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Alkaline Trio Interview

Church Of Popmusic


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Wenn eines der größten Online-Magazine der USA eine Band mit den Worten "from a Misfits-inspired hardcore act into craftsmen of exquisite doom-pop", dann kann es sich nur um Alkaline Trio handeln. Die Zeiten, in denen sich Sänger Matt Skiba die Depressionen von der Seele singen und in der Church of Satan um Beistand bitte musste, sind nun vorbei. Ein bischen poliert wurde der Lack des Alkaline Trios im Laufe der letzten Jahre schon, aber am Ende konnte man immer sagen: so und nicht anders klingt eine Band, die ihren rechten Fuß im Punkrock und den linken im Düster-Pop hat. Das Herz jedenfalls saß immer am rechten Fleck. "Agony & Irony", das mittlerweile sechste Studioalbum, hat nur einen Gang zurückgeschaltet und lässt statt Klavier und Streichern wieder mehr die kratzigen Gitarren den Raum einnehmen, Gut so. Findet auch Derek Grant, Drummer der Band seit "Good Mourning" und damit Augenzeuge und Mittäter der Hitfrabrik Alkaline Trio.

Alkaline Trio umgibt immer eine bestimmte Aura, die viele andere Punkrock-Bands nicht besitzen. Kannst du diese Aura beschreiben?
Derek Grant: Puh, das ist für mich als Mitglied der Band natürlich schwierig. Besonders objektiv kann ich da nicht sein...

Aber du bist erst zur Band gestoßen, als die Band bereits einige Jahre existierte. Warum wolltest du Teil des Alkaline Trios werden?
Mich hat die Ehrlichkeit fasziniert. Sowohl in der Musik als auch in den Texten. Natürlich ist die Musik einfach zu verstehen, sie ist relativ einfach strukturiert. Jeder kann Alkaline Trio nebenbei hören. Aber die Songs öffnen sich mit der Zeit und jeder, der sich länger damit beschäftigt, wird die Komplexität dahinter erkennen. Gerade in Matts Texten.

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Drummer Derek

Wer gibt den Anstoß für ein neues Album? Ist das Matt?
Nein, sowohl Matt als auch Dan schreiben die Songs. Beide legen ihre Ideen auf den Tisch und bestimmen gleichberechtigt das Songwriting.

Denkt ihr an die Fans, wenn ihr Songs schreibt?
Nein. Gerade Matt und Dan, wenn sie Songs und Texte schreiben, brauchen diese katharsische Wirkung des schreibens. Und man kann das nur erreichen, wenn man für sich selbst schreibt. Gerade das neue Album, "Agony & Irony", ist wesentlich persönlicher als die letzten beiden.

In "100 Stories", einem Song auf "Good Mourning", hieß es: "I was getting bored with hurting myself". Warum trägt auch euer neues Album noch diese pure Verzweiflung in sich? Ihr solltet doch glücklich sein...
Keiner von uns schafft das unmöglich: immer und zu jeder Zeit glücklich zu sein. Ich denke wir sind glücklichere Menschen jetzt als noch vor fünf Jahren. Aber es wird immer Dinge in unserem Leben geben, die schrecklich, falsch und traurig sind. There will always be shit to write about.

Wie war die Arbeit mit Produzent Josh Abraham? Von all den berühmten Bands, die er produziert hat, gefallen mir lediglich Weezer und Alkaline Trio...
Wir sind auch keine Fans der Bands, die Abraham produziert hat. Aber wir mochten die Art und Weise, wie sie aufgenommen wurden, wie sie klingen. Außerdem wollten wir einen Produzenten, mit dem wir vorher noch nicht gearbeitet hatten. Abraham war von all den Produzenten der enthusiastischste. Er hat uns eine völlig neue Herangehensweise ermöglicht. "Agony & Irony" ist ein sehr spontanes Album geworden.

Euer neues Album klingt massiv und ausproduziert, trotzdem klingt es nicht zugekleistert wie viele andere teure Punkrock-Platten. Woran liegt das?

Ich denke wir haben mit "Crimson" gemerkt, wohin das führen kann. Da gefällt uns die Produktion rückblickend nicht so gut. Da war zu viel klavier, zu viele Streicher - alles Instrumente, die nicht unbedingt Teil der Band sind. Das wollten wir diesmal korrigieren. Uns ist bewusst geworden, dass man ein großes Punkrockalbum auch zu dritt und mit sparsamer Instrumentierung erschaffen kann. Am Ende haben aber doch Songs wie "Lost and Rendered" danach gebettelt, etwas fülliger zu sein. Also haben wir Freunde aus Norwegen eingeladen, die den Sound etwas verändert haben - fast industrial-like.

"I Found Away" sticht ebenfalls heraus. Da bekommt man fast ein wenig Angst, Alkaline Trio könnten eine Stadion-Band werden.

