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Ocean, The

Auraldestruktion, Brachialdemagogie und süße Verzückung

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Sie wollen partout in keine Schublade passen und werden mit ihrer mal sphärischen, mal aufbäumenden Musik seit einiger Zeit in einem Atemzug mit ISIS oder NEUROSIS genannt: Das mehr als ein Dutzend Künstler umfassende Kollektiv THE OCEAN aus Berlin.
Ihr gerade erschienener neuer Longplayer "Fluxion" (Make My Day Records) gibt wieder einigen Anlass zur Diskussion und ruft neben euphorischen Reaktionen auch kritische Stimmen hervor.
Grund genug also für ein Interview, bei dem uns Nils Lindenhayn - bei THE OCEAN für das Optische, Licht und Visuals zuständig - ausführlich Rede und Antwort stand.


Erste und unvermeidbare Frage: Ihr arbeit neuerdings mit einem Sänger, was euch in den Augen einiger Hörer ein bißchen die Einzigartigkeit nimmt. Warum diese Entscheidung, zumal Euer Debüt "Fogdiver" ja von allen Seiten begeistert aufgenommen worde ist?

Daß wir mit Gesang arbeiten, ist, wie wir dieser Tage ziemlich häufig betonen müssen, keine Neuerung. Auf unserem ersten Album, welches wir 2002 in Eigenregie veröffentlicht haben, waren bereits zwei Sänger zu hören. Und jeder, der uns bislang live gesehen hat, wird am eigenen Leib erfahren haben, dass unsere Konzerte alles andere als rein instrumentale Post-Rock-Veranstaltungen sind. Wir haben auf "Fluxion" also nichts hinzugefügt, sondern eher auf "Fogdiver" etwas weggelassen. Diese EP war ein Experiment. Gesang ist, wenn man's richtig macht, eine schöne Sache, aber kein konstituierendes, omnipräsentes Element in unserem Konzept. So haben wir uns eines schönen Tages gedacht: warum nicht mal ein kleiner Ausflug in instrumentale Gefilde? Die Songs waren allesamt als Instrumentals angelegt und so haben wir sie auch belassen. Das wurde dann "Fogdiver". In der Tat sind jetzt einige Leute enttäuscht, ja regelrecht angewidert darüber, dass auf "Fluxion" - für viele völlig überraschend - Gesang auftaucht. Wir waren uns durchaus im Klaren, dass wir solche Reaktionen hervorrufen würden, aber: die Engstirnigkeit des einen oder anderen Musikkritikers ist kein Maßstab, den wir uns zu eigen machen möchten und so werden wir uns auch weiterhin vorbehalten, auf jeden neuen Album stilistisch diejenigen Wege einzuschlagen, die uns gerade in den Sinn kommen.

Wird diese Komponente nun ein fester Bestandteil Eueres Sounds bleiben?

Wir setzen live wie auch auf Platte eine Vielzahl von Instrumenten ein und eines davon ist die menschliche Stimme in verschiedensten Spielarten. Das ist seit unserem Bestehen so und wir finden das auch ganz in Ordnung. Man darf von unseren zukünftigen Songs also weiterhin einen Gesangs-Anteil von ‚gar nicht' bis ‚eine ganze Menge' erwarten.

Habt ihr über eine "cleane" Stimme nachgedacht, oder war klar, dass es relativ derbe Vocals sein sollten? Zu euerem Sound hätten ja auch ein sehr melodischer Sänger oder eine Sängerin gepasst (wie die gelegentlich eingestreuten Passagen mit melodischen Vocals eindrucksvoll zeigen).

Wir spielen seit jeher mit dem Kontrast zwischen ‚clean' und ‚derb'. Auf unserer ersten Platte war das, glaube ich, ganz gut zu hören. Der brachiale Anteil steht dabei allerdings in aller Regel im Vordergrund. Es war also genau wie du's sagst: die von "Fluxion" Songs wurden geschrieben mit einem Dampfwalzen-Gesang im Hinterkopf. Gelegentlich wird der dann durch einen ‚Weichspüler' etwas konterkariert.

