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Grand Hotel van Cleef
...denn sie wissen was sie tun!

"Wir müssen wohl bald mal zu IKEA!"
In der Küche des Grand Hotel van Cleef steht ein Schrank, der unter der Last fast zusammenzubrechen droht. Eigentlich ist es gar kein richtiger Schrank; mehr ein Stahlgerippe, das unzählige Kisten tragen muss, auf denen Dinge stehen wie: „Maritime – Shirts“. „Kettcar – Poster”. “GHvC – Tasche“.
Als Thees Uhlmann (Tomte), Markus Wiebusch und Reimer Bustorff (beide Kettcar) 2002 das Label Grand Hotel van Cleef gründeten, da muss dieses wackelige Stahlgerüst wohl auch schon gestanden haben. Genauso wie eigentlich sämtliche Einrichtungsgegenstände. „Ja, wir müssen wohl bald mal zu IKEA.“, gibt Reimer zu und greift sich eine der letzten sauberen Tasse, die neben der Spüle stehen. Es ist bezeichnend: das derzeit erfolgreichste Indie-Label findet keine Zeit, sich neue Möbel zu kaufen oder überhaupt mal abzuwaschen.
Wozu auch: alles scheint bestens, ja, reibungslos zu verlaufen. Das neue Kettcar Album „Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen“ stieg auf Platz 5 in die deutschen Albumcharts ein und machte das Aushängeschild des Labels damit zu einer der erfolgreichsten deutschen Rockbands dieses Jahres. Und sicherte gleichzeitig die Zukunft des kleinen Labels. Als Kettcar damals ihr Debütalbum „Du und wieviel von deinen Freunden“ fertiggestellt hatten war das noch blinde Zukunft und ebenso weit entfernt wie ein Plattenvertrag. Der Schritt, ein eigenes Label zu gründen, muss damals wie heute ein ungeheures Risiko und Abenteuer gewesen sein. Und ist wohl auch nur damit zu begründen, dass sich Menschen gefunden hatten, die mehr als nur Geschäftspartner oder Musikliebhaber waren. Alle Beteiligten sind Freunde. Heute wie damals.
Reimer Bustorff: Das Label hat unser aller Leben maßgeblich verändert. Und dass wir damit auch noch erfolgreich sind, das ist schon Wahnsinn! Dass so eine Idee funktioniert... Das war ja keineswegs von Anfang an klar. Von allen Seiten wurde uns gesagt: „Musik? Labelgründung? Das ist der größte Quatsch in Zeiten wie diesen!“
Wir haben nicht mal einen Kredit bei der Bank bekommen. Die dachten wir wären bescheuert. Dass es trotzdem funktioniert hat, das ist schon großartig. Für einen selbst ist das auch eine unglaubliche Genugtuung. Aber wir wissen auch, dass irgendwann Tiefpunkte kommen werden. Das kann nicht immer so weitergehen.
Bereitet man sich darauf vor?
Nö. Kann man glaube ich auch nicht. Das muss jetzt erstmal alles funktionieren. Die nächste Tomte muss knallen.
Ihr könntet auch gut größenwahnsinnig werden...
So sind wir aber nicht. Ich hätte ja gerne so ein Glasgebäudekomplex mit einem rotierenden Grand Hotel Logo obendrauf. Aber dafür sind wir einfach zu bodenständig und bauernhaft! Und klar: wir haben momentan einen guten Lauf. Aber das können andere auch. Man muss halt die richtigen Bands haben.
Die richtigen Bands hat das Grand Hotel, das muss man ihnen neidlos anerkennen. Und Fehler machen sie auch keine. Egal ob Olli Schulz, Maritime oder die kongenialen Tomte: hier versammelt sich die kreative Indie-Elite. Und auch wenn Reimer es verneint, es gibt ihn, diesen einen, speziellen Grand Hotel – Sound. Ein Sound, der vor allem aus dem Spiel mit Texten und Musik entsteht; einem Charakteristikum, das schon einmal in Hamburg anzutreffen war. Mitte der Neunziger, als sich Tocotronic, Blumfeld oder Die Sterne einen Musikstil aneigneten, den man seither als Hamburger Schule bezeichnet.
Ist diesen Tagen beschäftigen sich die Hamburger Labelinhaber freilich wenig mit etwaigen Begriffsfindungen. Man hat alle Hände voll damit zu tun, das Mutterschiff Kettcar durch den Dschungel von Chartplatzierungen, Fernsehberichten, Festival-Auftritten und Promoterminen zu manövrieren.

