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dEUS Interview

Megalomaniac


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dEUS ist immernoch eine dieser europäischen Band, deren Ruf ihnen vorauseilt. "The Ideal Crash" war ein Monument, ein entrücktes, großes Indie-Rock-Album am Ende des letzten Jahrtausends. Viele Geschichten, viel Verklärung auch, umgibt dieses Album und diese Band. Fakt ist: nach vielen Jahren der Pause, nach dem eher verhaltenen "Pocket Revolution" und nach unzähligen Bandwechseln befindet sich die einzige Konstante, Tom Barman, heute in einer komfortablen Position wieder. Denn "Vantage Point", der neue Monolit der Belgier, wurde zum ersten mal überhaupt mit den gleichen Bandmitgliedern eingespielt. Barman, dem einige Exzessivität nachgesagt wird, muss also etwas verändert haben. Vielleicht sich selbst, vielleicht andere. Fakt jedenfalls ist: "Vantage Point" ist wieder ein ganz großes Album geworden. Die Aura von dEUS zerstört es nicht, im Gegenteil. Es nährt sie. Trotz dieser ganzen Eskapaden in der Vergangenheit...

Seit ihr zu gemütlich für das Musikbusiness? Bei euch weiß man nie, was man bekommt, ihr scheint euch aus Erwartungen von Fans und Labelbetreibern nicht viel zu machen.
Wir sind wohl keine typische Band, das stimmt. Vor "Pocket Revolution" haben wir Jahre gebraucht, um wieder eine Band zu werden. "Vantage Point" ist das erste Album mit gleichbleibender Besetzung und das ist wirklich ein Segen. Wir sind wahrscheinlich ein wenig zu langsam für das Musikgeschäft. Aber das passiert sicher nicht freiwillig. Liegt wahrscheinlich daran, dass wir aus Belgien sind. (lacht)

Jedes dEUS Album scheint immer ein kleines Comeback-Album zu sein. Siehst du das auch so?
Wooooo. Das sehen Musikjournalisten vielleicht so. Nach nur drei Jahren von einem Comeback-Album zu sprechen, das sagt viel aus über die Zeit in der wir leben. "Pocket Revolution" war vielleicht ein Comeback, aber wir haben uns ja auch nicht die Ärsche abgesessen und darauf gewartet, dass etwas passiert. Ich war jedenfalls in der Zwischenzeit gut beschäftigt. FÜr mich erzählen die dEUS-Alben aneinandergereiht eine Geschichte, ich denke also nicht in solchen Begrifflichkeiten.

Siehst du dEUS eher als eine Art Ensemble? Ein Projekt, das aus Fragmenten besteht?
Nein, eigentlich nicht. Oder? Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich dEUS sehen soll. Die Band, die Musik, das sind alles Momentaufnahmen. Aber es gab immer eine große Vision, egal wer und wieviele gerade in der Band waren. Und das ist alles ein Teil meines Lebens, und ich hoffe sehr, dass dEUS noch sehr lange bestehen werden.

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Gibt es einen Kern, etwas, das dEUS schon immer ausgemacht hat und immer bestehen wird?
Der Eklektizismus! Als Belgier hat man musikalisch alle Möglichkeiten, weil es keine musikalische Tradition besitzt. Und das haben wir uns mit der Band zu Herzen genommen: von überall her können wir uns Stile und Genre ausleihen und zu etwas neuem zusammensetzen.

Du hast mal in einem Interview gesagt, dass du Angst davor hast, dass die Menschen vergessen, wer dEUS wirklich sind. Musst du nach jedem Neustart öffentliche Aufmerksamkeit neu erzeugen?
Ha, definitiv nicht. Du beist mein 62. Interviewpartner für unser neues Album "Vantage Point". Ich kann also ohne falsche Bescheidenheit sagen, dass das Interesse an uns nachwievor sehr groß ist. Und die Tour ist mittlerweile fast ausverkauft. Das Glück ist uns also noch geblieben. Anscheinend gibt es da einen Engel, der über dEUS wacht. (lacht) Die Menschen interessieren sich für uns, und das lässt mir das Herz weich werden, jedesmal wenn ich daran denke. Außerdem haben uns die vielen Wechsel innerhalb der Band jung gehalten.