Auf dem rein instrumentalen "Fogdiver" war Markus Gundall als Sänger im Booklet gestanden. Jetzt steht neben seinem Namen "Dionysos". Etwas verwirrend, zumal neben "Vocals" nun der Name Gerd Kornmann zu finden ist...

Nun, es war nicht unsere Absicht, hier gezielte Verwirrung zu stiften, aber da wir das bekanntlich manchmal ganz gerne tun, finden wir es gar nicht schlimm, wenn es in diesem Fall dann doch darauf hinausgelaufen ist. Ich versuche mal, die Sache aufzuklären: der Job von Markus bei THE OCEAN hat sich nicht geändert. Er ist weiterhin ein Experte in Sachen schnelle und gründliche Auraldestruktion. Neuerdings steht ihm allerdings auch Meta zur Seite, ebenfalls ein Fachmann für's Grobe und ein wahrer Held auf dem Gebiet der Brachialdemagogie - ganz im Gegensatz zum eher feinfühligen Gerd, der es wie sonst kaum ein anderer versteht, Menschen aller Geschlechter in süße Verzückung und völlig andere Bewußtseinssphären zu versetzen. Wie das alles live aussieht, konnte unter anderem auf unserer Release Party bestaunt werden. Dort, und sicherlich noch auf vielen weiteren Shows, bildeten Meta (aka Zarathustra) und Markus (aka Dionysos) ein wahres Traumpaar - vielleicht, fällt mir gerade ein, wäre es konsequenter und die Verwirrung kleiner gewesen, wenn wir Gerd als ‚Apollo' gelistet hätten. Aber, um auf den Punkt zu kommen: wir haben derzeit dreimal vocals: Gerd, Markus und Meta - wobei letzerer derzeit unser ‚Haupt'sänger ist.

Wieviel ist bei der Entstehung Euerer Stücke spontan? Kommt da jemand mit einem ausgearbeiteten Song oder entstehen die Stücke gemeinsam?

Die Stücke stammen allesamt aus der Feder Robins. Er schreibt sie zu Hause und nimmt Demoversionen von ihnen auf, welche nicht nur Gitarren, sondern auch gleich Bass und elektronische Drums beinhalten. Wir entscheiden aber gemeinsam, ob wir einen Songs ins live-Set aufnehmen (bzw. auf Platte veröffentlichen) wollen. Dann beginnen wir, den Song zusammen zu proben und auf unseren Konzerten zu spielen, wobei es immer wieder mal zu Änderungen kommt, wenn wir feststellen, dass man hier und da noch etwas verbessern könnte. Dieser Reifeprozeß hört im Prinzip nie auf: wir ändern auch heute noch ab und zu Songs, die bereits zwei Jahre alt sind. Sie sind also nicht in Stein gemeißelt.

Stilitisch ist der Sound von "Fluxion" nach wie vor schwer zu beschreiben. Wie würdest Du Eure Hörerschaft charakterisieren?

Unsere Hörerschaft setzt sich, wie auch unsere Band und ihr Sound, aus ganz verschiedenen Richtungen zusammen. Wir haben sowohl Anhänger aus der Hardcore- als auch aus der Post-Rock-Ecke, der eine ist straight, der andere stoned, manche hören sonst nur Grindcore und ab und an kommt auch mal eine Interview-Anfrage von einem ehemaligen Pink-Floyd-Fanzine. Wir befinden uns quasi in einem Zustand des nicht-in-einer-Szene-verortet-seins. Das ist manchmal etwas hinderlich, gibt uns gleichzeitig aber auch eine Menge Freiraum. Ein Blick auf unsere Konzert-Historie spricht sicherlich Bände in dieser Hinsicht.