"Nie wäscht hier einer ab!"
Nervt die Promotion?
Klar nervt die.
Das ist ein ganzer Arsch voll Arbeit. Aber in erster Linie auch ne
ganze Menge Spaß. Wir wußten ja im Grunde was auf uns zu kommt.
Wußtet ihr das wirklich?
Ja
gut, nicht in dem Umfang. Als wir das Label gegründet haben war uns
schon klar, dass das ganz hart wird: Künstler und Labelbetreiber zu
sein. Tomte gehen ja jetzt auch auf die Produktion zu und Thees zieht
sich immer weiter zurück, weil er ja auch Songs schreiben muss. Und
diese Arbeit muss dann aufgefangen werden von anderen. Die anderen sind
dann halt wir. Markus, Simon und ich.
Kommen die Labelangelegenheiten dem Songschreiben manchmal in die Quere?
Schon,
ja. Da muss man sich sehr zusammenreißen. Wenn man Zwölf Stunden im
Label gearbeitet hat muss man sich trotzdem noch zuhause hinsetzen und
Songs schreiben. Wir haben das mit Kettcar ganz gut gelöst indem wir
neun Tage aufs Land gefahren sind zur Platte. Da war weit und breit
nichts außer Kühen. Wir waren zwar davor etwas panisch, dass wir keinen
Termin halten können, aber nach den neun Tagen war uns klar, dass wir
das schaffen.
Gab es seit der Labelgründung und speziell
seit klar wurde, dass Kettcar und Tomte dermaßen erfolgreich werden,
jemals Rückmeldungen von den großen Plattenfirmen?
Naja,
geärgert haben sie sich wahrscheinlich schon. Aber sowas gestehen die
sich natürlich nicht ein. Da kamen schon noch Anfragen. Als wir das
Label dann gegründet hatten und feststellten, dass mit Kettcar und
Tomte einiges geht, da standen sie dann plötzlich vor der Tür, mit
irgendwelchen dubiosen Angeboten. Aber da war uns schon klar, auch aus
Trotz, dass uns nichts besseres passieren kann als mit dem eigenen
Label. Die Bands haben dermaßen viele Freiheiten, das wäre sonst nie
der Fall gewesen.
Jetzt, zur neuen Kettcar-Platte, kamen die
großen Plattenfirmen auch wieder an. Aber denen ging es inzwischen
sogar schon ums ganze Label. Die nennen es Zusammenarbeit. Aber
letztlich hätten wir wohl nur noch repräsentative Aufgaben gehabt und
uns das Geld geteilt. Aber sowas kommt nicht in Frage.

"Interview? Ich dachte das wäre 'n Phoner!"
Habt ihr euch schonmal geärgert, eine bestimmte Band nicht bekommen zu haben?
Nö.
Wir machen ja auch nicht so viel. Wir wissen, welches Kontingent an
Kapazität wir haben und mehr geht dann halt nicht. Wenn wir was machen,
dann wollen wir das richtig machen. Letztes Jahr haben wir uns schon
ein wenig übernommen, als wir die Olli Schulz EP, den Immergut-Sampler
und die Maritime gemacht haben, da ging halt gar nichts mehr, da hat
man kaum noch geschlafen.
Ihr habt also schon genaue Vorstellungen, wie der Sound sein soll...
Ne,
wir hören uns das schon an. Völlig unbedarft. Da kommen wir zwar selten
dazu, aber es gibt natürlich Freitage, wo wir uns hier ne Kiste Bier
hinstellen und dann Demos durchhören. Wir beantworten auch alles. Es
dauert halt nur ein bischen. So genaue Vorstellungen haben wir da
nicht, wie der Sound sein sollte. Wir sind musikalisch gar nicht so
eingeschränkt. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass wenn etwas gutes
aus dem Elektro-Bereich kommt, dass wir das sogar machen würden.
Ihr habt Death Cab for Cutie nicht mehr...
Das
hat uns auch sehr geärgert. Die haben weltweit bei Warner Music
unterschrieben. Die letzte Platte „Transatlanticism“ dürfen wir noch
weitermachen. Mehr geht leider nicht mehr. Aber es ist natürlich auch
schwierig: die Band verkauft mehr als hundertausend Platten in Amerika,
und wir sind hier bei 3.500. Postal Service gehen da ja auch so durch
die Decke.
