicht einfach ist. Aber ganz ehrlich, was ist schon einfach? Man muss sich immer dahinter klemmen, sonst funktioniert gar nichts im Leben richtig.

Euer Song "Crystal Frontier" wurde ausgewählt, um amerikanische Astronauten auf der ISS-Raumstation zu wecken. Was denkt man denn über so etwas?

Ich finde es ziemlich beeindruckend.

Von welchem Song würdest du denn gern im Weltall geweckt werden?
Wahrscheinlich einen Song, der ein bischen mehr "mellow" ist als "Crystal Frontier". "Music For Airports" von Brian Eno beispielsweise.

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John Convertino

Was ist mit Bob Dylan? Das ist im Zusammenhang mit Calexico gar nicht so abwegig - schließlich habt ihr sogar in "I'm Not There" mitgespielt. Wo kommt diese Faszination eigentlich her?
Naja, ich wurde in den 1960er Jahren geboren. Ich bin mit Dylan aufgewachsen, alle meine Geschwister hatten Platten von ihm. Sie haben mich mit Dylan erzogen. Allerdings wurden schon so viele wahre Dinge über Dylans Größe gesagt, dass ich dem nicht mehr viel hinzufügen kann. Für mich persönlich kann ich nur sagen, dass mich der erste Teil seiner "Chronicles" und das Skript zu "I'm Not There" von seiner Größe überzeugt haben. Diese beiden Bücher haben mir gezeigt, wie dieser Mensch Songs schreibt, wie er improvisiert, wie wichtig das ist, was er der Musikwelt zu geben hat. Seine Musik verändert sich ständig, schon allein durch deinen eigenen subjektiven Blickwinkel. Jeder, der Dylans Texte aufmerksam liest, sieht etwas anderes darin. Keine Ahnung, wie er das macht, es wäre anmaßend zu sagen ich wüsste wie er Songs schreibt. Aber man bekommt eine Ahnung davon durch Dylans Autobiographie und Haynes filmische Interpretation. Gerade der Film, finde ich, trägt dazu bei, Dylan mit Respekt zu behandeln. Todd Haynes hat sich nicht dazu herabgelassen, Dylan zu erklären. Sich den Film anzuschauen war eher wie einen Dylan Song zu "sehen".

Ist das eine große Parallele zu Calexico - dieser ständige Veränderungswille?
Das hoffe ich. Beurteilen mag ich das aber nicht, schließlich bin ich zu nah drann an dem, was mit Calexico passiert. Aber es besteht zumindest ein ständiges Bedürfnis danach, neue Ideen zu entwickeln, neue Spielarten in der Band zu integrieren. Am Ende kann man es immer darauf herunterbrechen, wie sehr eine Band neues entdecken will, wie sehr eine Band ein Bedürfnis danach entwickelt. Das entscheidet sich mit jedem Album neu.

Wie schaust du auf zwölf Jahre Calexico zurück? Was bedeutet heute ein Album wie "Spoke"?
Es hat sich eine Menge verändert und ich könnte auf die Knie fallen und den Boden küssen für das, was mit Calexico passiert ist. So lange die Möglichkeit zu bekommen, das zu tun was man will, ist ein absoluter Glücksfall. Seit "Spoke" sind Calexico kontinuierlich gewachsen, die Band hat sich von einer Instrumentalband hin zu einer Songwriterband entwickelt. Und Joey Burns hat mit jedem Album seine Stimme ein bischen mehr gefunden. Am Anfang hat er ja eher gesprochen - seit "Garden Ruin" kann man sagen, dass Joey zu einem echten Sänger gereift ist. "Carried To Dust" unterbricht diese Entwicklung etwas, erlaubt anderen Instrumenten und Sängern mehr Raum, ist wesentlich experimenteller. Es war also ein langer, lohnender Weg.

Haben Calexico eine eigene Identität entwickelt? Oder war die von Anfang an gegeben?

Sowas ändert sich ja ständig. Es geht immer darum, seine Identität neu zu definieren, zu suchen, zu verändern. Joey und ich sind der Kern der Band, das hat sich nie verändert und wird sich auch nie verändern. Darum entwickelt sich alles ständig neu. Bandmitglieder kommen und gehen, Kollaborationen finden statt...

Haben Calexico über die Jahre auch ihre Grenzen kennengelernt? Gibt es Dinge, die ihr als Band nicht tun könnt?
Es wäre großartig, ständig mit einem Mariachi-Orchester unterwegs zu sein. Man muss sich mal klar machen, wie teuer es eigentlich ist, mit so vielen Menschen und so vielen Instrumenten auf Tour zu gehen oder bloß ins Studio.Vielleicht ist das sogar ganz gut. So müssen wir als Band immer das Beste aus uns herausholen und verzetteln uns nicht. Deshalb ist es auch hilfreich, wenn einem das Label eine Deadline setzt. Sonst wird man nie fertig.

Außerdem gibt es Fans da draußen, die auf ein neues Album warten.
Ja. Wir haben uns immer als Live-Band gesehen. Wenn man ein Album fertigstellt und die Songs das erste mal live spielt, entwickeln sie ein Eigenleben. Das ist der Teil, der mir immer am meisten Spaß bringt. Wenn man merkt, wofür man so lang im Studio war.

Du und Joey, ihr seid der Kern von Calexico. Was macht eure Freundschaft aus?
Ich habe das in einem anderen Interview schon gesagt: Wir haben den gleichen Background. Nur so kann ich erklären, warum wir es schon so lange miteinander aushalten. Wir haben eben das gleiche Fundament. Unser Familienleben, unser Musikgeschmack - das alles ist schon sehr ähnlich. Ich glaube ohnehin, dass es für Männer sehr schwierig ist, miteinander zu kommunizieren. Wenn man musikalisch einen Weg gefunden hat, miteinander zu kommunizieren, braucht man gar nicht mehr viel miteinander reden. Das macht den ganzen Job angenehmer...(lacht). Man muss nicht ständig alles mühsam erklären. Bei uns läuft das sehr intuitiv ab.

Calexico gibt es nun schon zwölf Jahre - kannst du dir überhaupt ein Leben ohne die Band vorstellen?

Inzwischen ja, wir haben ja schon so viel ausprobiert. Wenn jemand von uns aus der Band aussteigen würde, könnten wir nicht weitermachen. Aber das würde nicht bedeuten, dass ich keine Musik mehr mache. Das ist das Letzte, das ich mir vorstellen kann.

Calexico waren schon immer eine zeitkritische Band. In welcher Zeit befindet sich die USA gerade?

In einer hoffnungsvollen Zeit. Und ich hoffe das hält noch eine Weile an. Das, was mich am meisten beunruhigt, ist der Bau der Grenzmauer zu Mexiko. Das empfinde ich als extrem beunruhigend, weil es genau die gegenteilige Richtung ist, die die USA eigentlich einschlagen sollten. Wenn es etwas gibt, das wir mit Calexico schon immer ausdrücken wollten, dann die These, dass es keine Grenzen gibt. Weder zwischen Nationen, noch zwischen Musikstilen.

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


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