Keine Angst, das streben wir nicht an. Ich weiß aber was du meinst. Als wir nach einem geeigneten Produzenten für "Agony & Irony" gesucht haben, hat uns ein Produzent gesagt: Jungs, hört euch mal ganz genau an, welche Songs eure Fans lieben. Euch wird auffallen, dass es immer die Songs sind, deren Refrain einen sofort ergreift.

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Das ist Liebe: Sänger Matt Skiba und seine Tatoos

Alkaline Trio waren sehr lange eine Band gerade für Heranwachsende. Ist euch das bewusst?
Ja, ist es. Aber wir hoffen, dass die Fans mit der Musik wachsen. Viele Songs thematisieren den Prozeß des Erwachsenwerdens, die verzweiflung und Wut, de darin steckt. Aber wir sind mittlerweile erwachsene, verantwortungsbewusste Menschen geworden. Ich hoffe sehr, dass man das den Songs ebenfalls anhört. Wir wollen so viele Hörer erreichen wie möglich, wir wollen nicht für eine kleine, elitäre Gruppe schreiben. Alkaline Trio Songs sind keine Business-Planungen vorausgegangen.

Ist der Titel eine Anspielung auf den McCartney-Song?
(lacht) Das kann man so sehen. Wir haben ja viele unserer Alben als Wortspiele angelegt. "Crimson" ist von dieser Tradition abgewichen. "Agony & Irony" korrigiert das. Nicht nur was den Titel angeht, auch das Artwork ist ja sehr "simplistic".

Wie siehst du das Musikgeschäft heute? Seit ihr als Band gewillt neue Wege der Vermarktung einzuschlagen?
Ich hasse es, Musik aus einer reinen Geschäftsperspektive heraus zu sehen. Das ist nicht gesund, nicht fair und richtig. Alles braucht seinen Rahmen. Im Moment wird ja so viel probiert, um das Musikbusiness am Leben zu erhalten. Man muss neue Dinge ausprobieren. Aber für eine Band muss es eben auch Grenzen geben. Und wir kennen diese Grenzen sehr genau. Das Hauptinteresse eines Künstlers darf nie aus dem Blickfeld geraten: neue Songs zu schreiben und sie zu performen.

Wie sieht es mit eurem Blickwinkel auf die Welt aus? Alkaline Trio sind weiterhin eine pessimistische Band?

Ja, das liegt an unseren gemeinsamen Wurzeln im mittleren Westen der USA. Wir sind typische Kinder der Arbeiterklasse, denen ist der Pessimismus in die Wiege gelegt. Aber unsere Position als erfolgreiche Künstler, die von ihrer Musik leben können erlaubt es, mit allem etwas zufriedener zu sein. Wir versuchen hinter jeden Schicksal einen Sinn zu erkennen. Wir sind heute optimistischer als früher. Aber über die dunklen Seiten des Lebens zu schreiben ist eben immernoch am interessantesten.

Du hast 2005 geheiratet. Spielt da jetzt ein anderer Derek in der Band?

Ja, aber nicht wegen der Heirat. Dan zum Beispiel ist letztes Jahr Vater geworden, das hat sein Leben fundamental verändert. Die Prioritäten sind inzwischen ganz andere. Familie zu haben verändert uns alle. Wir sehen Dinge aus ganz anderen Perspektiven.

Stimmt es, dass du an Halloween geheiratet hast?
Ja. Und was die ganze Hochzeit noch viel merkwürdiger erscheinen lässt ist die Tatsache, dass wir an Halloween auf den Bahamas geheiratet haben. Am Strand. Und es hat wie aus Eimer geschüttet. Das war weder die traditionelle Strandhochzeit noch die typische Gruftihochzeit an Halloween.

Bist du noch Mitglied der "Church of Satan"?
Seit den Aufnahmen zu "Good Mourning" sind Matt und ich Mitglied der "Church of Satan". Das hat Matt und mich schon immer fasziniert und war auch der spingende Punkt warum ich Teil der Band sein wollte. Es war ein gemeinsames Interesse, auf das wir uns sofort einigen konnten. Wir sind beide mit den Schriften von Anton Szandor LaVey aufgewachsen. Aber es ist nie mehr als eine bloße Mitgliedschaft gewesen. Eine kleine Karte im Geldbeutel, mehr ist das nicht.

Wenn euer neues Album "Agony & Irony" ein Film wäre, wär hätte Regie geführt?
Ich sehe sehr viele Comedy-Elemente im Album, was viele immer nicht verstehen können. Unser Bild in der Öffentlichkeit ist das einer ernsthaften Band. Dabei sind wir sehr unterhaltsame, humorvolle Menschen. Und um deine Frage zu beantworten: "Agony & Irony" ist ein Tim Burton Film. Ein ziemlich bizarrer noch dazu...

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


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