Trotzdem haben wir dieses Jahr genug zu tun. Im Juni
kommt die neue Olli Schulz, dann das Hansen-Bandprojekt im September
und vielleicht noch der Hund Marie mit einer Soloplatte, mal schauen.
Und Anfang nächsten Jahres kommt dann die neue Tomte.
Beobachtet ihr die Veröffentlichungsflut von Lado oder Tapete Records?
Ein
bischen schon. Und verstehen kann ich es nicht so recht. Das ist fast
ein wenig übertrieben was die für ein Output haben. Aber wenn sie
meinen, das sei der richtige Weg: okay. Für uns ist es das nicht. Gut,
wir wollen das Label jetzt auch nicht künstlich klein halten. Und so
klein ist es ja auch nicht. Mit Kettcar zum Beispiel jonglieren wir
inzwischen mit Beträgen, die sind unglaublich hoch. Und wenn Kettcar
oder Tomte floppen würden, dann wäre das ganz ganz schwierig fürs
Label.
Ihr seit alle untereinander befreundet. Behaltet ihr trotzdem eure Objektivität?
Natürlich!
Die erste Marr – Platte zum Beispiel war von der Produktion her viel zu
teuer. Und die nächste wird nicht so teuer werden. Das wissen die aber
auch schon und sehen das auch ein. Und wenn die zweite mittelmäßig
wird? Das kann ich mir nicht vorstellen. Diese Situation hatten wir ja
auch noch nicht. Und wenn die zweite Platte unseren Vorstellungen nicht
entsprechen würde, dann würden wir da auch drüber reden, uns
zusammenraufen oder aber sie letztlich nicht machen. Weil wir definitiv
keine Platte machen werden, die uns nicht gefällt.

die Herzkammer des Labels
Was war der bislang schlimmste Augenblick in der Labelgeschichte?
Unschöne
Momente gibt es immer wieder. Zum Beispiel wenn es um Anzeigen geht.
Vor jeder Veröffentlichung kommen die Musikzeitungen auf dich zu und
wollen Anzeigen haben. Aber wir müssen das irgendwie gerecht verteilen
und können das Geld nicht aus dem Fenster schmeißen. Und das verstehen
einige nicht. Und denen Abzusagen ist manchmal ganz schön hart.
Habt ihr Lieblingsmagazine? Gibt es da spezielle Kooperationen?
Man
kennt die alle mitterweile ganz gut. Mit den Visions-Leuten sind wir
eigentlich ganz dicke. Wenn man sich über den Weg läuft, dann trinkt
man ein Bierchen zusammen. Vom Heft her finde ich den Musikexpress im
Moment ganz gut. Der hat sich sehr gemacht, den lese ich sehr gerne.
Wir wollen uns auch nicht mit irgendwelchen Heften auf Kooperationen
einlassen, die uns dann auf ewig an sich binden. Spex findet die neue
Kettcar zum Beispiel überhaupt nicht so gut. Das ist ja auch völlig in
Ordnung. Aber stell dir mal vor wird hätten auf ewig eine Kooperation
mit Spex. Damit wäre ja keiner mehr glücklich.
Wie sieht so ein herkömmliches Arbeitsspektrum bei Grand Hotel van Cleef aus? Was tut ihr konkret?
Die
Herstellung läuft direkt über uns. Wir müssen entscheiden wie viele CDs
als Erstauflage gepresst werden und schließen uns dann mit dem Vertrieb
kurz. Die Bands wählen ihre Grafiker selbst, wir koordinieren das dann.
Ich kenne mich mit dem ganzen Zeug ja auch überhaupt nicht aus, welcher
Beschnitt und was auch immer, und trotzdem steht man dazwischen und
muss das handhaben. Aber da wächst man hinein. Und Thees macht halt
Promotion und Markus den ganzen Vertragskram. Das wird auch immer
komplizierter, weil ja auch Online-Verkäufe über iTunes und so weiter
anstehen. Das wollen wir zwar ungern, weil wir lieber Platten
verkaufen. Aber dem Fortschritt kann man sich natürlich auch nicht
verschließen. Bloß hat da von uns auch keiner wirklich Ahnung.
Und letztlich beantwortet man auch unglaublich viele Mails. Promoanfragen usw.
Denkt man manchmal während eines Konzerts an Labelangelegenheiten? „Mensch, ich muss doch noch die Abrechnung fertig machen!“
Ne. Während eines Konzerts denke ich da nicht drann. Wenn ich auf Tour fahre ist alles weg.
