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Tapete Records

"Musik kannst du nicht verkaufen wie Autoreifen"

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Im Leben eines Menschen sind drei Jahre nicht die Welt, wenn aber ein Independent Label Dreijähriges feiert, bedeutet das schon einiges. Das Hamburger Label Tapete Records ist Mitte des Jahres drei Jahre alt geworden und feiert das dieser Tage mit dem Sampler „Melodien für Millionen“. Das liebevoll gestaltete Artwork zeigt ein buntes Haus voller Bands, die sich unter dem Tapete-Dach versammeln. Im ersten Stock trinken Singer-Songwriter wie Dirk Darmstaedter oder Thimo Sander mit den Herren von Erdmöbel ein Tässchen Tee, während im Hinterzimmer Niels Frevert den Jungs von Anajo Hochprozentiges ausschenkt. Auf der zweiten Etage liefern sich die Alleskönner Hidalgo mit den Kollegen Mon)tag und Wolke im Schlafzimmer eine Kissenschlacht und die Funk-Götter Missouri durchwühlen den Kleiderschrank. Unter dem Dach haben es sich die Indie-Melancholiker Samba zusammen mit Tess Wiley bei einer Flasche Rotwein gemütlich gemacht, die Gitarren-Popper Crash Tokio feilen an neuen Songs und Garish schleichen sich gerade aufs Dach. Wer das Haus dieser großen Familie betritt wird zunächst einmal Darlo begegnen, die gerade in der Küche das Abendessen zubereiten. Und weil das Haus inzwischen ganz schön voll geworden ist, hat Tapete Records angebaut. Raufaser heißt der Label-Ableger und ist in erster Linie ein internationales Gästezimmer. Maplewood (USA) und The Horror The Horror (Schweden) haben da schon Platz gefunden und es werden sicherlich weitere Bands folgen. Für alle ist etwas dabei - vor allem natürlich für Freunde von tanzbaren Gitarren-Popsongs. 23 Bands und Künstler haben in diesen drei Jahren bei Tapete ihren Platz gefunden und insgesamt wurden mit dem neuesten Sampler 72 Tonträger veröffentlicht. Eine stolze Zahl. Wir wollten wissen, wer dahinter steckt und haben Tapete Records einen Besuch abgestattet.

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Dirk Darmstaedter zwischen Interview, Kaffeee und Kuchen

Ende Februar ist es nass, kühl und grau in Hamburg. Typisch - zumindest für einen Nicht-Hamburger. Dirk Darmstaedter hat trotzdem gute Laune. Bevor der Arbeitsalltag beginnt, nimmt er sich Zeit für uns, sein Label-Partner und Tapete-Mitbegründer Gunther Buskies befindet sich zu der Zeit mit seiner Band Darlo im Proberaum. Eben jener arbeitet einige Jahre beim Major Universal, wo er Dirk Darmstaedter durch eine Zusammenarbeit kennen lernt. Bald haben beide die Arbeit bei und mit den Majorlabels satt. „Wir wollten raus aus diesem Apparat“, sagt Darmstaedter rückblickend. „Mir war klar, dass ich irgendwann den Weg der Majors nicht mehr gehen möchte. Wo alle drei Monate die Leute gefeuert werden. Wo perspektivisch nicht darauf geachtet wird, was mit einer Band vielleicht mal passieren könnte, sondern wo nur noch auf die nächste Platte geschaut wird.“

Ein Gegenentwurf soll her, da sind sich die beiden Labelgründer einig. Klar ist, dass die eigenen Platten eine neue, eigenständige Basis haben. Freunde sollen ihren Platz finden und damit erscheint im Juni 2002 die erste Veröffentlichung von Besser. Es folgen unter anderem die Werke von Me and Cassity, der Band um Darmstaedter, „aber dann kam erstmal niemand“. Deswegen war es am Anfang einfacher bei Tapete unterzukommen: „Wenn da ein gutes Demo kam, hatten die Bands gute Chancen, dass sie bei uns eine Heimat finden, inzwischen müssen wir das schon richtig gut finden.“

Wie ist das generell mit Demos: hört ihr wirklich noch alles an, was da so kommt und müssen die Demos bestimmten Standards entsprechen, was zum Beispiel die Soundqualität betrifft?
Nein, das muss nicht besonders professionell aufgenommen sein. Von den Stilen her sind wir natürlich sehr offen, aber manchmal fragt man sich schon, warum uns eine Death Metal-Band ihr Demo schickt. Es gibt die große Kiste, da kommen alle Demos rein und dann nimmt sich halt jeder immer mal eine Hand voll mit nach Hause oder fährt eine Weile im Auto damit rum und hört sich das an.

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fleißige Mitarbeiter zwischen Promotion, Booking und Pakete schnüren

Wie läuft das mit der Finanzierung eurer Veröffentlichungen?
Wenn Gunther nicht gewesen wäre, dann weiß ich auch nicht, wie das jetzt laufen sollte. Ich bin das schon immer mehr von der künstlerischen Seite angegangen, aber er hat das halt einige Jahre gemacht und kannte sich dadurch mit allem aus. Von der Produktion bis zum Drucken des Plattencovers. Was das betrifft: jede Band hat eine Infrastruktur. Und warum sollte man die nicht nutzen und dann einfach andere Leute damit beauftragen. Viele kennen zum Beispiel Grafiker und all die Plattencover sind fast immer von der Band selbst oder von Freunden der Band; natürlich auch, weil wir dafür kein Budget haben.

Ihr habt einen enormen output, was die Anzahl der Veröffentlichungen betrifft. Da gib es manchmal die Kritik, dass es des Guten zuviel ist. Wie ist da euer Selbstverständnis als Label? Seht ihr es als eure Aufgabe, möglichst vielen Künstlern eine Plattform zu bieten?

