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Katzenstreik Interview

„Was passiert hier gerade, ist das richtig so?“

 

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Vielleicht liebe ich an Katzenstreik gerade ihre ständigen, kleinen Kurskorrekturen. Ihre, ähem, Weiterentwicklung - die 2006 nochmal ein gutes Stück selbstbewusster ausgefallen ist. Nur eines bleibt beim Alten: Die Band, die mittlerweile über Göttingen, Berlin, Bristol und Erfurt verteilt lebt, hat einiges zu sagen. Auf Platte, auf Bühne und überhaupt. Über ihre Musik, über andere Musik und vor allem über Inhalte.
Ärgerlich genug also, dass das lange herbeigesehnte Katzenstreik-Konzert bzw. Interview im Nürnberger K4 genau in meinen Urlaub fiel. Doch weil sich das aktuelle Album „4“ gar nicht mehr aus der Anlage verabschieden will, musste das Gespräch eben nachgeholt werden. Sänger Bolle erklärte sich bereit und gab sich redlich Mühe, in diesem Interview auch für den Rest der Band zu sprechen.


Im Magazin Intro seid ihr mit euerer aktuellen Platte zum „Spektakel“ gekrönt worden und auch sonst kommt „4“ überall gut an. Befinden sich Katzenstreik endlich im großen Aufwärts-Sog?
Ich persönlich orientiere mich überhaupt nicht an einem „ Aufwärtssog“. Weißt du, einen Monat später verreißen dich alle. Wenn man sich davon abhängig macht wird man etwas komisch. Wir freuen uns natürlich sehr über gute Resonanz. Ehrlich. Ich will natürlich auch, dass unsere Musik und Message ankommt, Menschen berührt. Aber dann auch wirklich. Die Medien sind mir da nicht so wichtig. Eher die Menschen. Es ist schön vor 150 Leuten zu spielen. Aber wenn man sein Ding macht, spielt man auch vor 10. Wenn wir wirklich durchstarten wollten, müssten wir viel mehr Zeit in die Band investieren und das tun wir definitiv nicht; auch weil wir in vier Städten wohnen. Aber wir kommen aus dem Punk, der autonomen Szene, DIY - und das sind Dinge, die mir vielleicht auch heute in einer anderen Form wichtiger sind als bekannt zu werden. Ohne Inhalt und Herz und die Hingabe ist es nur noch eine Hülle. Vielleicht wird diese Hülle gehypt, aber das bedeutet nichts, bewegt nichts. Und ich möchte über die Musik etwas bewegen, etwas vermitteln. Das ist der Spirit, der Motor. Wir konzentrieren uns einfach auf unser Ding und das war’s. Was sollen wir auch sonst tun? Aber wie gesagt, eine schöne Kritik ist etwas worüber ich mich sehr freue. Und eine böse Kritik tut weh oder ist lustig.

In diesem Zusammenhang muss ich natürlich auch nach den Gründen für den Labelwechsel fragen. Für mich wart ihr nämlich irgendwie untrennbar mit Freecore Records aus euerer Heimat Göttingen verbunden.
Wir stehen mit allen Labels, mit denen wir etwas gemacht haben, in freundschaftlichem Kontakt und das ist uns auch wichtig. Label hört sich immer so abstrakt an. Das sind Leute wie wir; Freaks, Freunde, denen es halt viel gibt, Platten herauszubringen etc. Mit Andi von Unter’m Durchschnitt sind wir sehr zufrieden. Es ist auch wegen den vier Städten einfacher mit einem Label zu arbeiten. Dann gibt es nicht soviel Kuddelmuddel. Aber bei den nächsten Aufnahmen machen wir das vielleicht wieder anders. Wir sind gerne unabhängig, probieren neue Sachen aus. Tobi und Andi haben auch einen sehr guten Sampler herausgebracht: „I cant relax in Deutschland“, bei dem es um die Thematik nationalistischer Tendenzen in dieser „Neuen-Deutschen-Pop-wir-wollen-eine-deutsch-sing-Quote“-Musik.

Bei uns und auch bei anderen Magazinen merkt man eine gewisse Vorsicht, eueren Sound zu kategorisieren. Sicher eine komfortable Situation, aber wie würdet ihr euere eigene Musik definieren?
I
ch glaube für mich gibt es keinen Grund es zu kategorisieren. Aber es muss mich berühren, fresh sein, mich flashen, wie die HipHopper sagen. Und ich weiß, was sie damit meinen. Es ist nichts neues, klingt aber irgendwie doch neu. Eine Band wie AM Thawn erfindet dauernd ihren Sound neu. So ist das Leben, und wenn die Musik so ist… super. Das hört man sofort. Wenn es die Notwendigkeit nach Kategorien gibt, sage ich immer Emopunk. Das sage ich schon seit 10 Jahren und es ist für mich so geblieben. Aber damit meine ich auch mehr eine inhaltliche Einstellung, die man in der Musik hören kann: Jemand will sich weiterentwickeln, hinterfragt sich, stellt Dinge in Frage, geht neue Wege. Mit der Zeit entwickelt sich irgendwie ein eigener Sound. Ich mache manchmal Lieder und denke: „Wow, so was haben wir noch nicht gemacht“. Später merke ich, es klingt doch wieder nach uns. Und manchmal spielt man und merkt, das ist Neuland. Na ja, also Emopunk. Schwierige Frage. Was seid ihr für ein Magazin? Wie kategorisiert ihr euch? Wenn man ein Lied macht oder spielt, ist das nur dieser Moment. Nichts anderes. In intensiver Form, da passiert immer etwas Neues und dafür gibt es letztendlich keine Kategorien. Nichts. Also Emopunk!