Eine gemeinsame Tour von Tomte und Kettcar wird es also so schnell nicht geben?
Nein, so schnell wird das nichts. Vielleicht im Herbst, wenn Tomte das Album fertig haben. Ich hätte Bock drauf.
Und wer sitzt dann hier und macht alles?
Simon, unser Praktikant! (lacht)
Wen würdet ihr sofort aufs Label nehmen, ganz utopisch gesprochen?
Oasis,
da könnten wir uns alle drauf einigen. Weezer würde ich gerne machen,
aber da hätte Thees wohl was dagegen. Ron Sexsmith hätten wir denke ich
alle sehr gerne.
Eure Newsletter zeugen immer von einem sehr familiären Umgang, auch mit den Fans. Wird das großgeschrieben bei euch?
Wir
sind ja alle Musikfans. Mit Zwanzig habe ich auch so ein Fanzine
gemacht, wir haben in Jugendzentren gespielt, selber Konzerte
veranstaltet. Und wir wollten auch immer nett behandelt werden. Sowas
macht man dann halt einfach, wenn man selbst in der Position ist.
Es gibt wohl auch viele, die das falsch verstehen, oder?
Oh ja, es gibt richtig nervige Menschen.

"...weil man sich so drann gewöhnt hat..."
Stehen die hier auch manchmal vor der Tür?
Ja.
Und das kann dann auch richtig ätzend werden. Gestern zum Beispiel habe
ich irgendeine Mail von einer Kati aus München bekommen, die einen
Backstage-Pass für das Konzert in München haben wollte. Sie meinte, wir
würden das auch nicht bereuen und schrieb in Klammern dahinter: blond,
blaue Augen. Das ist natürlich total ätzend. Und ich habe bloß
zurückgeschrieben: schick mal’n Foto. Aber dieses Groupie-Gehabe, damit
kann ich nicht umgehen. Weil ich das nicht kenne. Aus der Szene, aus
der wir kommen, da gibt es soetwas nicht.
Gerade in Gästebücher schlägt sich immer öfter etwas sehr Einnehmendes nieder.
Richtig.
Und ich denke immer: Mensch, habt ihr denn gar kein Gehirn? Aber solche
Dinge gehören wohl auch einfach dazu, wenn man erfolgreicher wird.
Ist euer Konsens im Label vertraglich festgelegt?
Ja,
kann man so sagen. Wir drei haben einen festen Vertrag untereinander,
vom Notar und vom Anwalt beglaubigt und besiegelt. Bei aller
Freundschaft, denke ich, muss man soetwas auch haben. Weil du nie
wissen kannst, was in zehn Jahren ist. Und in dem Vertrag steht drinn,
dass eine Veröffentlichung von uns dreien, Markus, Thees und mir,
abgesegnet worden sein muss. So ein Vertrag ist aber auch wichtig.
Schon allein wegen der Gewinnverteilung. Und es ist auch vertraglich
festgelegt, dass ein Einzelner nur bis zu einer bestimmten Höhe
Geschäfte allein abschließen kann. Nicht, dass Thees am Ende wieder
alles versäuft. Da muss man sich schon absichern. (lacht)
Sind eure Eltern stolz?
Ja,
ich glaube schon. Bloß: meine Eltern schnallen das gar nicht so
richtig. Meine Mutter hat jetzt Internet, neuerdings, und dann hat sie
mal den Namen ge-googelt. „Was steht denn da alles? Wer schreibt denn
sowas? Kann doch gar nicht sein!“ Da war sie richtig perplex. Aber sie
hat jetzt auch so eine kleine Mappe, in der sammelt sie
Zeitungsausschnitte. Ja, ich glaube schon, dass sie ganz schön stolz
ist. Aber so richtig begreifen können sie das nicht: dass man mit
Musik, was ja eigentlich ein Hobby ist, Geld verdienen kann. Meine
Mutter singt selber im Chor und macht auch die Finanzen, und das macht
sie eben so nebenbei. Ein Hobby. Es gibt für sie wichtigere Dinge als
das, deswegen ist es sehr schwer zu fassen. Neulich waren sie auch bei
einem Konzert von Kettcar hier in Hamburg und kamen danach zu mir und
meinten: „Mein Gott war das laut!“
Interview: Sebastian + Robert
Text: Robert