In vielen Fällen wird Euer Sound mit dem von ISIS verglichen. Bist Du damit glücklich und welche Bands beeinflussen euch sonst?

Wir alle schätzen ISIS sehr und wenn behauptet wird, wie wären "wie die", dann ist das sicherlich etwas, auf das man ruhig stolz sein kann - denn ISIS haben's nun mal drauf. Allerdings ist ISIS für uns nur einer von vielen Einflußfaktoren. Auch, ich sag' mal, ‚flottere' Sachen stehen bei uns immer auf der Tagesordnung. CONVERGE seien hier genannt, MASTODON und natürlich die ihrer Zeit immer um Lichtjahre vorauseilenden Meshuggah. Falls uns eines Tages jemand mit denen vergleichen sollte, hätten wir ein ernstes Problem, denn dann müßten wir uns nach einer neuen Meßlatte umschauen und das wird verdammt schwer.

Wie seid ihr denn zu der zweifelhaften Ehre eines "Metal Hammer" und "Tabu Absinth" Sticker auf der Cover gekommen?

Nun, der ‚Metal Hammer' mag in korrekteren Kreisen nicht unbedingt großes Ansehen genießen, aber er ist nun mal eine Autorität - wenn er eine Platte präsentiert und also für gut befindet, kann man erwarten, daß das so einige Aufmerksamkeit nach sich ziehen wird. Und die kann man als Band in einem solchen Stadium wie dem unsrigen durchaus gebrauchen. Die Idee mit dem Absinth-Sponsoring hatte unser Label und wir finden den Deal recht nett - schließlich bedeutet er für uns: Absinth für lau. Welcher sich wiederum sicherlich positiv auf die nächsten Alben auswirken dürfte und damit letzten Endes der Hörerschaft zugute kommt.

THE OCEAN besteht aus sehr vielen verschiedenen Musikern. Wie läuft das organisatorisch bei Euch? Müssen da Terminkalender von allen Beteiligten abgestimmt werden? Ist das nicht irre schwierig?

Das hast du ganz richtig erfasst. Wenn wir eine Show spielen, dann sind immer zwischen sieben und zwölf Leute involviert, das macht das Finden von Terminen nicht gerade leicht. Da muß auch ab und zu schon mal ein Angebot ausgeschlagen werden - schließlich ist THE OCEAN für keinen von uns die Quelle für einen Lebensunterhalt. Was wir derzeit umzusetzen versuchen ist, jede, oder möglichst viele Positionen einfach doppelt zu besetzen, so daß z.B. ein Gitarrist für einen anderen einfach einspringen kann. Ist doch bei jedem Orchster, Musical oder Theater gang und gäbe.

"Fluxion" erscheint nicht nur via "Make My Day Records", auf dem Backcover ist auch das Logo von "Throne Records" aus Spanien abgebildet.

Die beiden Labels teilen sich die Arbeit. "Fluxion" wird in Deutschland von 'MMD' vertrieben, während 'Throne' für's Ausland zuständig ist. Die Idee dazu stammt, wenn ich mich recht entsinne, von uns selbst, und beide Labels fanden sie ebenfalls gut. Und nicht nur der Vertrieb läuft auf diese Weise besser: das aufwendige Artwork wurde erst möglich durch die gemeinsamen Ressourcen.

Für das Frühjahr 2005 kündigt ihr im Booklet die Veröffentlichung des zweiten Teils der Aufnahmesession zu "Fluxion" an. Wird das wieder ein ganzes Album werden und stilistisch den Weg von "Fluxion" fortsetzen?

Auch hierbei wird es sich um ein komplettes Album handeln. Was es stilistisch zu erwarten gibt, soll hier allerdings nicht vorweggenommen werden. Eine Weiterentwicklung ist es aber auf jeden Fall, alles andere wäre ja langweilig. Also: warm anziehen!


Michael Streitberger


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