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Barra Head Interview

Neues Selbstbewusstsein

 

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"Irgendwann hat man das Gefühl sich nicht mehr beweisen zu müssen."

„In welchem Bus wollen wir denn das Interview machen?“, fragt Sänger und Gitarrist Mikkel Jes Hansen seine beiden Mitstreiter von Barra Head. Welcher Tourbus? Zwei Busse für drei Mann? Ist bei den Dänen der Größenwahn ausgebrochen? Hansen gibt Entwarnung. Er ist mit seiner Familie unterwegs, denn der Sohn ist erst sechs Monate alt und das verträgt sich natürlich nicht mit dem gewöhnlichen Rhythmus einer Rockband auf der Straße. Bei den zwei Tourbussen handelt es sich natürlich auch nicht um luxseriöse Nightliner, sondern um einen gewöhnlichen Sprinter und einen schlichten Campingwagen. Wir nehmen in Letzterem Platz, weil der eine Heizung hat.

Es ist Anfang März, ziemlich kalt und Barra Head sind mal wieder auf Deutschlandtour. Kürzlich haben sie ihr drittes Album „Go Get Beat Up“ veröffentlicht, das sich ziemlich von den Vorgängern unterscheidet. Die Posthardcore-Wurzeln sind zwar nach wie vor präsent, doch die ehemals sehr verschachtelten Parts sind einer gesunden Portion Indierock gewichen, der sich deutlich direkter aufdrängt. Wie es dazu kam will ich natürlich von den drei sympathischen Herren wissen und wähle dazu den Platz neben dem Kindersitz, Hansen setzt sich auf seinen Stammplatz hinterm Steuer, Bassist Arvid Gregersen nimmt den Beifahrersitz und Schlagzeuger Jakob Aron Hvitnov bleibt einfach im Türrahmen stehen. Sieht unbequem aus, stört ihn aber offensichtlich nicht. Na dann mal los.

Jede Band behauptet ja immer, dass ihr neuestes Album das Beste ist. In eurem Fall empfinde ich das allerdings auch wirklich so, doch was sind denn eure Argumente dafür?
Gregersen:
Ich glaube wir haben einfach bessere Songs geschrieben. Wir haben den unnötigen Kram weggelassen und sind direkter geworden. Das fühlt sich auch natürlicher an. Als wir vor der Tour einen alten Song geprobt haben, gab es einen Moment in dem wir uns angeschaut haben und uns fragten: „Wer hat denn bitte diesen Song geschrieben?“ (lacht)
Hvitnov: Ich glaube man kann die Alben nicht miteinander vergleichen. Ein Album ist halt immer der Status Quo an einem bestimmten Punkt seiner Entwicklung.
Gregersen: Es geht nicht darum, welches Album besser oder schlechter ist, sondern einfach darum welches wir am meisten mögen und das ist halt das aktuelle.

Die Songs klingen tatsächlich viel direkter und kompakter, war das ein bewusster Schritt oder ein konkretes Ziel als ihr mit dem Songwriting begonnen habt?
Hansen:
Wir haben nicht direkt darüber gesprochen, das hat sich einfach so entwickelt, weil wir alle versucht haben diesmal nicht um zu viele Ecken zu denken. Das hat auch etwas mit Selbstbewusstsein zu tun. Irgendwann hat man das Gefühl sich nicht mehr beweisen zu müssen und traut sich dann auch mal schlichtere Stücke zu.