Wie wichtig ist eine stabile Fanbase für dEUS?
Sehr wichtig. Das merkt man an der bald beginnenden Tour: die Menschen sind immernoch an uns interessiert. Außerdem scheinen sich unsere Fans wieder zu verjüngen. In Deutschland spielen wir vor den typischen Endzwanzigern und Mittdreißigern. In Frankreich allerdings haben wir mitunter Teenager dabei. Ich mag das. Nur in Deutschland stagniert es. (lacht) Es gibt halt soviel, das man nicht kontrollieren kann: Radio, Fernsehen, Zeitschriften...

Hättest du gern Kontrolle?
Oh nein, dann wäre ich ja Lenny Kravitz. Nein, ich bin kein megalomanischer Bono-Verschnitt. Obwohl ich zugeben muss, dass mich es schon kratzt, ob wir viele Alben verkaufen, ob die Menschen zu unseren Konzerten kommen. Und wie messbar der Erfolg ist. Es muss immer eine Evolution stattfinden. Und ich glaube da geht bei dEUS noch eine ganze Menge.

Eure erste EP ist jetzt 15 Jahre alt. Feiert ihr Geburtstag?
Nein! Oh Nein! Aber wir überlegen gerade, "Worst Case Scenario" neu zu mastern. Es könnte einfach besser sein. Mixen würde ich es nicht nochmal, das wäre die Hölle. Die Fehler darauf haben ja schon ihren Sinn und ihre Gutes. Aber es könnte schon etwas "moderner" klingen, finde ich. Aber puh, 15 Jahre ist das her? Ich war unglaublich jung damals - und fühle mich heute noch so. Ein Journalist meinte vorhin, er sei überrascht, dass ich erst Mitte dreißig sei, weil er damals "Worst Case Scenario" so geliebt habe und selbst noch so jung war. Da musste ich lachen, weil ich doch selbst noch grün hinter den Ohren war, als das Album erschien. Es fühlt sich toll an, schon seit 15 Jahren Musik zu machen und trotzdem erst halb so alt wie Nick Cave zu sein!

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Hat sich im Vergleich zu früher etwas grundlegendes geändert?
Nein, wir machen immernoch genauso Musik. Wir nehmen ein Album auf, streiten bis aufs Mark und trennen uns dann. (lacht) Nein, lass mich mal überlegen, hat sich etwas geändert? Eigentlich nur die Menschen im Musikbusiness. Du wirst mich übrigens niemals etwas schlechtes über die Menschen dort erzählen hören. Der Grund, warum wir damals zu Islands gingen, war der, dass die Tom Waits, Tricky und My Bloody Valentine unter Vertrag hatten. Wer würde da nicht hingehen. Sicher, die haben mich beschissen, aber das ist mir egal. Vielleicht werde ich irgendwann mal nachrechnen, wieviel die mir eigentlich schulden. Aber wenn man mal länger drüber nachdenkt: die haben uns Geld dafür gegeben, dass wir ein Album aufnehmen! Was für ein Luxus ist das bitte? Nein, das Musikbusiness ist toll. Die lassen einen hier einfliegen, damit man Interviews gibt und alle paar Minuten kommt eine nette Promoterin vorbei und fragt mich, ob ich noch etwas Obstsalat haben will - das ist doch großartig! Ich gehöre nicht zu den Menschen, die der Musikindustrie auch noch in den Arsch treten. Das machen so viele Künstler heute. Jetzt, wo die Titanic sinkt, können wir ja noch ein bischen extra Gewicht drauflegen, damits schneller geht... Nein, das ist nichts für mich, ich bin ein dankbarer Mensch.

Steckt eigentlich eine große Idee hinter "Vantage Point"?
Oh ja. Der Grund, warum ich das Album "Vantage Point" genannt habe ist der, dass ich es in 35 Sekunden erklären kann. Bei "Pocket Revolution" hat mich das jedesmal fast nen Tag gekostet. Ein "Vantage Point", ein Blickwinkel, ist eine strategische Entscheidung, auf einen bestimmten Sachverhalt zu sehen. Belgien ist ein gutes Beispiel dafür: wir klauen Musik, aber wir setzen sie neu zusammen. Belgische Popkultur war immer ein bestimmter Blickwinkel auf all die unterschiedlichen ausländischem Musikstile. Ich sehe das heute als Stärke, als wirkliche Chance und als eine wunderbare Eigenschaft. Das bedeutet also "Vantage Point". Waren übrigens jetzt 42 Sekunden, also doch etwas länger. (lacht)

"Vantage Point" heisst auch euer neues Studio. Es ist das erste eigene Studio, oder?
Nein, das vierte. Die anderen drei haben wir niedegebrannt - ach was, natürlich ist es unser erstes Studio. Es ist ein einziger, großer Traum. Wir haben sogar eine Kaffeemaschine und einen Kühlschrank. Das hatten wir früher nie, wir mussten immer zur Tankstelle, mitten in der Nacht. Wir konnten nie richtig üben, weil immer gerade jemand Bier holen war. Das ist jetzt anders. Die Zukunft des Rock'n'Roll: ein Kühlschrank und eine Kaffeemaschine.