Mit „Antipatsong“, dem „Hassmaskedisco“ Remix und insbesondere „Reißverschluss“ wagt ihr Euch auf gänzlich neues Terrain. Wirkliches Interesse oder einfach eine spaßige Angelegenheit zwischendurch?
Es ist beides. Ich habe dabei ein bisschen an die Beastie Boys gedacht, die Punk, HipHop, Sessions, Funk und Country auf ihre Platten machen. Ich finde das sehr erfrischend und mutig. Das ist auch eine gewisse Freiheit. Wir haben Bock dazu? O.k. wir spielen das! Es sollte keinen Grund geben etwas nicht zu spielen, wenn man es wirklich will. Und Humor ist auch wichtig. Tobi macht aber auch als „The Popmonster“ Elektrotracks und Remixes. Er ist einfach  ein sehr begabter, sauguter Musiker; also das ist ernst. Ich mache auch HipHop (Bazmati MC) mit Jörg unserem Gitarristen zusammen. Das ist auch ernst. Rappen ist für mich befreiend, wie rocken. Ich liebe conscious hiphop. Yo!

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Ein absolutes Highlight ist natürlich das „4“-beiliegende Poesiealbum. Kannst Du ein paar Worte über dessen Entstehungsgeschichte sagen?
Das war die Idee von Tobi, unserem Drummer, Konzerte-Booker, Musikgenie, Ernährungsspezialisten. Es gab das Bedürfnis, Freunde und Bekannte zu Wort kommen zu lassen. Damit man auch das Leben und die Arbeit spürt, die in der ganzen Sache steckt. Es ist viel Arbeit und Organisation, man braucht viel Geduld zwischendurch, wir machen ja viel selber. Ich finde es sehr schön. Ich hoffe, es kommt nicht so herüber, dass wir uns „abkulten“ wollen, sondern zeigt: Diese Idee, dieser ursprüngliche Aufschrei mit dem man irgendwann mal startet - wir teilen ihn mit vielen Menschen. Wir sind durch die Musik auch mit vielen Menschen verbunden. Hagen und Tobi haben so zum Beispiel Wohnzusammenhänge gefunden und manchmal entstehen tiefe Freundschaften. Etwas das erfüllender ist als ein tolles Review oder ein Promofoto an der richtigen Stelle.

Bei unserem Interview zum Album „Emowürschen“ habt ihr auf die Frage, was ihr Euch für die Band wünscht, geantwortet: „Das wir alle Platten verkaufen, unsere Schulden begleichen können und das über zum Beispiel Konzerte sogar ein bisschen Geld übrig bleibt“. Ist der Wunsch in Erfüllung gegangen?
Nein! Haha! Alles so wie immer. Immer noch zu wenig Geld, plus minus null. Na ja, es ist schon etwas besser geworden, eine langsame Aufwärtsbewegung… Der Aufwärtssog halt, du weißt schon. Aber wir sind froh, wenn wir nicht draufzahlen. Ist das unser Schicksal? Ich weiß es nicht.

Könnt ihr denn neben der Band noch regulären Jobs nachgehen und wenn ja, was sind das für welche?
Bei dieser Frage denke ich sofort, du erwartest, es ist anders herum. Warte mal, jetzt muss ich überlegen, ob ich das alles zusammenkriege. Also Hagen macht eine Promofirma („Sudden Succes“) und arbeitet nebenbei als Landschaftsgärtner. Jörg macht eine Weiterbildung in der Richtung Computerdesign. Tobi, ey… was macht Tobi eigentlich? Nein, Tobi gibt Musikunterricht und macht diverse Jobs. Und ich arbeite in einem Lager einer Naturkostfirma. Du bist aber neugierig.

Vier Alben in über fünf Jahren Katzenstreik. Was ist die entscheidende Sache, die ihr während der Zeit als Band gelernt habt?
Oh! Man kann nichts wirklich vorhersehen, es kommt immer anders. Musikalisch wachsen wir noch zusammen. Eine Band ist wie eine Familie, eine Beziehung. Und es gibt da auch viele Auseinandersetzungen und Konfrontationen. Mit anderen, mit dir selbst. Musik kann Leben retten und umkrempeln. Was ich noch loswerden möchte: Es gibt eine Frage. Und diese Frage lautet: „Was passiert hier gerade, ist das richtig so?“. Die Musik stellt diese Frage, das ist für mich die tiefste Form von Politik, von Veränderung. Aber nur, wenn sie auch praktische Auswirkungen in unseren Leben hat. Diese Frage wird ausgedrückt durch die Musik und die Musik löst Spannungen auf, bläst Sorgen weg. Aber hinter allem steht diese Frage, das ist der Antrieb. Also was kann ich tun?


Zum Abschluss bitte ich noch um eine kleine Auflistung: Kannst Du jeweils drei deutsch singende Bands nennen, die Du sehr schätzt bzw. eben nicht?
Deutsch singende Bands? Höre ich kaum, schwierig. Ich probier’s. Jan Delay, Absolute Beginner, Torch. Haha, reingelegt, was. Das erste Muff Potter Demo finde ich super. Jet Black singen auch deutsch, glaub ich. Schlechte Bands sag ich nicht auf, Dissen find ich doof! AM Thawn sind Gott, die Peters, Captain Planet, Turbostaat, El Mariachi…


Interview: Michael Streitberger
Fotos: katzenstreik.org (Pressefreigaben)


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