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Ihr habt euch diesmal bei der Produktion von relativ bekannten Leuten helfen lassen. Tim O’Heir (Dinosaur Jr., Sebadoh) hat mit euch das Album aufgenommen, J. Robbins (Jawbox, Against Me!) hat gemischt und Alan Douches (LCD Soundsystem, Converge, Low) war für das Mastering zuständig. In wiefern konnten die euch diese Leute voranbringen?
Hansen:
Nicht so sehr, wie wir uns eigentlich erwartet hatten. Ich hoffe das klingt nicht zu arrogant, wenn ich sage, dass wir das Meiste dazu selbst beigetragen haben. Natürlich war es interessant mit so erfahrenen Leuten zusammen zu arbeiten, aber das bedeutet nicht, dass wir uns dann zurück gelehnt haben und alles abgegeben haben.
Hvitnov: Ich denke Jay hat auf jeden Fall einen tollen Job beim Mischen gemacht, letztendlich kam einfach alles zusammen: Wir haben super zusammen gespielt und dann hat jeder seinen Beitrag dazu geleistet.
Gregersen: Es war für uns auch sehr schwer überhaupt irgendwas aus der Hand zu geben, nachdem wir zuvor fast immer alles allein gemacht haben. Da musste man sich schon zwingen, einfach mal die anderen machen zu lassen. Ich glaube man muss so einen Prozess öfter durchlaufen, um zu lernen, wie man von anderen Leuten profitiert. Wichtig war aber, dass es sich um Leute gehandelt hat, denen wir vertrauen konnten.

Welche Konsequenz zieht ihr daraus: Produziert ihr das nächste Album wieder alleine?
Hansen:
Wissen wir noch nicht. Vielleicht suchen wir uns wieder einen Produzenten, arbeiten aber auf eine andere Art und Weise.

Euer letztes Album ist in Deutschland auf Sinnbus Records erschienen, diesmal erscheint es ausschließlich über euer eigenes Label Play/Rec, woran liegt das?
Hansen:
Unser letztes Album erschien in Europa auf vier verschiedenen Labels und es war irgendwann viel zu stressig dauernd alles zu koordinieren. Wir haben es auch als Herausforderung gesehen es diesmal komplett alleine zu machen.
Gregersen: Es gab da keine inhaltlichen Probleme, es ist eine administrative Geschichte. Da wusste man manchmal einfach nicht, welches Label gerade was macht und man fragte sich untereinander: „Wann hast du zum letzten Mal von ihnen gehört?“ Sinnbus war aber das Label, mit dem wir sehr zufrieden waren und mit denen wir am ehesten wieder zusammen gearbeitet hätten.
Hansen: Das sind super Typen und wir suchen nach wie vor nach Wegen, wie wir zusammen arbeiten können. Wir planen zum Beispiel unsere Sachen gemeinsam in Japan zu veröffentlichen.

Euer neues Album ist in Dänemark auf Platz 4 der Alternativcharts gewesen, hat euch das überrascht oder war das abzusehen?
Hansen:
Nein, auf keinen Fall. Das war eine schöne Überraschung.
Hvitnov: Wir sitzen nämlich gerade in Dänemark ziemlich zwischen den Stühlen. Wir sind nicht genug „Indie“ für die Indie-Kids und nicht hart genug für die Hardcore-Fraktion. Wir haben deshalb zuvor nie besonders viel Beachtung bekommen.

Lässt euch das doch noch an den Geschmack der breiten Masse glauben?
Hvitnov:
Eigentlich hat uns das mehr erschreckt, denn das bedeutet, dass uns jetzt auch Leute mit schlechten Musikgeschmack gut finden (alle lachen).

Ihr wurdet bei diesem Album von der Danish Musicians Union unterstützt, ist das vergleichbar mit der Unterstützung von Künstlern in Schweden oder Kanada?
Hansen:
Ja indirekt ist das auch eine staatliche Sache. Da werden Projekte unterstützt bei denen klar wird, dass das Geld sinnvoll angelegt ist. Da gibt es zum Beispiel auch finanzielle Hilfe, wenn man auf Tour geht. Die aktuelle Regierung ist aber gerade dabei diese Unterstützungen radikal zu kürzen.

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"Ich habe das Gefühl, dass wir noch zehn weitere gute Platten machen können."

Womit wir schon beim nächsten Thema wären. Eure Texten wirken etwas abstrakt, aber auch sehr politisch. Ist euch das generell wichtig Kunst und Politik zu verbinden oder ist das einfach etwas Persönliches?
Hansen:
Meiner Meinung nach ist alle Kunst politisch, weil man immer Leute zum Beispiel anregt Dinge von einem bestimmten Punkt aus zu betrachten.
Hvitnov: Wenn das Leben an sich politisch ist, ist es auch die Kunst. Natürlich stellen wir uns nicht hin und betonen: „We are a political band and we would like you to know the following…“, aber in dem Moment, in dem man existiert, muss man auch irgendwie politisch denken und handeln.
Gregersen: Es geht einfach darum zu beobachten, was so um einen herum passiert und alles zu hinterfragen.