Hat so ein Gebäude, so ein Studio einen gewissen Vibe? Einen Mythos, der das Album mitbeeinflusst?
Mit Sicherheit. Jedes Haus hat seinen Geist. Wir warten immer darauf, dass er mit uns spricht. Das Gebäude des neuen Studios ist uralt. Es hat seine eigene Geschichte.

Das Cover euer neuen Platte ist eindrucksvoll. Was hast du gedacht, als du es zum ersten mal gesehen hast?
Ich hatte Angst. Ursprünglich hatte Michaël Borreman die Idee, sein eigenes Gesicht aufs Cover zu nehmen. Das war sein voller Ernst. Er meinte auch zu mir, ich solle das Album "Michaël Borreman" nennen. Was für ein kranker Kopf muss man eigentlich sein, dass man auf eine solche selbstverliebte Idee kommt? Als ich das richtige Cover dann das erste mal sah, dachte ich: hm, ein wenig zu dunkel für meinen Geschmack. Aber als der Bandname und der Albumtitel darauf zu sehen waren, haben wir es gemacht. Es hat einen bestimmten Vibe. Und wenn man an so esoterischen Schwachsinn glaubt, kann man auch noch einiges hinein interpretieren. Es gibt aber keine große Philosophie dahinter.

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Je länger man das Bild ansieht, desto faszinierender ist es. Das gleiche kann man über dEUS sagen. Umgibt die Band auch ein Geheimnis?
Oh nein. Ich gebe seit drei Tagen ununterbrochen Interviews. Ich habe den mystischen Schleier schon längst gelüftet, vor Jahren schon. Ich kann meinen Mund einfach nie halten.

dEUS haben sich immer verändert. Was ist denn der große musikalische Unterschied zu Pocket Revolution?
Ich spiele weniger! Ich habe kaum noch einen Ton gespielt. Eigentlich war ich fast nie im Studio. Ich mache nur noch die Interviews, hahahaha. Nein, ich spiele weniger, ich höre mehr zu. Klaas Janzoons, unser Keyboarder und Violinist, der kann keinen gerade Ton spielen, nichtmal wenn du ihn zwingst. Aber er erzeugt Töne, die du in deinem Leben noch nie gehört hast. Das ist übrigens mein Tipp an jede junge Band: ihr solltet immer einen dabei haben, der absolut keine Ahnung von Musik hat. Klaas kennt nur fünf Bands, und drei davon sind gruselig. Ich meine das aber nicht negativ. Er hat etwas ganz eigenes, das ist mir jetzt erst richtig aufgefallen. Das kommt dabei heraus, wenn man sich mal hinsetzt und seinen Bandmitgliedern zuhört...

Ihr habt prominente Gäste auf dem Album: Karin Dreijer Andersson von The Knife und Elbow’s Guy Garvey...
...neben mir!

Wie bitte?
Du meinst: prominente Gäste neben Tom Barman!

Richtig!
Also um ehrlich zu sein: die haben mich angebettelt, also habe ich ihnen mal die Möglichkeit gegeben, Teil einer großartigen Band zu sein. (lacht). Guy Garvey hat mich aber wirklich angebettelt. Er wollte unbedingt Tambourin spielen auf einem unserer Alben. Ich habe ihn gefragt: "Machst du Witze? Du bist ein großartiger Sänger. Also singst du gefällig." Das hat er dann getan - genau einen Tag bevor das Album gepresst wurde. Es war ein Freitag, als er mich anrief. Er meinte: "Tom, ich singe das am Montag ein!". Ich habe ihn angeschrien: "Guy, ich bin gerade in New York und mastere das Album. Montag ist zu spät!" Dann hat er in letzter Sekunde noch ein Studio in Manchester gemietet und seinen Teil dazu beigetragen. Ich liebe diese Passion, die Leidenschaft mit der er singt und an Musik herangeht. Er hat aus dem Song etwas gemacht, das ich mit meiner eigenen Stimme nie hinbekommen hätte!

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: offizielle Pressefreigaben.


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