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The Hold Steady Interview

Jack Kerouac, Drugs and Rock’n’Roll

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Links: Franz Nicolay. Rechts: Craig Finn.
In der Mitte: Glitzer

„To hold steady“ heißt soviel wie „stabil bleiben” - einen besseren Namen hätte sich die Band nicht ausdenken können. Früher, als Craig Finn (Gesang, Gitarre) und Tad Kubler (Gitarre) noch in Minneapolis lebten, spielten sie in ihrer Band Lifter Puller mit Postpunk gegen die Provinz an. Irgendwann wurde ihnen beides zu langweilig: der Postpunk und Minnesota. Sie zogen nach New York und gründeten nach zwei Jahren The Hold Steady. Auf einer Postkarte an die Familien in Minnesota könnte folgender Text stehen: Wir sind jetzt auch eine von diesen coolen Rockbands, denen enge Jeans, Chucks und gestreifte T-Shirts mindestens genauso wichtig sind wie die Wiederentdeckung der Gitarre. Und richtig: Craig und Tad entdeckten die Rockmusik wieder. Doch cool sind sie nicht. Beide tragen Brillen mit dicken Gläsern und unspektakuläre Klamotten, und sie strahlen eine unglaubliche Gelassenheit aus. Kein Wunder: beide haben die 30 bereits überschritten und können es sich leisten.

Die Texte auf dem neuen Album „Boys And Girls In America“ handeln eigentlich alle von Teenagern, die nur zwei Ziele im Leben haben: Drogen und Liebe. Stellt man sich einen gealterten Jack Kerouac mit einem Drink in der Hand vor, der von einer dunklen Ecke aus eine Teenie-Party beobachtet, so kommt man der Attitüde von The Hold Steady schon ziemlich nah. Das besondere an Craig und seiner Band jedoch ist, dass sie trotz fortgeschrittenen Alters immer noch zu den Gästen der Party gehören.

Craig und Tad warten in einem Hamburger Hotelzimmer. In Holzfällerhemd und Jeans sitzen sie auf dem Sofa, bestellen sich eine Flasche Rotwein und lächeln freundlich. Es ist schwer, das alles unter einen Hut zu kriegen: Alkohol am Nachmittag, aber kein Whiskey. Rockmusik ohne einen Funken Aggression. Rockmusiker, die über Liebe und Poesie sprechen. Vielleicht ist es diese Ambivalenz, die Gitarrensoli wieder gesellschaftsfähig macht. Auf die kürzlich im Rolling Stone gestellte Frage „How can any band be that good?” lässt sich in der Tat keine einfache Antwort finden, und auch der Kopf der Band zuckt ratlos mit den Schultern.

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Galen Polivka und Tad Kubler

Der erste Song eurer neuen Platte beginnt mit den Worten „There are nights when I think that Sal Paradise was right: boys and girls in America have such a sad time together.“ Warum verbringen Jungs und Mädchen in Amerika so eine traurige Zeit miteinander?
Craig: Das Zitat geht eigentlich noch weiter mit „sucking off each other at the demonstrations making sure their makeup’s straight.” Damit spiele ich darauf an, dass es immer nur um das Eine geht: man lernt sich kennen und schon landet man im Bett. Bei jungen Menschen läuft das ja meistens so. Und das finde ich traurig.

In euren Liedern kommen viele literarische Zitate vor. Lest ihr viel?
Tad: Ich habe verschiedene Phasen, mal mehr, mal weniger.
Craig: Ich lese schon immer. Ich hole mir für meine Texte oft Inspiration aus der Literatur. Ich bin ein Textmensch – Lieder müssen gute Lyrics haben. Wenn ich zum Einschlafen Musik höre, dann muss sie ohne Gesang sein, sonst höre ich zu und kann nicht schlafen.

Obiges Zitat stammt aus Jack Kerouacs Buch „On The Road“. Ist die Beat Generation ein Thema in euren Stücken? Ihr singt auch viel von drogenkonsumierenden Jugendlichen.
Craig: Nein, nicht speziell die Beat Generation. Junge Menschen haben ja nicht nur damals Alkohol und Drogen konsumiert. Das tun sie immer noch.
Tad: In Amerika darf man ja erst mit 21 offiziell Alkohol kaufen. Dann müssen die Leute alles nachholen, was sie vorher heimlich getan haben. Das war bei uns auch so: wir haben 21 Jahre lang gewartet, und dann war es endlich soweit.