Nein mit „möglichst viel“ hat das nichts zu tun. Klar es gibt viele Indie-Labels, die nicht sehr viele Platten im Jahr rausbringen, weil sie oft auch gar nicht mehr Kapazität haben, aber wir haben hier sieben Leute sitzen und dann können wir nicht nur zwei, drei Alben im Jahr veröffentlichen, dann stimmt irgendwas nicht, die Mitarbeiter müssen ja auch was zu tun haben. Wir buchen meistens auch die Konzerte. Der Anspruch war ja immer, nicht nur hobbymäßig ein paar Platten zu veröffentlichen, sondern als richtiges Label jeden Monat ein Album zu bringen. Aber natürlich ist irgendwann die Grenze erreicht und dann kannst du nicht noch mehr Bands aufnehmen.

Gibt es unter den Labels in irgendeiner Form Zusammenarbeit oder gibt es da nur harten Konkurrenzkampf?
Auf jeden Fall wird da zusammengearbeitet. Wenn man zum Beispiel betrachtet, wie viel das schon kostet Promo-CDs herzustellen und die dann alle zu verschicken, alleine an die Radiosender, dann ist das ein riesiger Haufen Porto. Und das selbe Problem haben natürlich L’age D’or. Also haben wir uns zusammen getan und dann besucht immer einer den anderen und es werden zusammen Pakete gepackt, damit spart man einiges.

Im Hintergrund von Tapete Records steht die Unzufriedenheit mit den Major Labels, wie ist das für euch, wenn eine eurer Bands selbst zu einem Major wechseln will?
Klar würden wir das verstehen, wenn eine unserer Bands zu einem Major wechseln will, wenn bei ihr die Jungs mit den großen Geldscheinen vor der Tür stehen. Aber ob sich das dann auch wirklich lohnt ist eine andere Frage. Wir hatten das ja mit Tele, die dann ein Angebot von einer großen Firma hatten. Und du siehst sowohl die Chancen als auch die Gefahren. Aber natürlich sind das eben ganz andere Möglichkeiten, bestimmte Anzeigen zu schalten oder eben Kanäle anzuzapfen, an die wir nicht rankommen. Aber ob dann am Ende des Tages alle „Hurra“ schreien, ist noch eine ganz andere Sache. Da knallen dann bei vergleichbaren Verkäufen nicht mehr die Sektkorken, da sind ganz andere Erwartungshaltungen dahinter. Und wenn das ganze dann nicht mindestens in Virginia Jetzt!-Dimensionen abgeht, dann ist die Stimmung auf einmal nicht mehr so gut.

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Hier liegt wohl der große Vorteil für das Label und für die Bands. Man ist nicht davon abhängig, dass bestimmte Alben Unmengen verkaufen. „Die Mitarbeiter arbeiten für relativ wenig Lohn und Gunther und ich haben bis heute keine müde Mark aus Tapete gezogen“, betont Darmstaedter. Man freut sich über die kleinen Erfolge und die Bands können sich voll und ganz auf ihre Kunst konzentrieren und können mit vertrauten Leuten zusammenarbeiten. Ob dadurch nicht auch eine Zwickmühle entsteht? Mit den meisten Bands verbindet die Labelmacher eher eine Freundschaft, als ein nüchternes Geschäftsverhältnis, dadurch können Spannungsverhältnisse entstehen, wenn sich die Kunst nicht mehr rechnet. Ist es nicht schwer die Kollegen und Freunde zu kritisieren? „Wir sind auf jeden Fall fordernder geworden“, gibt sich der Labelvater mehr oder weniger bedeckt. „Aber es gibt auf jeden Fall Künstler, denen müssen wir nichts sagen, die wissen genau was sie tun.“
Während man sich in Hamburg also mit den kleineren Erfolgen zufrieden gibt, klagt man in Berlin und den anderen weltweiten Musikmetropolen über wachsende Verluste im Tonträgerbereich.

Ein Allheilmittel wird es nicht geben, aber was habt ihr für Ideen, damit wieder mehr Original CDs gekauft werden?
Manchmal denke ich mir, dass dieses ganze Gerede überflüssig ist, aber das ist natürlich auch nicht richtig, man sollte sich da schon Gedanken machen. Wir versuchen ja immer mehr Bonusmaterial draufzupacken und auch das Artwork schön zu gestalten, dass es für den Fan ein richtig schönes Paket gibt. Und wenn ich Fan von einer Band oder einem Künstler bin, dann will ich das auch haben. Und insgesamt freue ich mich ja darüber, dass Musik vielmehr ein Thema ist als früher und dann ist es mir lieber, der eine hat die ganze Bob Dylan Diskografie auf dem Rechner und beschäftigt sich damit, als wenn er gar nichts damit zu tun hat.

Die Plattenfirmen argumentieren hierbei auch oft falsch, wenn es heißt, dass sich der Hörer alle CDs, die er gebrannt hat oder als MP3 runterlädt im Original gekauft hätte. So kann man nicht rechnen und argumentieren und dabei wird das Potential völlig übersehen, dass sich Musik so teilweise sehr nützlich verbreitet...
Wenn es Alben gibt, die sich einfach nicht lohnen, dann genügt das eben, wenn man die gebrannt hat; das ist natürlich scheiße, wenn das dann keiner kauft, aber manchmal hat man nur ein paar MP3s und findet das so großartig, dass man sich später alle Alben der Band kauft, aufs Konzert geht und sich vielleicht dann noch ein Tshirt zulegt. Ich bin sowieso ein Gegner des Mittelmaßes!

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Interview: Robert Heldner und Sebastian Gloser
Text und Fotos: Sebastian Gloser


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