Bezieht sich auch eurer Artwork auf einen sozialen oder gesellschaftlichen Missstand?
Hvitnov:
Das ist ein Häuserblock in Sarajevo, den wir auf Tour fotografiert haben. Wenn man genau hinsieht, kann man Einschusslöcher erkennen.
Gregersen: Überhaupt hat uns die Reise durch Ex-Jugoslawien sehr beeinflusst bei diesem Album. Man hat im Westen ja mitbekommen, was damals während des Krieges alles passiert ist, aber erst vor Ort hat man die Wirkung dieser Ereignisse gespürt und das hat uns sehr berührt.

Natürlich müssen wir bei diesem Themenkomplex auch über euren Song „Common Ground“ sprechen. Es geht da ja um das Jugendhaus Ungdomshuset in Kopenhagen, das vor einem Jahr von der Stadt abgerissen wurde und weswegen es im Vorfeld immer wieder zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Autonomen und der Polizei gekommen ist. Könnt ihr den Song etwas genauer beschreiben?
Hansen:
Der Song geht genau über die Tage der Ausschreitungen. Wir waren große Unterstützer des Jugendhauses und all der kulturellen Sachen, die dort stattgefunden haben, aber wir haben die Ausschreitungen nicht unterstützt. Man stand da und hat zugesehen, wie quasi beide Seiten ihre Gesichter bedeckt haben. Die einen mit Helmen, die anderen mit Masken und es war einfach nur traurig.
Hvitnov: Man hatte das Gefühl, dass beide Seiten nur durch den anderen existieren können. So verstehe ich den Song auch. Das ganze ist ein Treffpunkt, den wir beschreiben.

Es ist also mehr eine Beschreibung ohne eine Wertung.
Hvitnov:
Ja so ist das glaub ich bei den meisten unserer Songs.
Gregersen: Wir haben alle in der Umgebung des Jugendhauses gelebt und den Konflikt über die Jahre aufkommen sehen und dann standen wir plötzlich mitten drin. Eine Situation, die man nicht kontrollieren kann und die man auf der einen Seite versteht, sich auf der anderen Seite aber fragt: Wie konnte es soweit kommen?
Hansen: Natürlich hast du aber schon das Gefühl, dass dir etwas weggenommen wird, wogegen du dich fast nicht wehren kannst.

Der Titel „Common Ground“ ist aber schon eine klare Aussage. Die Räumung dieses Zentrums ist ja letztendlich nur ein Beispiel für eine generelle Entwicklung, die gerade stattfindet, denn es werden scheinbar überall ehemals öffentliche Freiräume gestrichen.
Hvitnov:
Das liegt daran, dass sich Menschen grundsätzlich kaum umeinander kümmern.

Interessant ist, dass das Stück euer bisher eingängigster Song ist, gleichzeitig aber so harte Lyrics hat. War das ein bewusster Gegensatz?
Gregersen:
Ja, wir wollten das möglichst viele Menschen die Botschaft des Songs mitbekommen. Nein, nur ein Scherz, ich glaube dieser Gegensatz war nicht geplant.
Hansen: Ich mag Überraschungen. Ein langsamer Song muss nicht unbedingt traurige Themen behandeln und umgekehrt muss ein tanzbarer Song keine fröhlichen Inhalte haben.
Hvitnov: Der Witz ist ja, dass am Anfang des Songs die Zeile „We hit the city now“ steht, was wie ein Partysong klingt. But actually it is not (lacht zynisch).

Wie sehen eure Pläne aus, denkt ihr schon über das nächste Album nach?
Gregersen:
Wir wollen auf jeden Fall das nächste schneller fertig stellen und veröffentlichen.
Hvitnov: Ich spüre da gerade ebenfalls einen großen Hunger. Ich denke unser neues Album ist wirklich gut und ich habe das Gefühl, dass wir noch zehn weitere gute Platten machen können.

Interview und Text: Sebastian Gloser
Fotos: Pressefreigaben


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