(Das Telefon klingelt, und Tad muss leider zu einem Telefoninterview)

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Craig Finn, again

Eure Texte wirken manchmal wie eine Studie über heutige Indie-Kids. Fühlt Ihr euch wie erwachsene Beobachter?
Craig: Ja, irgendwie schon. Wenn man über 30 ist, sieht man die Dinge anders als mit 17. Damals gab es diese eine große Party am Wochenende, auf die man die ganze Woche hingefiebert hat. Und wehe man durfte dann nicht hin. Das war ein halber Weltuntergang.

Eure Musik hat sich verändert. In deiner früheren Band Lifter Puller habt ihr Postpunk gespielt, mit The Hold Steady seid ihr zum klassischen Rock zurückgekehrt. Seid ihr von gehypten Klonen wie den Arctic Monkeys, Kaiser Chiefs oder Jet gelangweilt?
Craig: Ich mag die Arctic Monkeys, die singen auch über Partys. Aber ja, stimmt schon. Sie klingen wirklich alle sehr gleich, und der Style ist auch sehr wichtig. Ich habe früher so Sachen wie Bruce Springsteen gehört, aber das durfte man niemandem erzählen. Und jetzt, wo wir wieder Rockmusik machen, finden das alle auf einmal großartig. Dabei ist es eigentlich eine Rückkehr. Seltsam.

Warum haben sich Lifter Puller aufgelöst?
Craig: Wir waren alle ein bisschen gelangweilt. Kurz danach bin ich nach New York gezogen. Dort wollte ich eigentlich Comedy machen. Nach zwei Jahren haben wir The Hold Steady gegründet.

Du schreibst immer noch über Teenager auf Drogen. Vermisst du manchmal deine eigene Jugend? Was hat sich verändert?
Craig: Nein, ich vermisse meine Jugend nicht. Mit 17 war alles echt anstrengend. Man ist unsicher, macht sich viel zu viele Gedanken um unwichtige Dinge. Mit dem Alter wird man entspannter. Und als Musiker führt man ja trotzdem noch ein jugendliches Leben. Man verbringt viel Zeit in Bars und Clubs, trinkt immer noch Alkohol und unterhält sich mit interessanten Menschen. Ich mag es so, wie es ist. Und was die Liebe betrifft, bleiben wir sowieso alle Teenager. Ich weiß heute nicht mehr darüber als mit 17.

Hast du auch Bücher von Bret Easton Ellis gelesen? Die handeln ja auch meistens von orientierungslosen Jugendlichen, die ziemlich viele Drogen nehmen.
Craig: Ja, „Less Than Zero“ habe ich zum Beispiel gelesen. Die Figuren darin gehören alle zur sogenannten „blanc generation“, die keinen Sinn im Leben sieht. Aber in unseren Stücken geht es viel um Liebe. Und die hat meiner Meinung nach ziemlich viel Sinn.

Euer Bandname bedeutet soviel wie „sich behaupten“. Siehst du das Leben als Kampf?
Craig: Nein, gar nicht. Der Ausdruck „to hold steady“ meint auch „stabil bleiben“. Das trifft es eher. Der Ausdruck gefällt mir, weil er dazu auffordert, sich nicht zu sehr vom eigenen Weg abbringen zu lassen.

Auf eurem letzten Album „Seperation Sunday“ gab es viel Sprechgesang – die Musik war eher der Soundtrack dazu. Auf „Boys And Girls In America“ singst du mehr als du sprichst, und in dem Lied „Stuck between Stations“ gibt es die Zeile „words won’t save your life“. Bist du gelangweilt von Worten?
Craig: Nein. Aber ich hatte den Wunsch, mit meiner Band gemeinsam Musik zu machen. Als Ganzes sozusagen. Worte sind immer noch wichtig, aber die Musik soll eine ebenso tragende Rolle spielen. Mal ehrlich: die meisten großen Songs sind doch aufgrund ihrer Melodie bekannt. Mir ist beides in gleichem Maße wichtig.

Wenn schon nicht Worte, können dann Musik oder Literatur unser Leben retten?
Craig: In gewisser Hinsicht schon. Aber nur im Zusammenhang mit aktiven Taten. Worte und Musik können den Anstoß dazu geben.

Interview + Text: Silvia Weber
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


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